31.01.2023 – Kategorie: Fertigung & Prototyping

Optik-Simulation: Der Schlüssel zu wichtigen Designentscheidungen

Quelle: KDdesignphoto-AdobeStock

Der Simulationsspezialist Cadfem hat seit Mai am neuen Hauptsitz ein Optiklabor in Betrieb, in dem er Materialien optisch vermisst und Materialmodelle für die optische Simulation erstellt. Ich wollte wissen, was dieses Labor ermöglicht.

Grafing-Schammach, ein kleines Industrie-Gebiet vor den Toren Münchens. Ich parke auf dem noch nicht ganz fertiggestellten Parkplatz. Das ist sie also, die neue Zentrale des Simulationsspezialisten Cadfem. Fast komplett aus massivem Holz, am Waldrand gelegen, einladend, ja duftend. Doch es zieht mich in den scheinbar unscheinbarsten Raum im Haus. Nur der Keller, die Versorgungsschächte und die Treppenhäuser in Beton gegossen. Durch eines der Letzteren steigen wir hinunter in den Ersteren. Vorbei an Technikräumen, die wohl die Schächte versorgen. Zur Tür: Optische Messung I. Als ich von ihr hörte, wollte ich wissen, was sich hinter ihr verbirgt.

Optik-Simulation: Hinter der Tür ‚Optische Messung I‘ der Aufbau zur Messung des Streulichts. Rechts im Bild die Lichtquellen (eine Xenon- und vier Laserquellen). Darüber der Messkopf. Er fährt verschiedene Positionen an, um die winkelabhängige Streuung zu erfassen. Die beispielhafte Probe, mittig als weiße Folie zu erkennen.
Hinter der Tür ‚Optische Messung I‘ der Aufbau zur Messung des Streulichts. Rechts im Bild die Lichtquellen (eine Xenon- und vier Laserquellen). Darüber der Messkopf. Er fährt verschiedene Positionen an, um die winkelabhängige Streuung zu erfassen. Die beispielhafte Probe, mittig als weiße Folie zu erkennen. Bild: Digital Engineering Magazin

Wozu braucht es Optik-Simulation?

Ob Badearmatur oder ganzes Flugzeug – Simulation trägt heute essenziell zur Entwicklung vieler Industrieprodukte bei. Unternehmen, die Zeit und Kosten für reale Prototypen durch Simulation einsparen, können effizienter und schneller Innovationen entwickeln. Dies gilt auch für Produkte, die mit Licht arbeiten: also Leuchten, optische Sensoren, Kameras oder Laserquellen. Bei solchen Systemen ist es essenziell, früh in der Entwicklung ihr Lichtverhalten zu untersuchen, um beispielsweise ihre Geometrie, das Material und/oder die Art sowie Anzahl von Strahlungsquellen festzulegen.

Aber auch Systeme und Produkte, die nicht direkt mit Licht arbeiten, sollen heute zunehmend mit ihrer Anmutung, also Optik, überzeugen. Besonders im Automobilbau, der Leuchtenindustrie und für gehobene Interior-Ausstatter ist es wichtig, dass Produkte genauso wahrgenommen werden, wie es die Designer geplant haben. Das Armaturenbrett etwa trägt unmittelbar zum Eindruck der Wertigkeit des gesamten Autos bei – entsprechend sorgen heute die Hersteller in allen Klassen dafür, diesen Eindruck möglichst genau zu steuern. Wie sehen die Kunststoffe und andere Materialien wirklich bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen aus? Welcher Farbeindruck entsteht?

So sollen die Rücklichter des neuen Autos in ihrer Lichtabstrahlung ebenso ganz speziellen Anforderungen entsprechen, wie die perfekte Deckenleuchte fürs Wohnzimmer. Weicht das Produkt von den Anforderungen ab, läuft es Gefahr, minderwertig im Vergleich zu dem der Konkurrenz zu wirken. Dabei sollen auch Menschen mit individuellem Sehvermögen, etwa durch Farbfehlsichtigkeiten, möglichst einen harmonischen Farbeindruck gewinnen und Warnfarben als solche wahrnehmen können.

Alle Parameter für die dazu nötigen Designentscheidungen im Voraus zu testen, ist schlicht zu aufwendig und zeitintensiv. Der Schlüssel ist daher die Optik-Simulation. Sie kann all dies heute leisten – auch weil wir wissen, wie sich ein Sinneseindruck und die optische Wahrnehmung von Textur und Farbe durch das menschliche Auge simulieren lässt. Wir wissen, welche Daten vorliegen müssen, damit eine solche Simulation die Realität abbildet.

Der Mikrokosmos der Photonik

Um die Komplexität der Optik-Simulation zu verstehen, gilt es, zunächst die Vielfältigkeit der Anwendungen zu akzeptieren. Ein wesentlicher Teil davon stellt sich in der mikroskopischen Welt dar, in der das Licht entsteht, mit Materialien interagiert oder absorbiert wird. Bei solchen Phänomenen, die unter dem Begriff Photonik eingeordnet sind, ist es entscheidend, den Wellencharakter von Licht zu berücksichtigen und in Spezialfällen auch quantenphysikalische Methoden bei der Berechnung zu nutzen.

Cadfem und Ansys verbindet eine sehr enge Partnerschaft. In der Produktpalette des Simulationsanbieters sind nach der Akquisition im Jahre 2020 die Lumerical-Tools genau auf diese Art von Simulation zugeschnitten.

Optik-Simulation: Abbildende Systeme und optisches Design

Produkte wie Linsensysteme, Kameras und Objektive haben die Aufgabe, die Realität visuell abzubilden. In ihrer Entwicklung sind diese abbildenden Systeme so präzise auszulegen, dass die Strahlenführung den jeweiligen technischen Anforderungen entspricht. Diese Spezialdisziplin nennt man auch optisches Design. In diesem Bereich hat sich Ansys Ende 2021 durch Zukauf der Firma Zemax deutlich verstärkt, deren Software, OpticStudio, für die Auslegung von Linsen- und Kamerasystemen etabliert ist.

Makroskopische Systeme

Während sich die Welt der Photonik um kleine Dimensionen im Bereich von Mikrometern dreht und abbildende Systeme im Bereich von Millimetern justiert werden müssen, leben wir selbst in einer Welt größerer Dimensionen. Wenn wir in diese Richtung den nächsten Schritt in der Hierarchie der physikalischen Skalen machen, stoßen wir in den Bereich der makroskopischen Optik-Simulation vor. Hier geht es um die Frage, wie die unterschiedlichen Phänomene Reflexion, Absorption, Brechung und Streuung bei komplexen Systemen zusammenspielen. In manchen Fällen sind die Leuchtkraft und die Gleichmäßigkeit der Lichtverteilung wichtig, in anderen interessiert uns explizit die Visualisierung von Objekten, die noch nie gefertigt wurden. Die entsprechenden Phänomene lassen sich mit dem Ansys-Tool Speos untersuchen, einem Werkzeug für die allgemeine Optik-Simulation. Die Genauigkeit dieser optischen Simulation ist insbesondere von der Genauigkeit der genutzten Materialmodelle abhängig – und eben hier können die Messungen in Grafing bei München entscheidend helfen.

Was bilden optische Materialmodelle ab?

Bei der Untersuchung von Oberflächen beinhaltet das Materialmodell meist die Physik-basierte Abbildung der winkelabhängigen Reflexion, die mithilfe der Bidirectional Reflectance Distribution Function (BRDF) beschrieben werden kann. Diese Streueigenschaften sagen umgangssprachlich aus, ob das Material matt erscheint oder ob es spiegelt. Zudem wird ein Material auch durch die Transmission charakterisiert – also den Durchgang des Lichts durch das Material. Sie sagt aus, wie transparent das untersuchte Material ist. Dazu ist auch die landläufig ‚Farbe‘ genannte Eigenschaft des Materials wichtig – also die Art, wie das Material das Licht unterschiedlicher Wellenlängen reflektiert oder durchlässt. All dies fassen die Experten in einem Materialmodell zusammen.

Beispielhaftes Messergebnis der winkelabhängigen Reflexion.
Beispielhaftes Messergebnis der winkelabhängigen Reflexion. Grafik: Cadfem

Gerade bei transparenten Materialien ist es jedoch von Bedeutung, die optischen Eigenschaften im Volumen zu modellieren, beispielsweise bei der Simulation von transparenten, optischen Kunststoffen. Dafür gibt es entsprechende Volumen-Materialmodelle.

Optik-Simulation – Das optische Messlabor

Warum es ein optisches Messlabor braucht, ist mir nun klar. Es gibt wohl kein Tabellenbuch, aus dem der Produkt-­Designer die genannten optischen Eigenschaften des jeweils genutztem Materials entnehmen könnte. In der Regel lässt sich dieses optische Materialmodell nur erstellen, indem man komplexe und langwierige Messungen mit einer Materialprobe durchführt. Genau diesem Zweck dient das meist abgedunkelte und geschwärzte Optiklabor im Untergeschoß der neuen Zentrale in Grafing-Schammach. Die Technik wurde größtenteils von Ansys übernommen, wo sie bereits für solche Messungen genutzt wurde. Der Leiter des Cadfem-Optiklabors, Matthias Noak, betreut federführend die Anlage, an der optische Materialvermessungen und -modellierungen an realen Proben von Produktentwicklern durchgeführt werden. Dies stellt sicher, dass sie auch bei komplexen Materialien hochgenaue Material­modelle in Speos-Simulationen nutzen können. Dadurch kommen sie zu realistischen Visualisierungen und damit zu Entscheidungsgrundlagen bei der Entwicklung ihrer Produkte und Varianten.

Optik-Simulation: Matthias Noak, Leiter des Optiklabors, bereitet am Leitrechner eine ausgeführte Streulichtmessung auf – eines der Hauptbestandteile des Materialmodells. Rechts neben dem Monitor, ein Spektrometer.
Matthias Noak, Leiter des Optiklabors, bereitet am Leitrechner eine ausgeführte Streulichtmessung auf – eines der Hauptbestandteile des Materialmodells. Rechts neben dem Monitor, ein Spektrometer. Bild: Digital Engineering Magazin

Lumineszenz

Die Materialmodellierung im Optiklabor geht technisch an die Grenzen dessen, was erfassbar ist. Eine Eigenschaft lässt sich hier allerdings aktuell nicht messen und in der Optik-Simulation nutzen: Lumineszenz. Darunter versteht man ein Eigenleuchten, durch eine Reflexionseigenschaft bestimmter Materialien, wie etwa dem weißen Papier, auf dem dieser Text gedruckt ist – ohne Lumineszenz würde es eher grau wirken, weshalb Hersteller, um diese sicherzustellen, ihm Bleichmittel zusetzen. Wie wirken diese Mittel? Lumineszierende Materialien reflektieren einen gewissen Anteil des unsichtbaren UV-Lichts – und zwar im sichtbar blauem Spektrum. So erscheint das Papier im besten Fall leuchtend weiß. Es kann aber je nach einfallendem Lichtspektrum zu einem ungewollten Farbeindruck kommen. Viele Entwickler verzichten daher auf lumineszierende Materialien bei besonders kritischen Produkten oder wissen um dieses Phänomen und berücksichtigen es in angemessener Weise.

Auch das Spektrum ist eine wichtige Eigenschaft, die, in Alltagssprache, den Farbeindruck der Probe erfasst. Zur Messung nutzt Noak die Einrichtung rechts im Bild.
Auch das Spektrum ist eine wichtige Eigenschaft, die, in Alltagssprache, den Farbeindruck der Probe erfasst. Zur Messung nutzt Noak die Einrichtung rechts im Bild. Bild: Digital Engineering Magazin
Optik-Simulation: Im zweiten Labor-Raum ‚Optische Messung II‘, validiert Noak die erzeugten Materialmodelle, indem er seine Messungen in diesem Aufbau mit einer Simulation der Probe vergleicht.
Im zweiten Labor-Raum ‚Optische Messung II‘, validiert Noak die erzeugten Materialmodelle, indem er seine Messungen in diesem Aufbau mit einer Simulation der Probe vergleicht. Bild: Digital Engineering Magazin

Fazit: Mehr als die Summe seiner Teile

Besonderer Dank an Dr. Ervand Kandelaki, Business Development Manager Optics bei Cadfem, und seine vielen Hinweise ohne die ich die Details bis hier wohl nicht so einfach korrekt hätte aufs Papier bringen können.

Die Spezialisten übernehmen mit dem Optiklabor die Modellierung von optischen Materialeigenschaften, die Ansys in der Vergangenheit selbst angeboten hatte. Auch komplette optische Simulationen im Auftrag sind möglich. Dabei sieht Cadfem in Simulation stets mehr als eine bloße Anwendung von Software – Erfolg basiere vielmehr auf deren Kombination mit Beratung, Support und Schulung, so die Experten.

Auch für die Optik-Simulation scheint zu gelten, dass ihr Potential größer ist, als viele Anwender abschätzen können. Passende Simulationslösungen können helfen, die Hürden der Entwicklung zu verringern und den Weg zu neuen Varianten und Lösungen zu vereinfachen. Diese Fahrt hat mir einige Erkenntnisse gebracht.

3 Fragen an Matthias Noak, Leiter des Optiklabors bei Cadfem in Grafing

Herr Noak, was bringt ihr Optiklabor im Untergeschoß der neuen Firmenzentrale?

Wir messen mit der Technik im Labor Streulicht, das entsteht, wenn wir eine bekannte Lichtquelle auf eine Probe richten. Darum würde Fremdlicht die Messungen verfälschen und Tageslicht darf gerne draußen bleiben – zumal die Messungen, einmal eingerichtet, weitgehend automatisch ablaufen. Wir erstellen auf Basis der Messungen optische Materialmodelle für Simulationen. Denn für Letztere brauchen wir bereits zu Beginn präzise Materialeigenschaften, um optische Größen genau berechnen zu können. Wir erstellen im Labor zudem nicht nur Messwerte, sondern fertige, validierte Modelle. Damit lassen sich robuste Simulationsergebnisse erreichen.

Für wen sind diese von Ihnen erstellten Materialmodelle besonders wichtig?

Für alle, die die Optik-Simulation als Basis für wichtige Entscheidungen nutzen – denn Modelle mit nur ähnlichen Materialien können zu sehr fehlerhaften Ergebnissen führen. Was ist, wenn das Bremslicht eines Autos in der Realität viel dunkler erscheint, als es Ihnen Ihre Simulation mit einem unpräzisen Materialmodell suggeriert hat? Oder wenn das teure Velours im Wohnzimmer eines Kunden in der Abendsonne billig aussieht? Gerade wenn teure Prototypen im Spiel sind, kann die Optik-Simulation mit passenden Materialmodellen erheblich dabei helfen, Entwicklungskosten einzusparen und solche Fehler zu vermeiden.

Welchen Aufwand erzeugt so ein Modell und wie schnell bekomme ich es?

Je nach gewünschtem Materialmodelltyp und entsprechend dem damit verbundenen Aufwand gibt es drei Stufen: Wir rechnen die Vermessung, die Materialmodellierung, die Validierung und den technischen Bericht ab. Sie erhalten die Modelle je nach Komplexität der Materialien in der Regel innerhalb von acht Wochen nach Bereitstellung aller Materialien und Dokumente.

Der Autor Dipl.-Ing. (BA) Jan P. Bihn ist Redakteur beim Digital Engineering Magazin.

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