04.02.2020 – Kategorie: Konstruktion & Engineering
Tragbilder auf dem Prüfstand – Diese Software für Hubschrauber-Getriebe vermeidet Fehler
Forscher der TU Wien haben ein Getriebe für einen unbemannten Hubschrauber entwickelt – zunächst erreichte die Konstruktion die erwünschten Tragbilder nicht – eine Analyse mit geeigneter Software führte zum Ziel. › von Hanns Amri, Katharina Hartenthaler, Thomas Koo und Jürg Langhart
- Forscher der TU Wien haben ein Getriebe für einen Hubschrauber entwickelt.
- Die Konstruktion erreichte die erwünschten Tragbilder nicht
- Eine Analyse mit geeigneter Software führte zum Ziel.
Der Forschungsbereich Maschinenelemente der TU Wien unter der Leitung von Professor Dr.-Ing. Weigand hat seinen Forschungsschwerpunkt im Bereich der Luftfahrtantriebssysteme. Hierzu zählen Antriebsstränge von Drehflüglern aller Größenordnungen, aber auch Getriebe von Flächenflugzeugen und Turbinen. Die Tätigkeiten reichen von Konzeptauslegungen über detaillierte Analysen von Getrieben, bis hin zu Zertifizierungsfragen und Prüfstandversuchen.
Ein stark wachsendes Segment in der Luftfahrt sind neue Antriebskonzepte im Bereich der Unmanned Aerial Vehicle (UAV). Dazu gehören beispielsweise autonom fliegende Hubschrauber mit einer Abflugmasse im Bereich einiger hundert Kilogramm. Ein solches UAV ist der Camcopter S-100 der österreichischen Firma Schiebel Elektronische Geräte GmbH. Der unbemannte Hubschrauber hat eine Gesamtabflugmasse (MTOW) von 200 kg bei einer Zuladung von 50 kg und wird von einem Wankelmotor angetrieben. Die Maximalgeschwindigkeit beträgt 240 km/h, die Flughöhe maximal 5.500 m und die Einsatzdauer mindestens 6 Stunden.
Im Rahmen des kooperativen Forschungsprojektes Optimierte Hubschrauberantriebe Made in Austria OHA zwischen der TU-Wien und der Firma Schiebel wurde das neue Getriebedesign an einem eigens gebauten Prüfstand am Institut für Konstruktionslehre an der TU Wien analysiert.
Kegelradsatz liefert keine zufriedenstellenden Tragbilder
Die untersuchte Kegelradstufe ist die Ausgangsstufe zum Hauptrotor, mit einer Übersetzung von rund 1,9 und einen Achswinkel ungleich 90 Grad. Der Kegelradsatz wurde im konventionellen „Face Milling“-Verfahren gefertigt. Die Mikrogeometrie wurde speziell für diesen Radsatz ausgelegt, denn aufgrund des radikalen Leichtbaus in der Luftfahrt fallen hier die Verformungen des Getriebes größer aus als beispielsweise bei Industriegetrieben.
Der Radsatz wurde zusammen mit den neuen Tragbildvorgaben der TU Wien an den Kegelradhersteller übergeben. Dieser zeichnete sich für die Herstellung und auch die Festlegung der Flankenmodifikationen verantwortlich.
Es zeigte sich am Prüfstand, dass der gefertigte Kegelradsatz keine zufriedenstellende Tragbildlage aufweist. Das Tragbild war deutlich zu Ferse und Kopf am Tellerrad verschoben. Daraus entstand die Problemstellung sowie Herausforderung, mit der Berechnungssoftware Kisssys – dem Systemaufsatz von Kisssoft – die Fehlerursache auszumachen und die maßgeblichen Parameter zu ermitteln und zu beheben.
Die Kegelradstufe wurde Kisssys ausgelegt und das Tragbild einschliesslich der entsprechenden Höhen- und Breitenballigkeiten sowie Spiralwinkel-/Eingriffswinkelkorrekturen modelliert und unter verschiedenen Laststufen berechnet.
Tragbilder: Kontaktanalyse der Kegelradstufe
Die Forscher haben eine Kontaktanalyse unter Volllast durchgeführt und das Tragbild am Tellerrad bewertet. Die Kontaktanalyse verwendet für die Berechnung der Tragbildlage ein Kegelradmodell auf Basis der Ersatzstirnradverzahnung, sowie die Definition von mathematischen Flankenmodifikationen. Im Gegensatz dazu basiert die konventionelle Herstellung auf dem theoretischen Abwälzen am Planrad und Flankenmodifikationen auf Grundlage der Maschineneinstellungen.
Da die Kegelräder in der Regel große Balligkeiten aufweisen, ist der Unterschied auf die Tragbildlage gering und somit eine Simulation in Kisssoft für eine prinzipielle Abschätzung des Flankentragens möglich. Die Kontaktanalyse liefert zusätzlich eine Bewertung des Radsatzes nach verschiedensten Kriterien wie Zahnfußspannung, Flankenbruch oder Fressen. Sensitivere Kriterien wie die Geräuschbewertung aus der Drehwegabweichung hingegen benötigen erfahrungsgemäß die reale Topologie aus der Fertigungssimulation.
Tragbildverlagerungen – Abgleichung der Verzahnungsdaten mit den Herstellungsdaten
Um die Ursache des fehlerhaften Tragbildes auf dem Prüfstand zu finden, wurden zuerst die Verzahnungsdaten mit den Herstellungsdaten abgeglichen und der Radsatz auf allfällige Herstellungsfehler untersucht. Hier zeigten sich zwischen den Berechnungsvorgaben und den Ausführungen keine Unterschiede. Auch die Belastungsannahmen aus der Simulation waren korrekt und stimmten mit den Messwerten überein, die am Prüfstand gewonnen wurden.
Als weitere mögliche Quelle für das fehlerhafte Tragbild wurde anschließend das Verdrehflankenspiel geprüft, das durch die Montage des Tellerrades eingestellt wurde.
Tragbildversuche am Prüfstand
In Kisssoft wurde anschließend eine Parameterstudie mit unterschiedlichen Einbaudistanzen des Tellerrades durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass in der Simulation das fehlerhafte Tragbild vom Prüfstand sehr gut erreicht werden konnte.
Dieses Resultat wiederum legte die Vermutung nahe, dass auf dem Prüfstand die Montage des Tellerrades bezüglich der Einbaudistanz und damit das Verdrehflankenspiel fehlerhaft war. Eine Kontrolle der Montage hat ergeben, dass dieses tatsächlich nicht richtig eingestellt war, was zu dem unerwarteten Ergebnis geführt hatte. Nach Korrektur der Einbaudistanz des Tellerrades konnte somit am Prüfstand ein identisches Tragbild zur Simulation in Kisssoft erreicht werden.
Eine ungünstige Lage der Tragbilder führt unter hohen Belastungen zu einer ungleichmäßigen Lastverteilung über die Flanke und somit zu Spannungsüberhöhungen, was sich nachteilig auf die Tragfähigkeit auswirkt. Mit dem korrekten Tragbild konnte eine gleichmäßige Lastverteilung erreicht werden.
Erfahrung ist gut – Kontrolle ist besser
Das neue Design einer Kegelradverzahnung und die Festlegung der Flankenmodifikationen wurden in der Vergangenheit häufig vom Hersteller nach eigenen Erfahrungswerten ausgeführt. In der Luftfahrt führt diese Vorgehensweise nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen, da diese Getriebe auf Grund des radikalen Leichtbaus und anderer Lagerungskonzepte, folglich auch anderen Verformungen unterworfen sind als gängige Industrie-Getriebe. Daher ist es gerade in der Luftfahrt unerlässlich, eine Software zur Voraussage der Lage der Tragbilder hinzuzuziehen und diese per Prüflauf zu verifizieren. Im vorliegenden Anwendungsbeispiel konnte Kisssoft einerseits zur Auslegung des Tragbildes sowie auch zur Fehlersuche nach dem Fertigungsprozess eingesetzt werden. JBI ‹
Dipl.-Ing. Hanns Amri, Dipl.-Ing. Katharina Hartenthaler und Dipl.-Ing. Thomas Koo vom Institut für Konstruktionswissenschaften der Technischen Universität Wien.
Dipl.-Ing. Jürg Langhart arbeitet im Technischen Vertrieb der Kisssoft AG, Schweiz.
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