17.04.2023 – Kategorie: Fertigung & Prototyping

Virtuelle Maschinen: Der digitale Zwilling passt sich an

Virtuelle MaschinenQuelle: Open Mind

Ein bereits vorbearbeitetes Rohteil mit geringem Aufmaß auszurichten – etwa ein Gussteil oder aus dem 3D-Druck, war bisher eine zeitaufwendige Aufgabe. Das Bauteil musste exakt so eingespannt werden, dass der NC-Code anwendbar war. Eine neue Funktion dreht das Prinzip um: Der NC-Code passt sich automatisch an die Realität an.

Virtuelle Maschinen im Einsatz: Das Schlichten nach einer thermischen Behandlung des geschruppten Werkstücks, das Nachbearbeiten eines reparierten Werkstücks, die Bearbeitung von Gussteilen oder von geschmiedeten Rohlingen – in all diesen Fällen muss ein Objekt auf einer Maschine sehr genau ausgerichtet werden, damit das Werkzeug in der Maschine das Bauteil so bearbeiten kann, wie die Werkzeugwege programmiert wurden. Solche Nachbearbeitungen werden mit der breiteren Anwendung additiver Verfahren zukünftig noch häufiger notwendig sein, denn Stützstrukturen und Oberflächen, denen man den schichtweisen Auftrag ansieht, sind beim 3D-Druck unvermeidlich.

Additive und subtraktive Fertigung

Hybride Bearbeitungszentren, die 3D-Druck und zerspanende Nachbearbeitung direkt hintereinander in einer Aufspannung ausführen, sind praktisch aber nur für einen kleinen Teil der Fertiger wirtschaftlich sinnvoll. Normalerweise finden additive und subtraktive Fertigung auf verschiedenen Maschinen statt, denn dann ist man insgesamt flexibler in der Belegung von Fertigungskapazitäten. Das heißt aber auch, dass man zusehen muss, dass das im Direct-Energy-Deposition-Verfahren (DED) oder im Wire Arc Additive Manufacturing (WAAM) erzeugte Teil so in der Fräsmaschine für die Nachbearbeitung positioniert wird, dass Nullpunkt und Achsen zum NC-Code passen.

Virtuelle Maschinen
Wie bei Gussteilen müssen beispielsweise Funktionsflächen mechanisch nachbearbeitet werden. Bei der Aufspannung setzt einen neue CAM-Funktion an und vereinfacht diese erheblich. Bild: Open Mind

Passt es?

Da mehrere Ebenen und somit auch Achsen gleichzeitig berücksichtigt werden müssen, braucht die Bauteilausrichtung viel Erfahrung, Geduld und Zeit. Um dabei zum Beispiel 3D-gedruckte filigrane Bionik-Strukturen exakt fertigzustellen und nicht zu zerstören, müssen Nullpunkt und Lage des Teils nach der Aufspannung mit engen Toleranzen, meist im Bereich von wenigen hundertstel Millimetern, bekannt sein. Manuelles Ausrichten dauert in der Regel sehr lange und stellt eine der größten Produktivitätshürden dar. Das Bauteil wird mit Messuhr, Steuerungszyklen und viel Feingefühl ausgerichtet. Dieser zeitaufwendige Prozess der Anpassung einer realen Aufspannung an die virtuelle Welt der Programmierung muss oft mehrmals wiederholt werden. Trotzdem bleibt ein Restrisiko, dass man einen vielleicht sehr teuren Rohling beschädigt, statt ihn fertig zu stellen.

Virtuelle Maschinen als Alternative

In der virtuellen Maschine der CAD/CAM-Suite Hypermill hat Open Mind mit der Funktion Best Fit eine neuartige Alternative zur manuellen Ausrichtung von Werkstücken für die Weiterbearbeitung entwickelt. Voraussetzung ist ein 5-Achs-Fräszentrum mit digitalem Messtaster. Das unausgerichtete Rohteil wird auf der Maschine in einer 3D-Messung angetastet und das Messprotokoll an das CAM-System gesendet. Die Software passt den NC-Code an die reale Bauteilposition an. So wird jetzt die virtuelle Welt der Programmierung an die reale Welt der Aufspannung angepasst.

Der Prozess beginnt damit, dass man eine Messaufgabe anlegt. Das System holt sich so die Informationen über die realen Gegebenheiten. Beim Setzen der Messpunkte unterstützt die Software den Anwender, indem sie die Verschiebung des realen Rohlings im Vergleich zum digitalen Zwilling simuliert. So wird festgelegt, wo die Tastpunkte sind. Auf Basis des Messprotokolls wird der korrigierte NC-Code erzeugt. Wichtig: Der neue Code wird dann in der virtuellen Maschine auf der tatsächlichen Aufspannsituation simuliert und automatisch optimiert. Das System erzeugt hundertprozentig kollisionsgeprüfte Werkzeugwege, denn in der Simulation werden die geänderten Wege und Ausgleichswege in Bezug auf die Maschinenlimitationen überprüft.

Virtuelle Maschinen
Egal, ob Maschinenwechsel, oder Konturnahe Nachbearbeitung: Der sogenannte Best-Fit-Prozess passt das NC-Programm kollisionssicher an die reale Aufspannsituation an. Bild: Open Mind

Zwar war der ursprüngliche NC-Code kollisionsgeprüft, aber durch die ungenaue Einspannung muss man von einer neuen Kollisionssituation ausgehen. Im letzten Schritt wird durch erneutes Tasten verifiziert, dass virtuelle Welt und Realität tatsächlich übereinstimmen. Wenn in der Serienfertigung alle Rohteile gleich einspannt sind, reicht dieser letzte Verifikationsschritt, um sicherzustellen, dass alle Bauteile richtig sitzen.

Virtuelle Maschinen: Flexibel und entspannt

Die manuelle Ausrichtung durch eine automatische zu ersetzen, erhöht die Prozesssicherheit und spart viel Zeit. Da dem kurzfristigen Maschinenwechsel zwischen Bearbeitungsschritten der Schrecken genommen ist. Somit erhöht der Einsatz eines solch flexiblen digitalen Zwillings in der NC-Code-Anpassung auch die Flexibilität der Fertigung insgesamt. Gerade Fertiger, die häufig additiv gefertigte Werkstücke schlichten müssen, profitieren von dieser neuen Technik.

Der Autor Manfred Guggemos ist Produktmanager bei OpenMind.

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