10.09.2015 – Kategorie: Hardware & IT

Virtuelle Produktentwicklung: Simulation in der frühen Entwicklungsphase

Virtuelle Produktentwicklung

Ob Waschmaschine oder Auto: Kaum ein Produkt geht in die Produktion, ohne dass man es zuvor mittels Simulationen auf Herz und Nieren geprüft hat. Simulation als Baustein eines vollständig virtuellen Entwicklungsprozesses wird künftig noch wichtiger – und auch für kleine Unternehmen erschwinglich. Von Volkmar Schönfeld

Ihren Siegeszug verdanken Simulationsmethoden der rasant gestiegenen Rechenleistung und der Parallelisierung der Algorithmen für Rechner mit vielen Prozessorkernen. Vor allem nichtlineare Effekte wie Materialversagen lassen sich heute sehr genau modellieren. Die Dauer eines Rechenlaufs – speziell sehr großer Modelle – hat sich indes kaum geändert. Auch heute ist die Rechnung „über Nacht“ das Maß. Nur: Die Ergebnisse sind bei weitem aussagekräftiger als noch vor einigen Jahren, weil bei gleicher Rechendauer eine wesentlich höhere Detailgenauigkeit möglich ist.
Diese höhere Genauigkeit hat auch den Stellenwert der Simulation in den Unternehmen verändert. Diente die virtuelle Produktentwicklung früher lediglich dazu, auf experimentellem Weg gewonnene Daten mathematisch abzusichern oder eingetretene Problemfälle zu untersuchen, wird die Simulation heute bereits in einer frühen Entwicklungsphase eingesetzt. Sie ist ein maßgeblicher Entwicklungstreiber und macht oftmals den Versuch überflüssig.

Virtuelle Produktentwicklung: Klassiker Crashtest

Besonders deutlich wird das am Beispiel des Fahrzeug-Crashtests, einem Klassiker unter den Simulationsanwendungen. Früher wurden Dutzende Autos an die Wand gefahren, um das Verhalten von Karosserie oder Rückhaltesystemen zu beurteilen. Dann kamen realistische Simulationen ins Spiel, die das reale Verhalten von Bauteilen mit der Methode der Finiten Elemente mit hoher Prognosegüte virtuell nachmodellierten. Im Verlauf der letzten Jahre wurden diese Berechnungen so genau, dass manche Automobilhersteller mittlerweile in der Entwicklungsphase weitgehend auf physische Crashtests verzichten. Das erspart der Schrottpresse Tonnen zerstörter Autos und damit enorme Kosten. Es beschleunigt außerdem den Entwicklungsprozess erheblich. Kleine Änderungen an der Karosserie, die man früher mühsam nachbauen musste, erfordern heute in der virtuellen Produktentwicklung nur wenige Mausklicks und ein paar Stunden Rechenzeit, um die Variation des Crashverhaltens zu berechnen.

Wenn das Material der virtuellen Produktentwicklung versagt

Insbesondere die sogenannten Nichtlinearitäten, zum Beispiel Kontaktvorgänge sowie nichtlineares Materialverhalten, haben die heutigen virtuellen Modelle im Vergleich zu früher besser im Griff. Werkstoffe dehnen sich linear bei geringer Lasteinleitung, was wiederum leicht zu berechnen ist. Bei höheren Belastungszuständen tritt jedoch eine irreversible Schädigung ein, seien es plastische Verformungen oder Werkstoffversagen durch Bruch oder Delamination. Physikalische Vorgänge, die sich virtuell nur mit guter Kenntnis der Versagensphysik und der Materialkennwerte verlässlich darstellen lassen. So ist es nur konsequent, dass beispielsweise der neue Airbus A350, der mehr als jedes andere Verkehrsflugzeug zu einem hohen Grad aus Verbundwerkstoffen besteht, in seiner Entwicklungsphase intensiv mit Simulia-Produkten von Dassault Systèmes simuliert wurde. Die Lösungen beherrschen Nichtlinearitäten. Eine Eigenschaft, die bei der Entwicklung „toter“ Bauteile hilft, aber ebenso in der Medizintechnik. Denn der menschliche Körper ist das nichtlinearste „Bauteil“, das man sich vorstellen kann.

Virtuelle Produktentwicklung: Neue Märkte für die Simulation

Ein interessanter Markt für die Simulation ist deshalb die Medizintechnik, denn medizinische Geräte wie etwa Stents oder Implantate lassen sich nicht ohne weiteres im Einsatz testen. „Crash-Tests“ am Patienten verbieten sich selbstredend. In einem aktuellen Entwicklungsprojekt haben Experten von Dassault Systèmes einen verbesserten Stent konstruiert, einen geflochtenen Schlauch aus Nitinol, der verengte Blutgefäße weitet und Infarkte verhindern soll. Das Design stammt aus dem CAD-Programm SolidWorks, die rechnerische mechanische Absicherung erfolgte mit Abaqus. Die Simulation zeigt, wie sich der Stent unter dem Pulsieren des Blutes verhält. Der Clou: Simulia Tosca Structure führt eine automatisierte Strukturoptimierung aus. Es analysiert die Ergebnisse der Finite-Elemente-Simulation und verändert die Bauteilgeometrie, um dem angestrebten optimalen Bauteilverhalten insbesondere mit Blick auf seine Lebensdauer nahezukommen. Dieser Prozess aus Simulation, Ergebnisinterpretation und Verbesserung der Konstruktion wird solange automatisiert wiederholt, bis das Optimum erreicht ist.
Ein weiterer interessanter, junger Zielmarkt ist die Nahrungsmittelindustrie, insbesondere die Verpackungsindustrie. Wenn eine Milchtüte auf den Boden fällt oder eine Würstchenverpackung in der Wärme undicht wird, sind jede Menge Physik und kompliziertes Materialverhalten im Spiel – für anspruchsvolle Simulationen ein ideales Einsatzfeld.

Virtuelle Produktentwicklung: Simulation in der Cloud

Das Arbeiten via Cloud wird bereits in vielen Unternehmen diskutiert. Interessant ist daher die Frage, welchen Einfluss ihre Nutzung auf die Berechnung haben wird. Es dürfte vermutlich auf eine Zweiteilung hinauslaufen. Unternehmen mit sehr hohem Simulationsanteil in der Entwicklung und entsprechenden Hardware-Ressourcen werden wohl eher die „Private Cloud“ bevorzugen, um ihre sensiblen Daten zu schützen. Unternehmen mit geringerem Simulationsumfang dürften sich eher in Richtung einer „Public Cloud“ bewegen, mit den Vorteilen einer flexiblen Nutzung ohne eigene Hardware-Ressourcen. Damit verringert sich die Einstiegshürde für Unternehmen in die Welt der Simulation. Die Visualisierung von Simulationsergebnissen auf mobilen Endgeräten wie etwa Tablets ist ein weiterer Trend. Die Modellerstellung wird aber aus Gründen der Bildschirmgröße auf absehbare Zeit auf herkömmlicher, stationärer Hardware stattfinden.

Rückenwind für die virtuelle Produktentwicklung durch 3D-Druck

Die sich ausbreitenden additiven Fertigungsverfahren, zum Beispiel 3D-Druck, bieten interessante neue Möglichkeiten der Produktgestaltung. Dies verleiht auch Optimierungsverfahren wie der Topologie-Optimierung Rückenwind. Lassen sich mit dieser Methode doch an bionischen Strukturen orientierte Bauteilentwürfe ermitteln, die mit klassischen Herstellungsprozessen oftmals schwierig umzusetzen sind, sich dafür aber mit additiven Fertigungsverfahren einfacher realisieren lassen. Mit Hilfe von 3D-Druckverfahren hergestellte Bauteile sind heute (noch) prozessbedingt überwiegend in Industrien mit kleinen Losgrößen zu finden.

Virtuelle Produktentwicklung: Verzahnte Entwicklungswerkzeuge

Auf der 3D-Experience-Plattform vereint Dassault Systèmes alle Software-Werkzeuge zur virtuellen Bauteilentwicklung unter einem Dach und vermeidet lästige Schnittstellen zwischen den verschiedenen Werkzeugen für CAD-Konstruktion, Simulation, Optimierung, Datenmanagement und vielem mehr. Wie der Name schon sagt: Das Erlebnis spielt zunehmend eine wichtige Rolle. So können Entwickler längst nicht mehr nur ein hinsichtlich mechanischer Eigenschaften optimiertes Produkt entwerfen, sondern auch das Design optimieren und die Wahrnehmung und Attraktivität des Produkts im Verkaufsraum simulieren und folglich auch optimieren.
Sicher ist, die durch Simulationen produzierte Datenmenge wird weiter steigen. Eher unkritisch ist dabei der Plattenplatz, denn dieser ist billig und nahezu unbeschränkt verfügbar. Das Problem liegt eher in der Verwaltung der Daten. Auch hier liefert die 3DExperience-Plattform mit ihrer datenbankbasierten Arbeitsweise eine Antwort. Sie erlaubt das team- und fachübergreifende Verwalten von Simulationsdaten, die Definition automatisierter Berechnungsprozesse sowie die effiziente Nutzung von Ergebnisdaten für Entscheidungsfindungen. Somit hilft die Plattform, die zunehmende Datenmenge aus der Berechnung zu kanalisieren und die gewonnenen Erkenntnisse aus der Berechnung anderen Unternehmensbereichen zur Verfügung zu stellen. Letztendlich Wissensmanagement in der Simulation – eine Vorgehensweise, die man bislang eher von der Konstruktion kannte.

Volkmar Schönfeld, Simulia Sales EuroCentral bei Dassault Systèmes.

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