Unternehmensweiter CAD-Systemwechsel bei Daimler

V6 3DLive

DIGITAL ENGINEERING Magazin: Herr Löhr, die Daimler AG hat im September 2010 den Vertrag mit Dassault zwar bis 2015 verlängert, doch am 24. November wurde mitgeteilt, dass Daimler ab 2012 schrittweise CATIA durch NX von Siemens ersetzen will. Das muss doch ein Schock für Sie alle gewesen sein…
Achim Löhr: Sicherlich waren wir erstaunt, dass eine solche Entscheidung zu diesem Zeitpunkt gefällt worden ist. Andererseits hat sich das in den letzten Monaten abgezeichnet. Der Auswahlprozess bei Daimler war von der IT mit Randbedingungen belegt, die es für uns schwierig machten, den wirklichen Wert unserer V6-Lösung zu zeigen. Der Mehrwert von V6 liegt aber gerade in der hohen Prozessintegration und den Collaborations-Möglichkeiten im Rahmen der Produktentwicklung über alle Disziplinen hinweg.

DEM: Daimler sieht durch den Wechsel auf NX offenbar große Einsparpotenziale. Dabei konnte der Autohersteller wie mehrere andere Automotive-Unternehmen erst vor wenigen Jahren den langen Prozess des Umstiegs von CATIA V4 auf V5 abschließen. Jetzt verspricht sich das Unternehmen offenbar größeren Mehrwert von einem Anbieter- und Systemwechsel als vom Umstieg auf CATIA V6, der doch erwartungsgemäß weniger aufwendig sein müsste…
Achim Löhr: Zunächst: Daimler hat spezifische Wünsche an das künftige System, deren Ursprung freilich in Smaragd, einem hoch angepassten PDM-System, liegen. Die Frage nach den Einsparpotenzialen ist trotzdem richtig, und wir können diese Frage von außen natürlich nur schwer beantworten. Vor allem sehen wir eine zusätzliche Belastung auf die Zulieferer zukommen, insbesondere, was die Migration der Daten betrifft, da die Zulieferer in Zukunft unter Umständen mit zwei PLM-Systemen umgehen müssen.

DEM: Hat sich Dassault mit seiner Strategie, CATIA V6 tiefer als zuvor in ENOVIA zu integrieren und damit an dieses PDM-System zu binden, bei Daimler selbst aus dem Rennen gebracht?
Achim Löhr: Im Falle Daimler mag das zutreffen, weil man dort auf die Integration der Geometriedaten in das Smaragd-System auf unterster Ebene bestanden hat. Aus unserer Sicht ist das wie gesagt nicht ausschlaggebend für eine sinnvolle Integration von Daten und Prozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Daimler setzt seine Schwerpunkte also stärker auf das Datenmanagement und weniger auf die Durchgängigkeit der Prozesse. Hier gab es dann auch die strategischen Differenzen, denn wir möchten ein System für die weltweite Automobilindustrie liefern, nicht nur für einen Anbieter.

DEM: Wird Dassault seine Strategie gegenüber den OEMs verändern?
Achim Löhr: Nein, unsere Strategie ist langfristig ausgerichtet. Die vielen erfolgreichen Projekte und das Feedback anderer OEMs, auch aus anderen Industrien, bestätigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Außerdem ist es ja nicht so, dass wir nicht im engen Kontakt mit OEMs stehen. Wir unterhalten in vielen Bereichen enge und vertrauensvolle Entwicklungspartnerschaften weltweit, um unseren Kunden wegweisende und zukunftsfähige Lösungen anzubieten.

DEM: Grundlage für die Entscheidung von Daimler für NX war das unternehmensweite PDM-System Smaragd, das auf Teamcenter von Siemens basiert. Bedeutet dies, dass die abteilungsübergreifende IT immer wichtiger wird und Systementscheidungen in der Konstruktion zunehmend prägt?
Achim Löhr: Diese Tendenzen können wir so nicht bestätigen. Allerdings haben nahezu alle OEMs im PDM-Umfeld eine eigene Historie und jeder setzt ein anderes System ein. Die IT-Abteilungen haben bei PLM-Entscheidungen natürlich ein gewichtiges Wort mitzureden, gilt es doch, Hunderten oder Tausenden von Benutzern ein System mit höchster Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit zur Verfügung zu stellen. Es liegt auf der Hand, dass man sich dabei oft scheut, größere Veränderungen anzugehen, um das Projektrisiko zu minimieren. Langfristig mag das nicht immer die beste Strategie sein, weil die Integration der Prozesse im Produktentstehungsprozess mehr Intelligenz benötigt als den Austausch von Metadaten.

DEM: Heißt das auch, dass künftig bei vielen OEMs die Optimierung des Produktentstehungsprozesses über Abteilungsgrenzen hinweg im Mittelpunkt steht? Dass Systementscheidungen eher aus dieser Warte heraus angestoßen werden?
Achim Löhr: Die Integration über Abteilungs-, Standort- und Firmengrenzen hinweg sowie die weltweite Zusammenarbeit spielt eine sehr große Rolle. Genau diese Anforderungen wurden mit V6 verwirklicht und sind der Kernbestandteil unserer V6-Plattform.

DEM: Daimler plant „die Einführung paralleler Prozesse in Entwicklung, Konstruktion, Produktionsplanung und Produktion“, um Zulieferer frühzeitig zu integrieren und die gesamte Wertschöpfungskette weiter zu optimieren. Hierzu gibt es auch ein Lösungsangebot von Dassault, das RFLP-Konzept (Requirements to Features to Logical to Physical) in ENOVIA V6. Wie weit sind die Umsetzungen des RFLP-Konzepts in der Industrie?
Achim Löhr: Aufgrund vertraglicher Bindung dürfen wir leider noch nicht darüber sprechen, nur so viel: Bei einem französischen OEM sowie bei einem OEM in Deutschland sind diese Konzepte gerade in der Umsetzung und teilweise auch schon produktiv im Einsatz.

DEM: Wie sehen Sie die PDM/PLM-Positionierung von Dassault heute?
Achim Löhr: Wir bedienen elf Industrien. Unsere ENOVIA-Lösungen finden Sie mit unterschiedlicher geographischer Verteilung in allen diesen Industrien und zwar bei Kunden jeder Größenordnung. Beispielhaft möchte ich hier die Automobilindustrie, die Luft- und Raumfahrtindustrie, den Maschinenbau oder die High-Tech-Industrie nennen.

DEM: Anlässlich der Version V6R2011x schrieb Dassault im Dezember 2010: „Mit V6R2011x setzt Dassault Systèmes das langfristige Engagement für offene Lösungen fort mit einem erweiterten Support für Standards wie beispielsweise STEP oder 3DXML.“ Genügt das?
Achim Löhr: Wir waren schon immer offen für Standards aus der Industrie und bringen auch eigene Vorstellungen in Standardisierungsbemühungen mit ein. Wenn wir entsprechende Schnittstellen nicht selbst liefern, dann können Sie in der Regel davon ausgehen, dass diese von Entwicklungspartnern angeboten werden. Das gilt zum Beispiel für JT.

DEM: Wie funktioniert V6 in einer heterogenen Software-Landschaft? Oder wurde V6 in erster Linie für ein durchgängiges Konzept innerhalb des Lösungsportfolios von Dassault entworfen?
Achim Löhr: Wir integrieren andere PDM-Systeme wie zum Beispiel SAP in V6. Wir legen einen hohen Wert auf die Konsistenz der Produkt- und Prozessdaten über verschiedenste Gewerke hinweg. Um dies zu gewährleisten, findet die Integration von Fremdsystemen deshalb teilweise auf einer höheren Ebene statt. Generell bietet Dassault Systèmes schon immer offene Systeme an, das können Sie auch an den mehreren hundert Applikationen von Drittanbietern für die enge Zusammenarbeit mit unseren PLM-Lösungen ablesen.

DEM: Herr Löhr, vielen Dank für das Gespräch.
(DÜNNER STRICH)
Das Interview führte Thomas Otto.

KENNZIFFER: DEM21403

ZITAT: „Der Auswahlprozess bei Daimler war von der IT mit Randbedingungen belegt, die es für uns schwierig machten, den wirklichen Wert unserer V6-Lösung zu zeigen.“

(Achim Löhr.bmp)@BU: Achim Löhr ist Director PLM Value Channel, Central Europe, bei der Dassault Systemes Deutschland GmbH.

(V6 3DLive.bmp)@BU: Visualisierungs- und Collaboration Tool 3DLive von Dassault Systèmes.

Bilder: Dassault Systèmes


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