20.11.2015 – Kategorie: Technik
Zentrale oder dezentrale Ansteuerung: Der Anwender kann entscheiden
Technologischer Fortschritt in der Steuerungstechnik, bei Feldbussen und bei Mikro-Controllern führt regelmäßig zu neuen Aspekten in der Diskussion über Vor- und Nachteile einer zentralen oder dezentralen Ansteuerung von Antriebsverstärkern. Gemeint ist dabei nicht deren Platzierung im Feld oder in einem Leitstand, sondern ihre eigentliche Funktion: die Bewegungsgenerierung. Von Dr.-Ing. Oliver Barth
Mit simco drive bietet Wittenstein motion control den Anwendern einen Servoregler, der die freie Wahl zwischen zentraler und dezentraler Ansteuerung lässt. Die Antriebsverstärker wurden für sinuskommutierte Servomotoren definierter Leistungsklassen entwickelt. Sie zeichnen sich messtechnisch durch eine sehr hochauflösende Stromregelung mit bis zu 16 Bit und eine schnelle Strommessung unter acht µs aus – ideal für eine hochgenaue Drehmomentregelung und hohe Dynamik im Stromregelkreis. Die Verstärker lassen sich im eigenständigen Positionierbetrieb mit definierbaren Trajektorien und Fahrsatztabellen einsetzen, aber auch – über den Ethercat-Bus – im geschlossenen Regelkreis mit Echtzeit-Führungskommunikation. Für die Feldbusintegration kann zudem auf Verstärkerausführungen mit CANopen- oder Profibus-Schnittstelle zurückgegriffen werden. Mit STO steht zudem die Option integrierter Safety-Funktionen nach IEC 61508 zur Verfügung. Dank Schutzart IP65 oder wahlweise IP20 lassen sich die Servoregler sowohl in direkter Nähe zur Antriebsachse als auch in einem leitstandnahen Schaltschrank betreiben.
Gesteigerte Kommunikations- und Rechenleistungen
In den vergangenen zehn Jahren war es vor allem die Weiterentwicklung der Feldbusse, die neue Perspektiven eröffnet hat. Durch hohe Bandbreite und Echtzeitfähigkeit sind Ethernet-basierte Feldbusse wie Ethercat, Powerlink, Profinet oder Sercos heute leistungsstarke Kommunikationssysteme. Sie ermöglichen es, einer Motion-Control-Steuerung im Takt von wenigen Millisekunden bis hin zu einigen hundert Mikrosekunden Soll-Werte für eine Vielzahl von Achsen über den Feldbus zu übertragen und Ist-Werte sowie Statusinformationen zurückzuerhalten. Der Antriebsverstärker kann – aufgrund der hohen Prozessorleistungen – sehr schlank gehalten werden und ist seitens seiner Rechenleistung im Wesentlichen mit Regelungs- und Überwachungsaufgaben beschäftigt. Dieses Antriebskonzept eignet sich für fast alle Motion-Anwendungen, da die zentrale Steuerung von der einfachen Einzelachs-Ansteuerung bis zur komplexen Bahnsteuerung alle Bewegungsformen generieren kann. Es stellt sich daher die Frage, welche Berechtigung dezentrale Steuerungstechnologien weiterhin
besitzen.
Dezentrale Steuerungsintelligenz für Einzel- und synchronisierte Achsen
Zunächst hat zentrale Steuerungstechnik ihren Preis: Ethernet-basierte Feldbusse benötigen – um die Anforderungen der Bitübertragungsschicht des OSI-(Open-Systems-Interconnection)-Referenzmodells für Netzwerkprotokolle zu erfüllen – hochwertige Komponenten in der elektrischen Anbindung. Kabel, Steckverbinder, magnetische Bauelemente und PHY-Halbleiter (physikalische Schicht des OSI-Modells) müssen für hochfrequente Signale und deren Schirmung geeignet sein – lassen sich allerdings oft aus der Stückzahlproduktion der Office-Welt verwenden. Im Antriebsverstärker als Feldbus-Slave ist entweder ein spezieller ASIC oder ein FPGA-Core erforderlich, der den Kommunikationsstack in Echtzeit abarbeiten kann. Weiterhin wird für die Berechnung komplexer Bewegung eine entsprechend leistungsfähige Motion-Steuerung benötigt. Bibliotheksfunktionen für spezielle Aufgaben stehen oft nicht im Standard zur Verfügung und müssen gesondert lizenziert werden.
Die Frage nach der Berechtigung dezentraler Steuerungstechnologien lässt sich somit umformulieren: In welchen Anwendungen ist zentrale Motion-Steuerung nicht notwendig? Da ist zunächst die Bewegung einzelner, nicht-synchronisierter Achsen, die problemlos dezentral, das heißt im Antriebsverstärker, berechnet werden kann. Darüber hinaus sind auch komplexe Einzelachsbewegungen wie Pressvorgänge mit überwachter Kraftgrenze realisierbar, wenn erweiterte Fahrsatztabellen vorliegen. Im Falle mehrerer synchronisierter Achsen lassen sich die Bewegungen noch gleichzeitig über ein Synchronisierungssignal der Steuerung starten. Das dezentrale Konzept stößt jedoch an seine Grenzen, wenn die Soll-Werte für mehrere Achsen zyklisch übertragen werden, wie dies beispielsweise bei einer CNC-Bahnsteuerung oder einer Robotersteuerung der Fall ist.
Konzepte dezentraler Steuerungstechnik
Dezentrale Steuerungstechnik lässt sich in verschiedenen Ausbaustufen realisieren. Die einfachste Form ist eine Fahrsatztabelle, die in Listenform alle für eine Positionierung notwendigen Parameter enthält. In einer Zeile definiert man Zielposition, Geschwindigkeit und Beschleunigungen. Die einzelnen Zeilen können über Sprungbefehle verknüpft werden, sodass komplexe Bewegungsabfolgen möglich sind. Zum Start einer Bewegungabsfolge wählt man eine Listenposition beispielsweise über den Feldbus oder einen digitalen Eingang an.
Für komplexere Aufgaben wird zusätzliche eine Ablaufsteuerung mit Funktionen wie „Parameter setzen“, „Parameter modifizieren“, „Vergleichen“ und „Sprünge in Abhängigkeit bestimmter Zustände“ benötigt. Dies ist mit der Erweiterung der Fahrsatztabelle um die entsprechenden Befehle möglich, wobei ein Listeneintrag einem Befehl entspricht. Im Antriebsverstärker wird Zeile für Zeile der Kommandoliste interpretiert und ausgeführt. Beispiele für solche komplexe Motion-Aufgaben sind Greifvorgänge, die aus einem positions- und einem kraftgeregelten Anteil bestehen.
Hochsprachen-Programmierung
Wünscht der Anwender maximale Flexibilität, dann bietet eine Hochsprache oder beispielsweise ein an eine Hochsprache angelehnter, strukturierter Text nach EN 61131-3:2014-06 „Speicherprogrammierbare Steuerungen – Teil 3: Programmiersprachen“ die besten Möglichkeiten. Das Programm wird auf einem PC editiert, kompiliert, auf den Antriebsverstärker übertragen und ausgeführt. Der Antriebsverstärker muss somit eine Laufzeitumgebung für die in der Hochsprache erstellten Programme besitzen.
Mit der Flexibilität und dem Funktionsumfang einer Hochsprache steigt jedoch die Komplexität der Programmerstellung. Während sich einfache und erweiterte Fahrsatztabellen ohne große Programmierkenntnisse erstellen lassen, ist die Entwicklung von Hochsprachenprogrammen hauptsächlich Programmierern vorbehalten. Sobald Kommandos nicht mehr vordefiniert vorliegen, beispielsweise in Form von Drop-Down-Boxen, sondern in einem Editor als Text eingegeben werden, der von einem Compiler übersetzt wird, ist ein Komplexitätssprung vorhanden. Zunächst muss man Kommandoumfang der Sprache, Syntax und Semantik erlernen und die unausweichlichen Fehlermeldungen des Compilers verstehen und beheben können. Syntax-Highlighting in unterschiedlichen Farben, Schriftarten und -stilen sowie Code Completion moderner Entwicklungsumgebungen zur sinnvollen Ergänzung von Nutzereingaben erleichtern die Aufgabenstellung, ändern aber nichts an der grundsätzlichen Herausforderung.
Dezentrale Steuerungstechnik in der Anwendung
Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) sorgen für effizienten Materialfluss innerhalb eines Unternehmens. Im vorliegenden Praxisbeispiel des Unternehmens BeeWatec besitzt ein FTF eine Klemmvorrichtung, das Fahrzeug kann so Warenbehälter aufnehmen und absetzen. Das Antriebssystem im Huckepack-FTF für die Greifapplikation besteht aus dem Servoregler simco drive und der Aktuatorbaureihe cyber dynamic line. Den Klemmvorgang konnte man ohne übergeordnete Steuerung mit einer erweiterten Fahrsatztabelle realisieren: Zunächst wird über Endschalter eine Startposition der Klemmbacken angefahren. Danach wird der maximale Motorstrom auf den Wert der gewünschten Klemmkraft parametriert, sodass der Motor den Behälter mit konstanter Kraft festklemmen kann. Nach erfolgreichem Klemmvorgang wird während des gesamten Transports die Klemmkraft überwacht und ein Herausrutschen eines Behälters während der Fahrt sicher erkannt.
Mit der Servoregler-Baureihe simco drive hat der Anwender die freie Wahl zwischen zentraler und dezentraler Ansteuerung. Für den Anschluss an eine leistungsstarke zentrale Motion-Steuerung stehen die Feldbusse beziehungsweise Protokolle CAN (CANopen), Ethercat (CoE) und Profinet RT/IRT (Profidrive) mit minimalen Zykluszeiten von 500 µs zur Verfügung. Alternativ wird unter der Bezeichnung „Motion Tasks“ eine erweiterte Fahrsatztabelle angeboten, mit der sich komplexe Bewegungsabläufe abbilden lassen. Der Anwender kann auf alle Parameter des Antriebs in Form des Object Dictionary zugreifen und diese modifizieren. Zur Ablaufsteuerung werden „Warte“- und „Wenn-Dann“-Funktionen angeboten. Im Gegensatz zu einer Hochsprache kann man Motion Tasks ohne umfassende Programmierkenntnisse erstellen: Die hierfür verfügbaren Befehle werden übersichtlich und nutzerfreundlich mittels Drop-Down-Boxen dargestellt; die zugehörigen Parameter lassen sich kontextsensitiv und bereichsüberwacht verwenden.
Mit seinem Serovregler kann Wittenstein motion control die Vorteile beider Varianten vereinen, ohne dass man die möglichen Nachteile einer Variante akzeptieren muss. rt |
Dr.-Ing. Oliver Barth ist Assistent der Geschäftsleitung bei Wittenstein motion control in Igersheim.
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