21.09.2015 – Kategorie: Fertigung & Prototyping, Management

MES: Tracking leicht gemacht

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Pro Jahr gibt es alleine in Deutschland über 600 Rückrufaktionen. Wer hier nicht sehr genau spezifizieren kann, welches Produkte, welche Serie oder Charge betroffen ist, muss Produktionen über große Zeiträume zurückrufen. Lückenlose Dokumentation hilft, immense Kosten zu sparen. von Ulf Kottig

Rückrufe kosten nicht nur im Fall der Fälle, eine professionelle Rückverfolgung in der Produktion führt auch zu weniger Rückstellungen und gesunkenen Versicherungsbeiträgen.
Neben den reinen Kostenvorteilen sind die gesetzlichen Anforderungen nach Produkthaftungsgesetz (§10 ProdHaftG) und Produktsicherheitsgesetz den produzierenden Unternehmen stetig präsent. Hinzu kommen verstärkt die Anforderungen von Kundenseite, speziell an Zulieferer im B2B-Geschäft, die eine Rückverfolgbarkeit in vorgegebener Zeit nachweisen müssen, um überhaupt als Lieferant weiter gelistet zu sein.
Warum tun sich Unternehmen dennoch vielfach schwer, eine lückenlose, durchgängige Rückverfolgbarkeit sicherzustellen? Es liegt oftmals an der Komplexität und dem Aufwand bei der Initialisierung des Projekts. Ist das System jedoch erst einmal implementiert, reduziert sich der Aufwand auf ein Minimum, der Großteil passiert automatisiert und im Hintergrund.
Schauen wir uns die Rückverfolgbarkeit vom Prinzip her aus der Helikopter-Perspektive an, dann geht es zunächst um drei Dimensionen: Der Ist-Stand, die Vergangenheit und die Zukunft.
Im Ist-Stand sollen in Echtzeit die Produktionsschritte und -parameter automatisiert im Hintergrund protokolliert werden (Track). Über die Vergangenheit möchten wir wissen, wie ein Material bearbeitet, gelagert oder getestet wurde, um zu entscheiden, ob es den gewünschten Regeln entspricht (Trace) und für die Zukunft müssen wir wissen, ob eine Komponente überhaupt verbaut werden darf oder ob sie auf Grund von Fehlern für die Weiterverarbeitung gesperrt ist (Control).

Relevante Daten tracken

Der Kern der Traceablility ist das Tracken aktueller Produktions- und Prozessdaten. Es erfasst und speichert serien- oder chargennummernbasierend Informationen, etwa durchlaufener Arbeitsplatz, Beginn und Ende des Arbeitsganges, eingestellte Parameter, erfasste Prozessdaten, durchführender Mitarbeiter, verwendete Materialien oder Baugruppen. Diese Trackingdaten sind dann auch für die Traceability und die künftige Steuerung maßgeblich. Datenerfassung: Um den Aufwand in diesem Schritt so gering wie möglich zu halten, ist eine hohe Automatisierung der Kommunikation vonnöten. Die Herausforderung in der Produktion ist hier die noch immer oft fehlende digitale Vernetzung, sprich: eine durchgängige Integration – vertikal zwischen ERP und Shop Floor und horizontal entlang des Produktionsprozesses. Oft kommt es noch zur manuellen Erfassung auf Papier.
Oder es handelt sich um heterogene Systemlandschaften ohne definierte Schnittstellen. Diese fehlende Transparenz führt zu Zusatzaufwand.

Transparenz schaffen

Schauen wir uns beispielsweise an, wie sich eine automatische Linie und einen halbautomatischer oder manueller Arbeitsplatz anbinden lassen. Neben optischen Kodierungen wie Datamatrix-Code für das Einlesen von Serien- und Chargennummern-Etiketten über Barcode-Scanner sind vielfach funkbasierte Systeme wie RFID im Einsatz. Mit RFID können beispielsweise eingesetzte Werkzeuge alleine dadurch, dass sie sich in der Nähe befinden, identifiziert und dokumentiert werden.
Als eine Standard-Maschinenschnittstelle stellt SAP mit dem Plant Connectivity (SAP PCo) eine Software bereit, um über Web-Services oder OPC-Standards direkt an Maschinendaten zu kommen.
Trebing + Himstedt hat daraus einen Machine Data Collector (MDC) entwickelt, der im Paket mit der notwendigen Hardware als Schnittstelle fungieren kann. Sind im Produktionsprozess manuelle Bearbeitungsschritte notwendig, ist es wichtig, dies beim Design der Eingabemasken (BDE) zu berücksichtigen. Besonders hilfreich erweist sich hier auch die Überwachung der Arbeitspläne im SAP ME.

Nach dem Geräte- und Produktsicherheitsgesetz hat der Hersteller jegliche Maßnahmen zu treffen, um eine Gefährdung durch das in den Verkehr gebrachte Produkt auszuschließen. Das bedeutet, ein Prozess wird verriegelt und die Linie und die Weiterverarbeitung stoppt, wenn etwa ein Arbeitsschritt nicht durchgeführt, ein Drehmoment überschritten wird oder sich ein Messwert außerhalb der Norm befindet.
Beispiel Bestückungslinie: Am Beispiel der Elektronikproduktion zur Fertigung von Leiterplatten sähe der Prozess an der Bestückungslinie folgendermaßen aus: Die Linie besteht aus Kennzeichnung, Pastendruck, SMD-/THT-Bestückung, Ofen, Funktionstest und Beschichtung und abschließend gegebenenfalls einer Reparaturschleife.
Als initialer Schritt wird die Leiterplatte entsprechend unveränderlich gekennzeichnet. Dies geschieht zum Beispiel durch Lasern eines Strich- oder Datamatrix-Codes. Wichtig hierbei ist die Unterstützung des Vielfach- oder Multinutzens. Wenn also mehrere gleiche oder unterschiedliche Leiterplatten auf einer großen Leiterplatte produziert werden, muss dies für die spätere Rückverfolgbarkeit der einzelnen Leiterplatten berücksichtigt werden.
Im SAP wird die Codierung mit der führenden Produktionssteuerungsnummer (PSN) verknüpft. Bei der weiteren Verarbeitung werden alle relevanten Informationen nun automatisiert im System erfasst und mit der PSN hierarchisch verbunden (Genealogie). Bei der Lötpaste und der Bestückung sind es neben Start und Ende-Signal zum Beispiel die Chargen der verbauten Materialien und weitere Umgebungs- und Prozessparameter. Im Ofen wird neben der Verweildauer die verwendete Spitzen- und Durchschnittstemperatur von Interesse sein. Abschließend werden die Leiterplatten funktional getestet und die Ergebnisse für etwaige spätere Reparaturen gespeichert. Wird ein Test nicht bestanden, wird das Material automatisch in den Reparaturprozess umgeleitet.
Auch hier spielen das Tracking und die digitale Vernetzung eine wichtige Rolle. Durch Aufruf der SFC-Nummer wird nun am Reparaturarbeitsplatz genau der Bauplan in der Version der Platine aufgerufen, nach dem die Leiterplatte auch gefertigt wurde und direkt am Bildschirm angezeigt. Das ist wichtig, falls zum Beispiel in späteren Versionen bereits Verbesserungen am Schaltplan vorgenommen wurden.
Sind Materialen bei der Verarbeitung zeit-sensitiv wie etwa spezielle Pasten, kann auch das im SAP MES systemtechnisch überwacht werden und nach Überschreitung der Haltbarkeit und Verbrauchszeit eine Prozessverriegelung stattfinden. Potenzielle Fehlerquellen können somit proaktiv ausgeschlossen werden.

Reporting

Für die Traceability stellt SAP bereits standardmäßig eine Vielzahl von Berichten zur Verfügung. Der As-Built-Zusammenfassungsbericht stellt quasi die „Produktlebensakte“ dar, über die sich die komplette Genealogie rückverfolgen lässt.
Der Produkthistorienbericht im Speziellen gibt Auskunft über die verbauten Materialien, Produktionsparameter und Testergebnisse. Für Rückrufaktionen beispielsweise ist der Komponentenverwendungsbericht nützlich, hierüber lässt sich herausfinden, in welche Baugruppen ein gesuchtes Material verbaut wurde.
Alle Daten werden zentral im SAP MES bereitgestellt. Durch die Verbindung zum ERP kann auch eine Kundenzuordnung der bereits verschickten Aufträge erfolgen. Eine serien- als auch eine chargennummernbezogene Aufzeichnung von rückverfolgungsrelevanten Material- und Prozessdaten ist somit lückenlos gewährleistet.
Voraussetzung für eine einfache Produktrückverfolgbarkeit ist jedoch, dass die Prozesse entsprechend analysiert, modelliert und dokumentiert werden. Mit SpeziMES hat Trebing + Himstedt hierfür eine leicht verständliche Methodik entwickelt. Anschließend lassen sich sehr einfach Prozessoptimierungen aus QM-Sicht und Risiken durch Unsicherheiten im Prozess aufdecken und eliminieren sowie eine papierlose Produktion realisieren. jbi  

Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Ulf Kottig ist Senior Marketing Manager bei Trebing + Himstedt.


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