22.11.2021 – Kategorie: Konstruktion & Engineering

Prototypenbau: So lassen sich die Gesamtkosten reduzieren

PrototypenbauQuelle: Tran/Adobe Stock

EDAG Aeromotive entwickelt als Zulieferer eines Luft- und Raumfahrtunter­nehmens prototypische Applikationen im Bereich Augmented Reality (AR). Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie kann ein hochwertiger Prototyp den Entwicklungsprozess verkürzen und somit die Gesamtkosten reduzieren?

Prototypenbau: Augmented Reality (AR) wird hauptsächlich als informative Ergänzung im Sichtfeld des Betrachters mittels Einblendung und Überlagerung von Bild und Text auf ein entsprechendes Medium verwendet. Das Medium kann beispielsweise ein Display eines mobilen Endgerätes sein oder eine Brille, auf dessen Sichtfeld das Bild projiziert wird.

Die Entwicklung von Prototypen

Das Head-Up-Display (HUD), welches unter anderem im Bereich Luft- und Raumfahrt und in der Automobilindustrie zum Einsatz kommt, ist ein bewährtes Beispiel. Hier wird ein Mix von statischen und dynamischen Inhalten an einem fest definierten Platz angezeigt. Das Head-Mounted-Display (HMD), welches dem HUD um einige technische Fortschritte voraus ist, trägt man auf dem Kopf. Mit spezieller Hardware sowie Sensorik ist eine Verschmelzung des echten und virtuellen Raumes und die Rundumsicht möglich. Mit Hilfe von Daten externer Sensoren lassen sich Wert- und Objektinformationen über das HMD im Raum virtuell am physisch-erkannten Objekt darstellen.

Die unternehmensspezifischen und teils stark eingrenzenden Anforderungen und Zertifizierungen, gerade im Bereich Luft- und Raumfahrt, zwingen die Entwickler zu einer proprietären System- und Softwarearchitektur. Die Entwicklung eines komplexen Prototyps wird dabei oftmals unterschätzt. Hier zählt profunde Erfahrung in der Softwareentwicklung und eine proaktive Haltung in der Projektkommunikation zu angrenzenden Projekten und Teams. Es gibt eine große Anzahl von Toolchains, Ansätzen und Prinzipien, die solche Entwicklungsprozesse fundamental unterstützen können.

Auswahl der Werkzeuge

Im Prototypenbau gestaltet sich die Wahl der Tools flexibler als in der Endprodukt-Entwicklung. Die Zielhardware und entsprechende Betriebssysteme beherbergen im Live-System Regeln, die meist wenig Flexibilität zulassen. Vorteilhaft für das „Prototyping“ sind Entwicklungsumgebung und Peri­pheriegeräte, die nah an der Zielplattform und zudem leicht zu beschaffen sind.

Das Entwickler-Team der EDAG Aeromotive GmbH setzt im Bereich AR-Prototyping auf die Game-Engine von Unity Technologies. Zudem kommt aktuelle Hardware, zum Beispiel die Microsoft HoloLens 2, zum Einsatz. Ein guter Support und eine umfangreiche Dokumentation sind wichtige Faktoren bei der Auswahl der Werkzeuge. Einer der Vorteile von Unity und Microsoft ist die große Community.

Unity´s „Prefab“-System im Zusammenspiel mit den „ScriptableObjects“ macht die Entwicklung um ein Vielfaches effizienter. Mit einer entsprechenden Schnittstelle ist es möglich, mit der Komponente zu kommunizieren. Innerhalb des Moduls werden die eingehenden Daten verarbeitet und visu­alisiert. Dieses Verfahren kennt man in der ­Informationstechnologie unter dem EVA-Prinzip (Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe).

Prototypenbau
Das EVA-Prinzip innerhalb eines „Prefabs“. Bild: EDAG

Prinzipien und Standards im Prototypenbau

Bei Entwicklungsprojekten, in denen der Mensch die Aktoren-Rolle am Endprodukt einnimmt, steht der Begriff „Safety-critical system“ an oberster Stelle. Ein Ausfall eines solchen Systems kann zu fatalen Folgen führen – bis zum Verlust von Menschenleben. Nicht umsonst existieren in der Luft- und Raumfahrt Richtlinien wie die Norm DO-178C, welche die Zertifizierung von Software in der Avionik regelt. Zwar wird ein entwickelter und noch ungeprüfter Prototyp nicht in das Endprodukt integriert, doch die Berücksichtigung solcher Richtlinien können enorme Vorteile mit sich bringen. Aus diesem Grund ist es nützlich, bestimmte Prinzipien schon in der Vorentwicklung einzuhalten, um Nachteile aus dem „Prototyping“ entgegenzuwirken.

Der Urvater der agilen Softwareentwicklung Robert C. Martin hat schon vor über 20 Jahren in einer beratenden Funktion Problematiken erkannt und sowohl Techniken als auch Prinzipien zur Vermeidung solcher Mängel in seinen Büchern, welche als Standardwerk der Softwareentwicklung gelten, verfasst.

EDAG Aeromotive entwickelt „Features“ modular und integriert sie nachhaltig. Entwurfsmuster und die Solid- und Clean-Code-Prinzipien helfen Lesbarkeit, Qualität und Struktur des Codes für die nachfolgenden Entwickler zu verbessern. Bestenfalls kann eine 1-zu-1-Portierung des Prototyps ohne logische Veränderungen stattfinden.

Wo liegt der Vorteil eines „guten“ Prototypen?

Benjamin Franklin stellte schon im Jahr 1748 die These „Zeit ist Geld“ auf. Eine Ressource, die immer knapp ist, lässt sich mit entsprechenden Methoden und Verhalten wirtschaftlicher „managen“. Denn unter Zeitdruck oder auch in der sogenannten „Crunch time“ können viele Fehler entstehen.

Mit der Anwendung der beschriebenen Prinzipien lassen sich deutliche Vorteile in der Gesamtentwicklung erzielen. Mit „Unity“ erstellte Applikationen sind aufgrund vieler verschiedener Spezifikationen nicht DO-178C zertifizierbar. Eine direkte Portierung ist somit ausgeschlossen. Es ist wichtig, dass der Prototyp modular strukturiert, lesbar programmiert und gut dokumentiert ist. So ist eine indirekte Übernahme der Anwendung wahrscheinlicher, als wenn der Prototyp undurchsichtig und undokumentiert vorliegt und man die Anwendung komplett neu entwickeln muss.

Warum Neues, wenn Altes sich bewährt hat? Das ist in gewissen Situationen und ­sicherlich auch bei einigen technologischen Ansichten eine begründete Frage. In vielen Fällen ist ein technologischer Fortschritt wichtig, bedeutet aber oft auch eine Verhaltensänderung. Damit man Kritiker überzeugen kann, gilt es, Vorteile gegenüber alten Technologien messbar zu zeigen oder zu beweisen [2]. Gut aufgeschlüsselte Informationen in Form von Text und Bildern sind die Basis. Jedem muss klar sein, dass heutzutage lebenslanges Lernen erforderlich ist. Anwender müssen mit den gewonnenen Vorteilen und eliminierten Nachteilen sensibilisiert werden. Sie sollten bestenfalls die Technologie testen dürfen oder diese über eine Demonstration kennenlernen. „Gamification“ wird aktuell noch sehr unterschätzt, besitzt jedoch möglicherweise viel Potenzial.

Der Autor Bastian Westphal ist Spezialist für AR/VR bei EDAG Aeromotive.

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