13.08.2015 – Kategorie: Technik

Multiturn-Sensor: Kontaktlos und klein für smarte Serviceroboter

de_2015_06_802_nov200_bild1

Magnetische Multiturn-Sensoren erfreuen sich mittlerweile in vielen Anwendungsbereichen zunehmender Beliebtheit. Sie liefern absolute Positionswerte, benötigen keinerlei Referenzsignale und brauchen zum Erfassen der Umdrehungen keine Stromversorgung oder Pufferbatterie. Auch in der Robotik kommen die vielseitigen Sensoren zum Einsatz. Bei einem neuartigen Serviceroboter sorgen sie für kontrollierte Beweglichkeit im Hals- und Hüftgelenk. Von Stefan Sester und Ellen-Christine Reiff

Nach dem Siegeszug des Personal Computers (PC) könnte nun bald der Personal Roboter (PR) unsere Lebens- und Arbeitswelt bereichern und uns beispielsweise als „elektronischer Butler“ die Zeitung bringen, Kaffee einschenken oder den Tisch abräumen. Wir sind auf dem besten Weg dazu: Seit den 1990er-Jahren entwickelt das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA solche innovativen Serviceroboter, etwa für die Bereiche Haushalt, Hotel, Pflegeheim oder Krankenhaus. Die vierte Care-O-bot-Generation (siehe Bild 1), die Anfang 2015 vorgestellt wurde, ist nicht nur beweglicher und „charmanter“ als seine Vorgänger, sondern zeichnet sich auch durch den Einsatz kostendämpfender Konstruktionsprinzipien aus.

Hohe Beweglichkeit durch patentierte Gelenke

Modular aufgebaut bietet der Serviceroboter eine gute Basis für kommerzielle Lösungen. Geht es zum Beispiel um das Servieren von Getränken, könnte man eine Roboterhand durch ein Tablett ersetzen. Es ist sogar möglich, nur die mobile Basis als Servierwagen zu nutzen. Je nach Konfiguration lässt sich so eine individuelle Roboterplattform für unterschiedlichste Anwendungen aufbauen: Als mobiler Informationskiosk im Museum, Baumarkt oder Flughafen, für Hol- und Bring-Dienste in Krankenhäusern, Heimen oder Büros, für Sicherheitsanwendungen oder als Museumsroboter zur Attraktion.
Im Vergleich zu seinen Vorgängern ist der Care-O-bot 4 ausgesprochen beweglich. An Hals und Hüfte besitzt er patentierte Kugelgelenke um einen unsichtbaren Drehpunkt (Bild 2). Damit kann er sich bücken, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Wie beim Menschen verschiebt sich beim Beugen ein Teil des Körpers nach hinten und sorgt so für den nötigen Gewichtsausgleich. Deshalb fällt der Roboter selbst dann nicht um, wenn er eine Last am ausgestreckten Arm hält. Durch die Beweglichkeit der Gelenke kann der Roboter dem Nutzer aber auch intuitiv mitteilen, was er plant oder begriffen hat, beispielsweise mit Gesten wie Nicken oder Kopfschütteln. Bedient wird er über einen Touchscreen, für Sprach- und Gestenerkennung sorgen Mikrofone und Kameras.

Hohe Anforderungen an die Sensorik

Damit die Roboterbewegungen und -gesten in der Praxis reibungslos funktionieren, muss die Steuerung zu jedem Zeitpunkt die aktuelle Gelenkposition abrufen können. Die dafür erforderlichen Sensoren müssen die jeweilige Position als Absolut-Signal liefern, damit nach einem Neustart keine Referenzfahrt erforderlich und der Roboter sofort einsatzbereit ist. Eine Batteriepufferung sollte man vermeiden, vor allem weil dann ein regelmäßiges Abgleichen der Sensordaten notwendig wäre, um eventuelle Zählfehler zu erkennen, bevor sie sich summieren. Außerdem gilt es, die Positionen über mehrere Umdrehungen zu erfassen, da sich jede Achse des Gelenks in beide Richtungen um 360 Grad drehen kann.
Für die Positionserfassung der Gelenke suchte man deshalb einen absoluten Multiturn-Drehwinkelsensor. Er sollte darüber hinaus möglichst wenig Bauraum beanspruchen, damit er sich aufgrund der beengten Einbauverhältnisse gut integrieren lässt. Eine Kombination aus Single­turn-Drehgeber und weiterer Sensorik zum Erfassen der Umdrehungen schied schon aus Platzgründen aus. Eine digitale Schnittstelle war ebenfalls erwünscht, um eine fehlerfreie Datenübertragung zu gewährleisten.

Getriebelos und mit digitaler Schnittstelle

Im Produktprogramm des Sensorik-Anbieters Novotechnik wurden die Roboter-Entwickler schließlich fündig. Die Wahl fiel auf den kontaktlosen Multiturn-Sensor der Baureihe RSM 2800 (Bild 3). „Dafür sprachen viele Gründe“, erläutert Bernhard Waterkamp, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IPA. „Der Sensor ist sehr leichtgängig und mit den von uns gewünschten Funktionen das kleinste und gleichzeitig auch preiswerteste Produkt, das wir am Markt gefunden haben. Mit einem Durchmesser von lediglich 28 Millimetern ließ er sich gut im Gelenk integrieren (Bild 4). Ein optischer Encoder wäre wesentlich größer und teurer.“
Auch das Funktionsprinzip kam der Anwendung entgegen: Der Multiturn arbeitet auf mikromagnetischer Basis und nutzt den GMR-Effekt (giant magnetoresistance). Dieser wird in Strukturen beobachtet, die aus sich abwechselnden magnetischen und nichtmagnetischen dünnen Schichten mit einigen Nanometern Schichtdicke bestehen. Der Effekt bewirkt, dass der elektrische Widerstand der Struktur von der gegenseitigen Orientierung der Magnetisierung abhängt. So ist er bei der Magnetisierung in die entgegengesetzte Richtung deutlich höher als bei Magnetisierung in die gleiche Richtung (Bild 5). Dieser Anstieg lässt sich nutzen, um mittels eines speziell geformten GMR-Elementes mit mehreren Widerstandssegmenten absolute Positionswerte zu erhalten, zum Beispiel die Umdrehungszahl. Diese wird stromlos erkannt und gespeichert. Je nach Bedarf lassen sich so zwei bis sechszehn Umdrehungen erfassen. Der Messwert wird als SSI-Signal ausgegeben. Ebenso ist eine Messwertausgabe über eine digitale SPI- oder analoge Schnittstelle möglich.
Die Sensoren arbeiten mit bis zu 18-Bit-Gesamtauflösung (Winkel 14 Bit, 1 bis 4 Bit für die Umdrehungszahl) und können auch in punkto Genauigkeit überzeugen. Über den gesamten Messbereich liegt die Linearitätsabweichung bei plus/minus 0,036 Prozent (bei 16 Umdrehungen). Das magnetische Prinzip arbeitet berührungslos, ist daher verschleißfrei und benötigt keine Pufferbatterie. Selbst im stromlosen Zustand werden Umdrehungen über den gesamten Messbereich erfasst, auch nach dem Ausschalten oder bei einem unerwarteten Spannungsausfall geht die Positionsinformation nicht verloren. Nach dem Einschalten liegt  immer der korrekte Positionswert vor.

Robust und einfach integrierbar

Die robusten Sensoren erfüllen serienmäßig die Anforderungen bis Schutzart IP67, sind also staubdicht und gegen zeitweiliges Untertauchen geschützt. Man kann sie gut in die jeweilige Applikation integrieren. Stöße und Vibrationen beeinträchtigen die Funktion nicht. Das Gehäuse besteht aus hochwertigem temperaturbeständigem Kunststoff. Befestigungslaschen mit Langlöchern ermöglichen einen einfachen Anbau und eine bequeme mechanische Justierung. Die spielfreie Steckkupplung erlaubt eine schnelle und einfache Montage. Der Aufnehmer ist unempfindlich gegen Schmutz und Feuchtigkeit. Für die elektrische Verbindung sorgt ein geschirmtes Kabel, das in das Gehäuse eingegossen ist. Auch vorkonfektionierte Anschlussstecker, beispielsweise M12, sind verfügbar für echtes Plug & Play.
Von diesen Sensoreigenschaften profitieren nicht nur Serviceroboter. Die kompakte Multiturn-Lösung kann vielerorts aufwändige Getriebelösungen überflüssig machen und somit helfen, Gesamtkosten einzusparen. Anwendungsbereiche finden sich unter anderem in Druckmaschinen, Antriebs- und Lenksystemen, als Seillängengeber, bei Tür- und Torantrieben, in mobilen Arbeitsmaschinen, Papiermaschinen, Hebebühnen und als allgemeiner Ersatz von Mehrgangpotentiometern oder Encodern. rt |


Teilen Sie die Meldung „Multiturn-Sensor: Kontaktlos und klein für smarte Serviceroboter“ mit Ihren Kontakten:

Zugehörige Themen:

Messen, Steuern, Regeln

Scroll to Top