16.04.2013 – Kategorie: Hardware & IT
Roundtable Industrie 4.0: Die vierte Revolution
Das Thema Industrie 4.0 ist zur Zeit in aller Munde und wird auch auf der diesjährigen Hannover Messe eine wichtige Rolle spielen. Bei Industrie 4.0 sollen moderne Informationstechnologien mit klassischen industriellen Prozessen zusammenwachsen und die Produktion effizienter und flexibler machen. Grundlage sind cyberphysische Systeme (CPS), die eigenständig Informationen aufnehmen, Aktionen auslösen und sich wechselseitig steuern können. Nach Meinung vieler Experten wird Industrie 4.0 auch spürbare Auswirkungen auf die Produktentwicklung haben. Darüber und über weitere wichtige Aspekte haben wir in einem Roundtable mit den Experten Rainer Glatz (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau – VDMA), Johannes Kalhoff (Phoenix Contact), Harald Preiml (HEITEC AG), Dr.-Ing. Sebastian Schlund (Fraunhofer IAO) und Prof. Dr.-Ing. Dieter Wegener (Siemens Industry Sector) diskutiert.
DIGITAL ENGINEERING Magazin (DEM): Bei Industrie 4.0 spricht man auch von der vierten Industriellen Revolution. Ist Industrie 4.0 nicht eher eine Evolution oder gar nur ein kurzfristiger Hype?
Harald Preiml: Industrie 4.0 ist weder ein kurzfristiger Hype, noch eine wirkliche Revolution. Die Technologien für Industrie 4.0 existieren zum großen Teil schon heute. Die Frage stellt sich vielmehr, wie sich diese Technologien so kombinieren lassen, dass sie den Anforderungen von Industrie 4.0 entsprechen. Diese Frage zu beantworten, wird einige Zeit in Anspruch nehmen.
Prof. Dr.-Ing. Dieter Wegener: Wenn wir uns heute bei Industrie 3.0 befinden würden, dann wäre der Sprung zu Industrie 4.0 revolutionär. Aber wo stehen wir? Bei Industrie 3.5 oder 3.9? Bei der Entscheidung, von Evolution oder Revolution zu sprechen, muss man sich auch fragen, was uns eigentlich daran hindert, die Industrie-4.0-Szenarien nicht schon heute umzusetzen. Ich glaube, technologisch hindert uns nichts daran, es existieren zwar noch Hürden, aber die sind überwindbar. Einen Knackpunkt gibt es allerdings: Alles, was wir anbieten, muss dem Kunden einen Mehrwert eröffnen und seine Investition soll sich nach kurzer Zeit amortisieren. Und da liegt das Problem: Der Kunde baut meist keine komplett neue Fabrik auf der grünen Wiese. Er hat vielmehr einen vorhandenen Maschinenpark, komplexe Systeme und Infrastruktur. Das sind Randbedingungen, die ihn davon abhalten, Techniken flächendeckend einzusetzen, die in der Vision der Industrie 4.0 beschrieben werden.
Dr.-Ing. Sebastian Schlund: Industrie 4.0 ist ein evolutionärer Prozess, der jedoch in zahlreiche Revolutionen münden könnte. Wir haben Wieland Holfelder, Engineering Director bei Google Deutschland, danach befragt, wie er die Produktionsarbeit im Jahr 2030 sieht. Er hat gelacht und gesagt: „Sie fragen mich nach einer Zeitspanne, die tief in die Zukunft reicht und länger ist, als Google überhaupt existiert.“ Das zeigt, welche Entwicklungssprünge im Bereich des Internets möglich sind und dass wir uns der ganzen Sache zwar evolutionär nähern können, aber was dabei entsteht, kann auch revolutionär sein.
Harald Preiml: Bisher wird Industrie 4.0 noch zu sehr auf die Produktion beschränkt. Beim Automatisierer ist das Thema schon viel weiter fortgeschritten und auch die Produktentwickler im Maschinenbau müssen bereits heute daran denken, wie die Maschinen der Zukunft aussehen.
DEM: Welche Rolle spielt das Internet beim Thema Industrie 4.0?
Johannes Kalhoff: Das Internet ist wichtig, insbesondere wegen des Kollaborationsaspekts. Es bringt verschiedenste Informationen auf einfache Weise zusammen. Und es hat eine starke Vorbildfunktion. So einfach wie das Internet sollte auch die industrielle Automatisierungstechnik funktionieren. Gerade im Engineering-Bereich werden die Aufwände steigen, denn die Komplexität bei den verwendeten CPS-Systemen und Maschinenlösungen nehmen weiter zu. Die Technologien des Internets könnten auch hier dazu dienen, die Prozesse effizienter und für den jeweiligen Nutzer einfacher zu gestalten.
Rainer Glatz: Auch geschichtlich hat das Internet eine Vorbildfunktion: Am Anfang, in den 1970er und 1980er Jahren, war das Internet so kryptisch, dass es nur von einigen Wissenschaftlern genutzt werden konnte. Vor zehn bis fünfzehn Jahren wurde es langsam auch für Laien verständlich und heute braucht man nicht mehr zwingend HTML-Kenntnisse, um eine Internetseite zu erstellen. Ähnliches erwarte ich auch vom Einfluss von Industrie 4.0 auf Automatisierung, Maschinenentwicklung und Produktion.
DEM: Welche Auswirkungen hat Industrie 4.0 auf Produktentwicklung und Engineering?
Rainer Glatz: Industrie 4.0 bietet neue Ansätze zur Modularisierung und zur Autonomie. Das bedeutet, dass die Komplexität in dezentrale Systeme wandert. Eben auch in die cyber-physical systems (CPS). Das heißt, die Ingenieure konzipieren Systeme künftig weniger hierarchisch und haben damit die Komplexität besser im Griff.
Johannes Kalhoff: Um solche modularen und dezentralen Systeme zu erstellen, wird auch das Engineering der unterschiedlichen Fachbereiche immer weiter zusammenrücken. Das geschieht heute schon, indem man die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Entwicklungssystemen verbessert. Künftig sollen sich die Prozessketten und Toolings entlang des Lebenszyklus von Maschinen und Anlagen soweit annähern, dass die unterschiedlichen Domänen wie etwa Warenwirtschaft, Produktionstechnik, IT, Mechanik oder Elektrik parallel in einem einzigen System zusammenarbeiten.
Rainer Glatz: Gerade bei der Engineering-Software sehe ich aber auch eine Gefahr, die mich an die Konkurrenzsituation der Feldbusse vor zehn Jahren erinnert. Jeder Anbieter sagt, wir haben das beste, schnellste und umfassendste System. Viel wichtiger ist es aber, die Schnittstellen offen zu gestalten, damit der Anwender die Systeme flexibel einsetzen und kombinieren kann.
Prof. Dr.-Ing. Dieter Wegener: Wichtig ist auch, wie wir die Prinzipien des Internets auf die Entwicklungsprozesse und -methoden anwenden. Ich kann mir viele neue Spielarten vorstellen. Ein Beispiel: Bei Osram sollte eine neue Generation von Lichttechnik entwickelt werden. Dabei hat man Teile der Funktion dadurch generiert, dass Architekten und Designer an einer internetbasierten Ausschreibung im Rahmen eines Wettbewerbs teilnahmen. Passende Ideen hat Osram in die Produktlinie aufgenommen. Das hat funktioniert – war aber aufwändig im Vergleich zu einer konventionellen Neuentwicklung.
Harald Preiml: Die Prinzipien lassen sich noch ganz anders nutzen und das mit Erfolg: Wir als Systemhaus bemerken aktuell bei jungen Ingenieuren eine Abnahme der Flexibilität, wenn es um die Entfernung zum Heimatort geht. Beispielsweise sinkt die Bereitschaft zu längeren Reisen, um eine Anlage in Betrieb zu nehmen. Da sehe ich Chancen durch Digitalisierung und Verknüpfung von realer und virtueller Welt. Wir müssen die Ingenieure „bei der Stange halten“, damit sie der Projektentwicklung erhalten bleiben und nicht in benachbarte Gebiete abwandern, in den Service beispielsweise. Deshalb haben wir in den letzten drei bis vier Jahren mit einfachen Methoden virtuelle Modelle entwickelt, die wir jetzt aktiv anwenden und weiterentwickeln. Die Anwendung zeigt, dass das Engineering damit besser und effizienter ist. Zudem können wir die Modelle für die Ausbildung nutzen. Was man früher bei einer Inbetriebnahme in zwei oder drei Monaten gelernt hat, kann man heute in Tagen oder Wochen lernen. Ideal wäre es, solche Themen in einem Firmenverbund aufzugreifen, um Synergien zu nutzen.
DEM: Warum trennen wir eigentlich immer noch die virtuelle von der realen Welt?
Harald Preiml: Das machen wir in unseren Projekten gerade nicht mehr. Die Erkenntnis vor drei oder vier Jahren war noch: Die virtuelle Maschine lohnt sich nur bei Standardmaschinen. Wir nutzen sie heute aber bereits ab Stückzahl eins. Im letzten Projekt haben wir einen Film gedreht und die virtuelle Anlage in die reale überblendet. Und siehe da: beide Maschinen sind synchron gelaufen. Das Spannende dabei ist, dass sich die virtuelle und die reale Welt ergänzen: Werte, die wir im Modell noch nicht haben, messen wir aus der realen Anlage heraus, um sie in die Modelle und damit in die virtuelle Welt aufzunehmen. Es gibt hier also keine klare Trennung mehr, denn die virtuelle Welt wird ständig der realen Welt nachgeführt und umgekehrt. Viele sagen „virtuelle Inbetriebnahme“ zu diesem Thema, ich nenne es Inbetriebnahme virtueller Maschinen und Anlagen.
DEM: Welche Bedeutung haben mobile Technologien wie Smartphones, Tablets und Apps bei Industrie 4.0?
Harald Preiml: Gerade bei den Bedienkonzepten denken die Maschinen- und Anlagenbauer schon jetzt darüber nach, wie sich Technologien aus der Consumer-Welt in die Industrie übernehmen lassen. Ein Szenario wäre, das Bedienpanel an der einzelnen Maschine zu ersetzen. Man nutzt dabei sein Mobilgerät, das durch Ortung oder Identifikation „weiß“, um welche Maschine es sich gerade handelt. Die Bedienoberfläche der Maschine kommt auf das Mobilgerät, mit dem sich im Fehlerfall auch Daten über Konferenzsoftware und Netzwerk weitergeben lassen.
Dr.-Ing. Sebastian Schlund: Mobilgeräte eröffnen ein neue Form des selbstorganisierten Arbeitens in der Produktion. Beobachten Sie einmal, wie die junge Generation mit Internet und Mobilgeräten umgeht. Hier entstehen ganz neue Formen des Umgangs miteinander. Wenn sich die jungen Leute im Internet „treffen“, sind weder Ort noch Zeit festgelegt. Im Projekt KapaflexCy untersuchen wir solche Szenarien, runtergebrochen auf die Produktion.
Rainer Glatz: Was hindert uns, dies auf die industrielle Produktion zu übertragen? Warum sollten die Produktionsmitarbeiter nicht in einer Art sozialem Netzwerk verbunden sein, warum nicht auch die intelligenten Maschinen darin einbinden? Wenn man diesen Gedanken weiterführt, kommen da ganz neue Ansätze und Prinzipien heraus, die die ein oder andere Revolution in den Abläufen und Prozessen in der Fabrik auslösen könnten.
Prof. Dr.-Ing. Dieter Wegener: Da gebe ich Ihnen Recht, Herr Glatz. Wie man früher von einer Fließband- auf eine Inselfertigung gewechselt hat, wird man hier noch ganz neue Formen der Zusammenarbeit finden, die einfacher, produktiver und effizienter sind als das, was wir bisher haben.
DEM: Zwischen den Fachleuten gibt es einen Diskurs darüber, wer das Thema Industrie 4.0 treibt. Sind es die IT-Fachleute oder sind es die Maschinenbauer und Automatisierer?
Dr.-Ing. Sebastian Schlund: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn man einen Begriff hört wie Industrie 4.0, neigt man dazu, diesen bestimmten Fachdisziplinen zuzuschreiben. Genau das sollte man aber hier vermeiden. Vom Grund her wird der Begriff erst einmal über Fachdisziplinen hinweg geprägt. Wir müssen vermeiden, dass die einzelnen Fachbereiche das Wort zu sehr für sich in Beschlag nehmen.
Prof. Dr.-Ing. Dieter Wegener: Das ist die Herausforderung beim Zukunftsthema Industrie 4.0. Zwar ist der Begriff, die Vision, durch die IT-Brille gesehen entstanden. Wenn man aber in die reale Industrieanlage einsteigt, muss man sowohl die Physik und Mechanik als auch die Grundregeln beachten und in Systemen abbilden. Da braucht man die Kooperation der IT-Fachleute, der Automatisierer und der Maschinenbauer, die das Ganze physikalisch-mathematisch verstehen und darstellen können. Die Kunst besteht jetzt darin, die Brücken zu bauen zu den in Softwarestrukturen denkenden Menschen.
Harald Preiml: Wir dürfen nicht mehr mit Schablonendenken an die Sache herangehen. Vieles, was früher nicht ging, geht heute doch – wenn man die Köpfe frei macht.
Rainer Glatz: Genau aus diesen Gründen gibt es seit Januar eine gemeinsame Geschäftsstelle der drei Verbände ZVEI, BITKOM und VDMA. Für uns wird es spannend werden, wie die drei Verbände, die in manchen Punkten im Wettbewerb zueinander stehen, hier zusammenarbeiten. Es wird einen Lenkungskreis geben, in dem man das Ganze aus dem Blickwinkel der Wirtschaft und industriellen Praxis betrachtet. Insgesamt geht es darum, die Industrie bei diesem Thema zu unterstützen, eine zentrale Anlaufstelle zu haben und die unterschiedlichen Sichtweisen der Fachleute zusammenzuführen. Unsere gemeinsame Motivation ist es, die deutsche Industrie durch das Thema Industrie 4.0 und die damit verbundenen Technologien voranzubringen.
DEM: Welche neuen Geschäftsmodelle könnten sich durch Industrie 4.0 ergeben?
Dr.-Ing. Sebastian Schlund: Eine Vorlage könnte der Apple-App-Store sein: Es gibt eine Plattform, auf der Entwickler mit relativ wenig Aufwand für sich selbst geschaffene Lösungen anbieten können. Indem man diese auch anderen Anwendern anbietet, generiert man eine zusätzliche Wertschöpfung. Vielleicht gelingt uns an dieser Stelle ein stückweit die Demokratisierung der Lösungserstellung in der Industrie.
Rainer Glatz: Das Geschäftsmodell ist genial, weil es den Anwender zum Systementwickler macht. Übertragen auf den Maschinenbau und die Automatisierungsbranche bedeutet das, den Kunden von Automatisierungstechnik zum Software-Entwickler und Entwicklungspartner zu machen. Diese können dann ihre Anwendungen in einer Art App-Store des Komponentenherstellers anbieten.
Prof. Dr.-Ing. Dieter Wegener: Da existiert aber ein großer Unterschied zwischen der Welt von Apple und der Industrie-Welt: So gibt es enorm viele Nutzer und Entwickler von Smartphone-Apps weltweit. Der Industriemarkt ist viel kleiner, beispielsweise der für Werkzeugmaschinen. Wenn ein Hersteller wissen möchte, ob sich das lohnt, dann kalkuliert er, wie viele dieser Werkzeugmaschinen-Apps er verkaufen kann. Ich habe zwar nicht genau nachgerechnet, aber das wird sich wohl nicht lohnen. Natürlich kann man solche Ecosysteme schaffen, vielleicht auch, um den Spieltrieb der Menschen zu nutzen, wie es Apple geschafft hat, um Innovationen auch in der Industrie zu generieren. Aber es wird sich nicht ohne weiteres wirtschaftlich lohnen. Was man auch nicht übersehen darf, sind die zahlreichen Randbedingungen, die in der Industrie eine Rolle spielen – aus rechtlichen und normativen Gründen beispielsweise. Da kann man auch nicht jeden an die Steuerungssoftware einer Industrieanlage lassen, ohne auf die nötige Sicherheit zu verzichten.
DEM: Wie wird Industrie 4.0 künftig die Produktionsprozesse verändern?
Johannes Kalhoff: Bei Produktionsprozessen geht es meist darum, die Produktivität und Flexibilität zu steigern, indem sich beispielsweise der Prozess auf Produkt, Stückzahl und Auftragssituation dynamisch einstellt. Mit Industrie 4.0 verbinde ich in diesem Zusammenhang vor allem das Stichwort Adaptivität. Obwohl die Produkte zunehmend kundenspezifisch angepasst werden, sollen sie sich ab Stückzahl eins wirtschaftlich herstellen lassen. Somit müssen neben vorgedachten alternativen Produktionsketten/-verfahren auch die zum Engineering-Zeitpunkt noch nicht bekannten Anforderungen und Betriebsmittel in die Maschinen und Anlagen integrierbar sein. Um das umzusetzen, haben wir in Ostwestfalen-Lippe (OWL) letztes Jahr das Spitzencluster „it‘s owl“ gegründet, ein Technologienetzwerk, in dem 174 Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Organisationen zusammenarbeiten, um das Thema intelligente technische Systeme zu beleuchten. Derzeit laufen 34 Innovationsprojekte, in denen intelligente Produkte und Produktionssysteme entwickelt werden. Neben der Adaptivität der Systeme geht es auch darum, vorausschauend zu planen und die Erfahrungen mit in die Systeme aufzunehmen.
Dr.-Ing. Sebastian Schlund: Eine wichtige Frage ist, wer in Zukunft die Prozesse steuert. Sind es die cyber-physical systems (CPS), ist es der Mensch oder doch ein zentrales System? Vorstellbar wäre auch, dass alle zusammen in einer Art demokratischer Entscheidung den Prozess steuern. Dann ist die Frage: In welchem Fall trifft wer letztendlich die Entscheidung?
Rainer Glatz: Adaptivität und verteilte Entscheidungsfindung setzen eine steigende Transparenz voraus. Wenn die Maschine beispielsweise „entscheidet“, nur mit halber Geschwindigkeit zu fahren, um Energie zu sparen und weil sie die Information hat, dass kein zeitkritischer Auftrag folgt, dann ist diese Information auch für den Maschinenbediener wichtig. Das setzt ein geeignetes Informationsnetzwerk voraus, in dem Maschine und Mensch eingebunden sind.
DEM: Ist Industrie 4.0 nur ein technisches Thema und welche Rolle spielt der Mensch?
Harald Preiml: Technologie ist nur die eine Seite von Industrie 4.0, die andere Seite sind die Menschen, die Mitarbeiter in der Produktion. Anders als beim CIM-Gedanken in den 1990er Jahren wird eine Fertigung nach Industrie 4.0 auch nicht mannlos funktionieren. Aus dieser Sichtweise ist das Thema ein volkswirtschaftlicher Gewinn, denn es besteht die Chance, die Fertigung bestimmter Produkte wieder zurück nach Deutschland zu holen, weil sie durch intelligente Produktionssysteme wieder wirtschaftlich werden. In diesen Produktionssystemen spielt der Mensch mit seiner Intelligenz und Anpassungsfähigkeit neben neuer adaptiver Technik eine ebenso wichtige Rolle.
Prof. Dr.-Ing. Dieter Wegener: In Deutschland gibt es eine Überalterung der Gesellschaft, darauf muss auch die Arbeitswelt reagieren und den Mitarbeitern in der Produktion Hilfestellungen an die Hand geben. Aber es geht nicht nur um alte Menschen. Im Grunde geht es darum, jeden Mitarbeiter so in die Arbeitssysteme einzubinden, dass er sich in seiner Rolle wohlfühlt – egal wie groß, stark oder intelligent er ist, egal welche Sprache er spricht, wie alt er ist oder ob er eine Behinderung hat. Auch hier müssen die Produktionssysteme adaptiver werden. Die Mittel dazu liefert die Vision der Industrie 4.0 mit adaptiven Maschinen und den CPS, indem sie das Umfeld auf den Menschen einstellt.
Harald Preiml: Hier ist ganz klar die IT gefordert, die Frage zu beantworten, wie man weniger qualifizierte Mitarbeiter dabei unterstützt, höherqualifizierte Tätigkeiten auszuführen. In der Vergangenheit war es ja meist so, dass man durch den Einsatz von IT und Automation höher qualifizierte Mitarbeiter brauchte. Meine Forderung für die Zukunft ist, je mehr Intelligenz, IT und Komplexität im System, desto weniger muss ein Mitarbeiter qualifiziert sein. Man muss mehr Intelligenz mittels Software ins System reinstecken.
Dr.-Ing. Sebastian Schlund: Unser Projekt KapaflexCy zielt darauf, mittels CPS und Konditionierungsmethoden die Produktionskapazität von und mit den Produktionsmitarbeitern hochflexibel und kurzfristig zu planen. Aktuell untersuchen wir eine Anwendung in der Produktion eines mittelständischen Unternehmens, in dem CPS die Werker dabei unterstützen, Kapazitätsbedarfe selbstorganisiert zu decken. Das ist eine neue Form von Flexibilität: Nicht nur hochqualifizierte Mitarbeiter agieren hochflexibel, sondern auch die Werker im Shopfloor-Bereich.
DEM: Wenn die Systeme adaptiv und vernetzt funktionieren, muss das Thema Sicherheit komplett neu bewertet werden. Wie geht man das an?
Dr.-Ing. Sebastian Schlund: Wenn lauter intelligente und untereinander vernetzte Objekte in einer Produktionsumgebung interagieren, dann kommt es häufig vor, dass man mit diesen Objekten nicht alle Informationen teilen möchte. In unseren Projekten stellte sich oft die Frage: Was möchte ich an wen weitergeben? In diesem Bereich müssen Lösungen gefunden werden.
Johannes Kalhoff: Da sind wir auch als Automatisierer gefragt, entsprechende Mechanismen zur Verfügung zu stellen. Es gibt schon einige gute Lösungen, die man nutzen kann, um die Systeme wie Maschinen, Anlagen und einzelne Komponenten abzusichern. Zum einen, was den Schutz der Netzwerke und zum anderem, was die Sicherheit von Software-Diensten betrifft.
Rainer Glatz: Die Techniken aus der IT-Welt sind nur bedingt auf die Industrie übertragbar. Deshalb gibt es hier eine Chance für Deutschland, indem wir die Sicherheitstechnik aufbauen, die weltweit Anwendung findet. Dann können wir nicht nur Systeme für Industrie 4.0 liefern, sondern auch den entsprechenden Schutz. Ein wichtiger Punkt bei der Sicherheit ist auch immer die Frage, was sie kostet. Wenn der Kunde nicht bereit ist, für diese Sicherheit zu bezahlen, wird er das ganze System nicht kaufen.
Johannes Kalhoff: Wenn die Technologien vorhanden sind, dann kann man sie in Produkte integrieren, um den Kundennutzen zu erhöhen oder um über neue Geschäftsmodelle eine zusätzliche Wertschöpfung für den Anwender zu generieren. jbi/rt
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