13.03.2023 – Kategorie: Management
Zirkuläres Wirtschaften: Rechnet sich Nachhaltigkeit für die Prozessindustrie?
Medikamente, Lebensmittel, Baustoffe: Die Nachverfolgbarkeit von Produkten spielt in der Prozessindustrie eine wichtige Rolle. Künftig geht es dabei auch um Nachhaltigkeit.
Der Kreislaufwirtschaft gehört die Zukunft. Diese Erkenntnis hat sich inzwischen auch in der Industrie flächendeckend durchgesetzt. Doch Vorsicht: Wer heute von Kreislaufwirtschaft spricht, hat in der Regel vor allem Recycling und Wiederaufbereitung von Abfällen im Kopf. Entsprechend wichtig ist es, zunächst einmal den Begriff der Circular Economy sauber abzugrenzen. Denn Recycling ist zwar ein wesentlicher Aspekt beim Thema Zirkuläres Wirtschaften, aber bei weitem nicht der einzige. Das Konzept, Circular Economy, fokussiert nämlich nicht nur auf Abfallfluss, sondern auf den gesamten Produktlebenszyklus – von der Rohstoffbeschaffung bis zur Wiederverwertung.
Wie sich zirkuläres Wirtschaften auszahlt
Der Wandel zur Circular Economy erfordert die umfassende Transformation industrieller Prozesse und Strukturen. Nur so kann die Prozessindustrie als einer der Hauptverursacher von CO2-Emissionen die vorgegebenen Klimaziele erreichen – und zwar ohne Profitabilität einzubüßen. Denn zirkuläres Wirtschaften kommt nicht nur Umwelt und Klima zugute, sie bietet Unternehmen auch die Chance, Kosten zu reduzieren und neue Umsatzpotenziale zu erschließen. Grundlage schaffen Digitalisierung und verstärkte Nutzung von Daten entlang der Wertschöpfungskette.
Obwohl die Circular Economy als Wirtschaftsmodell der Zukunft gilt, kommen entsprechende Initiativen schleppend in Gang. Aktuell werden nicht einmal zehn Prozent der weltweit eingesetzten Rohstoffe wieder einem Wertstoffkreislauf zugeführt. Das dürfte sich jedoch zügig ändern: Vor allem in der energieintensiven Prozessindustrie steht nachhaltiges Wirtschaften ganz oben auf der Agenda. Und zwar nicht nur aus Liebe zur Umwelt, sondern auch, weil Kunden und Politik diese Marschrichtung vorgeben. Schon heute fließt bei der Vergabe von Aufträgen und Investitionsmitteln neben Qualität und Preis verstärkt auch der CO2-Fußabdruck der Produkte in die Entscheidung ein. Zudem erfordern gesetzliche Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und Lieferketten-Compliance die Neuausrichtung zahlreicher Prozesse.
Rohstoff statt Plastikabfall
Der Wechsel von linearer zu kreislaufgeführter Produktion rechnet sich für die Prozessindustrie aber auch noch aus anderen Gründen. Eine Deloitte-Studie aus dem Jahr 2021 prognostiziert, dass durch einen konsequenten Ausbau der Kreislaufwirtschaft die Bruttowertschöpfung hierzulande um zwölf Milliarden Euro steigen könnte. Demnach würde etwa der Einsatz aufbereiteter Sekundärrohstoffe die Importabhängigkeit der Prozessindustrie verringern und zugleich die inländische Wertschöpfung steigern.
Mitsubishi Chemical
Eine Kreislaufwirtschaft, mit der sich aus Plastikabfällen neue Rohstoffe gewinnen lassen, hat auch für Mitsubishi Chemical Europe höchste Priorität. Das Unternehmen vertreibt Chemieprodukte wie Hochleistungskunststoffe, Polymerfolien sowie Halbleiterlösungen und ist der weltgrößte Hersteller von Methylmethacrylat (MMA). Polymethylmethacrylat (PMMA), umgangssprachlich auch Acrylglas oder Plexiglas genannt, gehört zu den vielseitigsten Materialien der Welt. Es kommt in Schildern, Corona-Schutzscheiben, Beleuchtungen, Fahrzeugausstattungen und vielen weiteren Produkten zum Einsatz – wird aber bislang nach seiner Nutzung in der Regel nur unzureichend recycelt.
Mitsubishi Chemical Europe will das ändern. Der Hersteller plant den Aufbau und Betrieb einer Acryl-Recyclinganlage, in der gebrauchtes PMMA durch sogenanntes molekulares Recycling in seine ursprünglichen MMA-Bausteine zerlegt und zu 100 Prozent zirkulären MMA und zirkulären PMMA aufbereitet wird.
Um den Nachweis zu erbringen, dass Produkte aus Kunststoff einen bestimmten Anteil an chemisch recycelten Materialien enthalten, setzt Mitsubishi Chemical Europe in seiner MMA-Lieferkette im Rahmen eines Pilotprojekts auf die Lösung GreenToken von SAP. Sie stellt vielfältige Informationen zu den nachhaltigen Eigenschaften von Rohstoffen, beispielsweise zum Prozentsatz der recycelten Bestandteile, bereit und ermöglicht Mitsubishi, fundierte Entscheidungen zum Ausbau der zirkulären Wertschöpfung.
Zirkuläres Wirtschaften bei einem Chemnitzer Start-up
Neben der Fertigung, bieten vor allem Transport und Logistik wichtige Hebel für die Circular Economy, wie etwa das Chemnitzer Start-up ligenium zeigt: Das Unternehmen produziert Ladungsträger aus Holz und ersetzt damit die auch in der Prozessindustrie häufig eingesetzten Stahlbehälter. Während diese meist mehrere hundert Kilogramm wiegen, bringen die Holzkonstruktionen nur halb so viel auf die Waage. Durch das geringere Leergewicht (Tara) der Ladungsträger entstehen ökonomische Vorteile, etwa in Form sinkender Kraftstoffkosten bei Transporten. Zudem lässt sich Holz im Vergleich zu Kunststoff, Aluminium oder Stahl wesentlich kostengünstiger einem Wertstoffkreislauf zuführen.
Nachhaltigkeit messbar machen
Ihr Gesamtpotenzial entfalten zirkuläre Logistiklösungen jedoch erst, wenn die Prozessindustrie Stoffströme und Ressourcennutzung über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg nachverfolgen und steuern kann. Bleiben wir beim Beispiel der hölzernen Ladungsträger aus Chemnitz: Diese reduzieren durch ihr geringes Gewicht zwar die transportbedingten CO2-Emissionen. Doch erst wenn das emittierte CO2 tatsächlich messbar ist, kann es in die Nachhaltigkeitsberichterstattung einfließen – und dort zur Ermittlung wirtschaftlich nachhaltiger Mehrwerte beitragen.
Die Digitalisierung schafft die dafür erforderlichen Voraussetzungen: Mithilfe von Sensorik, Blockchain, IoT oder Data Analytics lassen sich nicht nur der Zustand und Standort der Produkte und Assets in der gesamten Wertschöpfungskette per Knopfdruck nachvollziehen. Die innovativen Technologien erheben auch eine Vielzahl weiterer Daten wie beispielsweise Rundlaufinformationen oder CO2-Emmissionen automatisiert und übermitteln diese über ihre AAS (Asset-Administration-Shell) beziehungsweise einen Digitalen Zwilling in das ERP-System.
Ein weiterer Pluspunkt: Durch die Digitalisierung werden Produkte wie die ligenium-Ladungsträger zu sogenannten „sustainable financial assets“, die im Anlagevermögen erfasst werden können – und so in der Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie der EU-Taxonomie positiv zu Buche schlagen. Zudem lassen sich die Daten mithilfe leistungsstarker Analytics-Lösungen auswerten und über intuitive Dashboards wie beispielsweise den Sustainability Control Tower von SAP übersichtlich bereitstellen.
Der Autor Mathias Kaldenhoff ist Partner Innovation & Sustainability Management, bei SAP Deutschland SE & Co. KG.
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