26.04.2013 – Kategorie: Fertigung & Prototyping, Hardware & IT, Technik

Wenn Maschinen denken

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„Industrie 4.0“ heißt das Zauberwort, das eine komplette Neuausrichtung des Industrie-Sektors bezeichnet und als Paradigmenwechsel zu verstehen ist, der die Automatisierungsstrukturen in Unternehmen neu definiert. In dieser „vierten industriellen Revolution“ organisiert sich die Fabrik selbst. Produkte regeln ihren eigenen Produktionsprozess.

Rohlinge schicken über Funk ihren Fertigungsplan an die Fabrikanlage, Werkstücke werden zu aktiven Steuerungskomponenten in der Fabrik der Zukunft. Aus starren, unflexiblen Fertigungsanlagen werden modulare, effiziente und Ressourcen schonende „smarte Fabriken. Als Partner der Industrial Connectivity denkt die Firma Weidmüller, ein Anbieter von Automatisierungslösungen, bereits einzelne Komponenten weiter, entwickelt auf Augenhöhe mit führenden Industrie- und Forschungspartnern aber auch komplette Produktionsanlagen für die Fabrik der Zukunft, um die Vision Industrie 4.0 Realität werden zu lassen.

Ein Beispiel ist eine von der Firma Weidmüller in Kooperation mit den Universitäten Paderborn und Bielefeld sowie dem Fraunhofer Institut für Produktionstechnologie in Paderborn entwickelte Lösung für die Selbstoptimierung von Stanz-Biege-Maschinen, mit der Unregelmäßigkeiten im Produktionsprozess eigenständig korrigiert werden sollen. Das Ziel: eine Ressourcen sparende Produktion durch minimale Materialverluste, die mit einer Steigerung der Qualität durch optimale Prozessparameter einhergeht. Die Selbstoptimierung ermöglicht darüber hinaus die Realisation völlig neuer Produktinnovationen im Bereich der miniaturisierten Anschlusstechnik. Das auf drei Jahre ausgelegte Projekt läuft bis Juni 2015 und es markiert einen großen Schritt Richtung „Industrie 4.0“.

Intelligente Vernetzung

Wesentliche Basis der selbstkorrigierenden Fertigung sind eine hochpräzise Messtechnik sowie die intelligente Vernetzung der Maschinen untereinander. Ein Messsystem innerhalb der Stanz-Biege-Maschine erfasst die Kennwerte der produzierten Teile und gibt Informationen über den Output der Maschinen an eine intelligente Steuerung weiter: die Selbstoptimierung. Diese sorgt dafür, dass die Stanz-Biege-Maschine auf die Abweichungen reagiert. Werkzeuge passen sich selbstständig an und optimieren so den laufenden Fertigungsprozess.

Auf lange Sicht kann man die Selbstkorrektur so auf ganze Produktionslinien anwenden, in denen die Maschinen miteinander kommunizieren und Unregelmäßigkeiten im Prozess weitergeben. Erkennt das System am Anfang der Prozesskette, dass das Rohmaterial nicht genau die gewünschten Eigenschaften besitzt, wird diese Information automatisch weitergeleitet. Die Maschinen der nach gelagerten Produktionsstufe können das Material dann optimieren. Gleichzeitig soll diese Technologie die optimale Produktqualität auch dann garantieren, wenn der Prozess schwankt.

Eine Entwicklung, die nach Zukunftsmusik klingt – und doch längst begonnen hat. Schon heute erfolgt die automatische Identifikation von Materialien mittels RFID oder Bar-Codes – zur Fertigungssteuerung und auch zur eindeutigen Erkennung von Produkten über alle Prozesse ihres Lebenszyklus. Die weit reichende Vernetzung von Produktionsanlagen, Sensoren und Erzeugnissen ermöglicht das Erfassen von Zuständen und das Auslösen von Aktionen, um beispielsweise drohende Ausfälle frühzeitig zu erkennen und so die Verfügbarkeit sicher zu stellen. In „smarten Fabriken“ werden zukünftig die physikalische Produktwelt und die virtuelle Internetwelt untrennbar miteinander verbunden sein. In den „Cyber-Physischen Systemen (CPS)“ und im sogenannten „Internet der Dinge“ kommunizieren und handeln Produkte und Produktionsanlagen autonom und tragen so die Prozesssteuerung mit ihrer eigenen Intelligenz. Ausgehend von der spezifischen Funktion und der zentralen Steuerung jeder Maschine strebt man hin zu wandlungsfähigen Produktionsanlagen mit dezentraler Selbstorganisation.

Sinkende Fertigungskosten

Eine automatisierte und damit Ressourcen schonende Produktion reduziert die Fertigungskosten erheblich. Besonders vor dem Hintergrund der knapper werdenden Ressourcen stellt die kontinuierliche Optimierung von Fertigungssystemen wie der Stanz-Biege-Maschine von Weidmüller eine unausweichliche Herausforderung an zukunftsorientierte Betriebe. Damit sich innovative Produktionsprozesse dieser Art durchsetzen können, bedarf es leistungsfähiger, innovativer Komponenten für sichere und durchgängige Kommunikationsnetzwerke. Aufgrund einer höheren Anzahl an Netzwerkteilnehmern bestehen etwa gesteigerte Sicherheitsanforderungen an die Kommunikation, wofür die erforderlichen Technologien in den nächsten Jahren erarbeitet werden müssen. Ein Beispiel für die Evolution zur Industrie 4.0 ist die Integration von Ethernet-Schnittstellen in Geräte mit autonomer Intelligenz. Auf diese Weise wird die Möglichkeit eröffnet, lokale Informationen, beispielsweise von Sensorik und Aktorik, nicht nur weiterzuleiten, sondern direkt vor Ort zu verarbeiten. Nahezu in Echtzeit können so lokal Aktivitäten ausgelöst oder sogar Prozessentscheidungen gefällt werden.

Durchgängig von der Feldebene zur Leitebene

Ein weiterer Schritt in Richtung der Industrie 4.0 ist die effektive Kommunikation zwischen unterschiedlichen Netzwerkteilnehmern und die Durchgängigkeit von der Feldebene bis zur Unternehmensleitebene. Hierzu bedarf es kommunikationsfähiger Signalkonverter, die durch eine Ethernetschnittstelle direkt in bestehende Industrial-Netzwerkstrukturen eingebunden werden können. Das besondere ist, dass die ethernetfähigen Signalkonverter neben den typischen Funktionen wie Signalerfassung, -aufbereitung, -normierung und -ausgabe umfangreiche Diagnosefunktionen zur Verfügung stellen. Die Signalkonverter zeigen, dass die Vernetzung der automatisierungstechnischen Komponenten einfacher und effektiver gestaltet werden kann. Wenn man alle in einer Anlage vorhandenen Geräte durchgängig zu einem Gesamtsystem vernetzt, ist ein geräte-unabhängiger Austausch von Prozessdaten und Diagnosefunktionen unter den Netzwerkteilnehmern möglich.

Info:Stanz-Biege-Maschine

Vorteile der optimierten Stanz-Biege-Maschine auf einen Blick:

  • Eigenregulierung des gesamten Produktionsprozesses
  • Selbstanpassung der Werkzeuge
  • Eigenständige Materialkorrektur
  • Schnelle Reaktion auf Abweichungen
  • Minimale Materialverluste
  • Vermeidung von Ausfällen im gesamten Maschinensystem
  • Ressourcensparend
  • Weiterführende Ziele: Ausschussreduzierung auf Null, Weiterentwicklung der Technologie für Neu-Innovationen 

„Deutschland profitiert doppelt von Industrie 4.0“

Herausforderungen auf dem Weg in eine neue Produktionswelt: Michael Höing, Leiter der Division Elektronik bei Weidmüller, im Gespräch.

AUTOCAD Magazin: Industrie 4.0 ist auf der Hannover Messe derzeit in aller Munde. Woran arbeitet die Firma Weidmüller in Bezug auf diese Zukunftstechnologie?

Michael Höing: Informations- und Kommunikationstechnologie sind die Haupttreiber der Weiterentwicklung innerhalb der Industrie 4.0. Diese Technologien sinnvoll mit Komponenten und Applikationen unserer Kunden zu verknüpfen ist unser derzeitiges Entwicklungsziel. Noch ist Industrie 4.0 eine Zukunftsvision, an der heute verschiedene Firmen mit unterschiedlichen Konzepten und unterschiedlichen Ambitionen arbeiten. Aber eines Tages wird diese Vision Realität sein – davon sind wir überzeugt.

AUTOCAD Magazin: Können Sie Industrie 4.0 griffiger machen?

Michael Höing: Ausgangspunkt ist die Evolution von der Industrie 1.0 zur Industrie 3.0 – der heutigen Automatisierungstechnik. Unter Industrie 4.0 versteht man den Sprung zu zukünftigen Automatisierungsstrukturen, die derzeit in den Automatisierungshochburgen der Welt insbesondere in Deutschland entsteht. In keinem anderen Land der Welt werden mehr Standards im Bereich der Automatisierung entwickelt als hierzulande. Ziel ist eine Automatisierungsstruktur der Zukunft, die so gestaltet ist, dass extrem wandlungsfähige Produktionsanlagen entstehen. Diese Wandlungsfähigkeit erlaubt es, schnell und einfach auf sich ändernde Kundenwünsche zu reagieren und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu fertigen. Um dieses zu realisieren, sind alle Komponenten über ein Netzwerk verbunden, in dem sie interaktiv miteinander kommunizieren. Voraussetzung dafür ist eine starke Interaktion zwischen all den Produkten von Elektronikkomponenten, die am Automatisierungsprozess beteiligt sind.

AUTOCAD Magazin: Künftig wird eine Produktionsanlage also die Teile nach den  Wünschen eines spezifischen Kunden in Kleinserien fertigen?

Michael Höing: Dieses neue System klingt zunächst sehr futuristisch – und tatsächlich kann heute noch niemand sagen, wie es denn eines Tages wirklich aussehen wird. Schließlich gibt es bislang noch kein Unternehmen, das diesen Status bereits erreicht hat – doch viele Unternehmen wissen, wohin es gehen soll. Und genau dieser futuristische Ansatz führt uns zu den Lösungen, die Industrie 4.0 künftig attraktiv machen werden. Heute wird von zentraler Stelle aus kommuniziert, was produziert werden soll und die Maschine oder die Fertigungsanlage entsprechend gesteuert. Doch diese Steuerung wird es bei Industrie 4.0-Systemen nicht mehr geben. Die klassische Automatisierungspyramide wird abgelöst durch ein  Netzwerk, das durch viele intelligente Komponenten gekennzeichnet ist, die in diesem Netzwerk agieren.

AUTOCAD Magazin: Die Zukunft gehört also dem freien Spiel der Elemente des Netzwerks?

Michael Höing: Bei den heutigen Fertigungsanlagen geht es darum, möglichst effizient eine möglichst große Anzahl gleichartiger Teile zu produzieren. Doch zusehends treten die individuellen Kundenbedürfnisse immer stärker in den Vordergrund. In der Automobilproduktion ist das schon an der Tagesordnung – jedes ausgelieferte Auto wurde quasi individuell produziert. Und für die Zukunft wird dies für viele andere Güter ebenfalls gelten. Die Anforderungen an die Flexibilität der Produktionssysteme nehmen massiv zu, Wandlungsfähigkeit ist das Stichwort der Zukunft. Künftig steuert man nicht mehr Top-down, sondern gibt im Prinzip den Rohstoffen schon die Informationen mit, welche verschiedenen Fertigungsschritte erforderlich sind, damit am Ende das kundenindividuelle Produkt entsteht.

AUTOCAD Magazin: Welche Herausforderungen sehen Sie dabei?

Michael Höing: Eine Kernfrage ist, wie man dieses Netzwerk der Industrie 4.0 gegen Spionage, Hacken usw. sichern kann. Die neuen Automatisierungskonzepte werden gekennzeichnet durch sehr viel mehr Interaktion, also durch eine auch sehr viel stärkere autonome Steuerung der Produktionseinrichtungen und des Datenaustauschs. Für Weidmüller bedeutet dies, dass wir daran arbeiten, wie bestehende oder neue Produkte in die Industrie-4.0-Welt integriert werden. Dabei müssen unsere Produkte hinsichtlich Informations- und Kommunikationstechnologien ertüchtigt werden – sonst sind sie nicht Industrie-4.0-tauglich.

AUTOCAD Magazin: Inwiefern ist das Thema langfristig wichtig für den Standort Deutschland?

Michael Höing: Die meisten Industrie-4.0-Aktivitäten zeigt derzeit fast ausschließlich die Automatisierungsbranche in Deutschland und zwar ausgehend von der Überlegung, Produktionsanlagen zu schaffen, die neben der notwendigen Flexibilität auch das Beibehalten der Produktion in Hochlohnländern ermöglicht.  Über intelligente Produktionsanlagen wird die Automatisierung oder die Automatisierungs-Community dieses Thema treiben bis hin zu Anlagen, die sich letztlich selbst steuern, selbst optimieren und die damit ganz neue Produktionsmöglichkeiten erlauben.

AUTOCAD Magazin: Wie wird das dann konkret funktionieren? Also, was wird in der Fabrik der Zukunft vor sich gehen?

Michael Höing: Eines der Konzepte, die derzeit verfolgt werden, ist die Kontrolle der Maschinen durch mobile Endgeräte oder mittels Fernzugriff.  Damit ließe sich zum einen die Produktion effizienter gestalten und zum anderen die Produktionsanlage jederzeit von jedem Ort komplett kontrollieren. Allerdings darf es dabei nicht zu unerlaubten Zugriffen auf die Daten kommen. Software und die dazu gehörenden Sicherheitsmechanismen sind daher ein großes Thema für die Realisierung von Industrie 4.0.

AUTOCAD Magazin: Der Software kommt eine ganz neue Bedeutung zu?

Michael Höing: Industrie 4.0 beginnt erst, wenn die Komponente selber weiß, welche Daten sie benötigt. Diese Methoden und Mechanismen gibt es heute noch nicht, aber sie werden entstehen. Damit kommt in dieser gesamten Industrie-4.0-Welt der Software eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Während die Hardware nur noch ein Prozessinterface darstellt, wird sie erst durch Software und insbesondere auch durch sich ständig wandelnde Software veredelt und kann völlig unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Daher kommt der Software eine Schlüsselfunktion zu.

AUTOCAD Magazin: Reicht es nicht, wie bisher die Effizienz in der Produktion zu steigern?

Michael Höing: Die Kunden fordern zunehmend auf die individuellen Anforderungen angepasste und gefertigte Produkte, und nicht mehr Produkte von der Stange. Die Automatisierungssysteme von morgen, die dafür erforderlich sind, kann man nicht mehr erzeugen, indem man einfach sagt, man erhöht den Output und wird effizienter – also 150 statt bisher 100 Kaffeemaschinen pro Tag. Der Schlüssel liegt in der Flexibilität der Fertigung – also verschiedene und individuellere Modelle in kürzerer Zeit! Oder in einer Lackieranlage, in der man zwölf verschiedene Lacksorten hat, die alle durch die gleiche Anlage geschickt werden. Wenn dies gelingt, erringen wir einen riesigen Wettbewerbsvorteil in der Kundenorientierung durch Flexibilität. 

Bild: Ein Beispiel für die Umsetzung des Industrie-4.0-Konzepts ist eine von der Firma Weidmüller in Kooperation mit den Universitäten Paderborn und Bielefeld sowie dem Fraunhofer Institut für Produktionstechnologie in Paderborn entwickelte Lösung für die Selbstoptimierung von Stanz-Biege-Maschinen.

Michael Höing: „Die klassische Automatisierungspyramide wird abgelöst durch ein  Netzwerk, das durch viele intelligente Komponenten gekennzeichnet ist, die in diesem Netzwerk agieren.“ 


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