10.10.2022 – Kategorie: Konstruktion & Engineering

Mehrkörpersimulation: Wie sich Sportabläufe modellieren lassen

MehrkörpersimulationQuelle: Oscar Brunet/Adobestock

Wie bewegt sich der Turner effizienter am Reck? Wie gelingt ihm die perfekte Landung? Solche und viele weitere Fragen beantwortet Prof. Dr. Thomas Heinen unter anderem mit Simulation.

Die sportwissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig erforscht unter anderem perzeptuell-kognitive Prozesse wie die Antizipation und motorische Koordination bei menschlichen Bewegungsabläufen unterschiedlicher Komplexität. Eine der Anwendungen ist die Optimierung von sportmotorischen Techniken. Prof. Dr. Thomas Heinen und sein Team beschäftigen sich mit der Frage, wie komplexe sportliche Bewegungen anhand von biomechanischen Ansätzen möglichst einfach und genau beschrieben sowie mit Hilfe der Mehrkörpersimulation erklärt werden können.

Was die Mehrkörpersimulation kann

Im Fall sportlicher Bewegungsabläufe sind Messungen an Probanden oft sehr aufwendig und manche Aspekte bleiben der reinen Messung gegenüber verborgen. Mit dem bloßen Auge kaum zu erfassen sind die Interaktionen zwischen mehreren verbundenen Einzelkörpern, den sogenannten Mehrkörpersystemen bestehend aus starren Körpern, die über die Gelenke verbunden sind. Deshalb ist es sinnvoll, solche Bewegungen mit Hilfe eines Modells zu simulieren. Das systematische Experimentieren am Computermodell erlaubt es, dynamische Interaktionen zahlreicher Faktoren zu erfassen und dadurch wichtige Erkenntnisse über die menschlichen Bewegungen zu erlangen.

Bewegungsverhalten voraussagen

Die Mehrkörpersimulation (MKS) ist eine numerische Anwendung der Kinetik und beruht auf dem Teilgebiet der Dynamik der klassischen Mechanik. Ihr Grundprinzip beruht darauf, starre Körper in Form von diskreten Massen über Stabelemente miteinander zu verbinden. In der Starrkörpermechanik können sich Körper beliebig im Raum bewegen, wobei mechanische Gelenke oder Federgesetze die relative Bewegung der Bauteile beschränken.

Ziel ist, das dynamische Verhalten von mechanischen Systemen vorauszusagen und zu zeigen, wie bewegliche Teile miteinander und mit ihrer Umgebung agieren und reagieren. Dabei können mit MKS-Systemen selbst komplexe mechanische Systeme mit einer geringen Anzahl an Freiheitsgraden abgebildet werden. Die Simulation stellt also eine Vereinfachung der komplexen Realität dar.

Mehrkörpersimulation mit Adams

Um eine Mehrkörpersimulation durchzuführen, wird spezielle Simulationssoftware eingesetzt. Je nach sportlicher Bewegung sind für eine zuverlässige Modellierung und Simulation unterschiedliche Voraussetzungen erforderlich. Für das Modell eines Schraubensaltos ist beispielsweise ein dreidimensionales Modell notwendig, im Gegensatz zur Simulation des Reckturnens, bei der ein zweidimensionales Modell zum Einsatz kommen kann. Biomechanische Modelle komplexer Lauf- und Sprungbewegungen erfordern unter anderem eine hohe zeitliche Auflösung sowie mehrere Freiheitsgrade.

Bei der Forschungstätigkeit von Prof. Dr. Thomas Heinen und seinem Team kommt die Simulationssoftware Adams (Automatic Dynamic Analysis of Mechanical Systems) von Hexagon zum Einsatz. Sie ist die am häufigsten eingesetzte Simulationslösung, die das Bewegungsverhalten von dreidimensionalen mechanischen Systemen realitätsnah, unter Berücksichtigung aller physischen Interaktionen, analysiert. Die Simulationsergebnisse beinhalten Kräfte, Positionen, Geschwindigkeit und Beschleunigung aller Systemkomponenten.

Mehrkörpersimulation
Das vereinfachte Modell des Reckturners stellt in drei Segmenten die Arme, den Rumpf und die Beine des Sportlers dar. Bild: Uni Leipzig

Mithilfe einer integrierten Datenbank (Bibliothek) aus Modellierungselementen lassen sich Mehrkörpersysteme einfach und schnell simulieren. Hierbei ist eine Reihe von Rahmenvorgaben schon im System hinterlegt, und die Komponenten lassen sich durch Gelenke (Joints) und Einschränkungen der Bewegung (Constraints) mit wenigen Klicks unkompliziert miteinander verbinden. Die grafische Benutzeroberfläche (GUI) von Adams bietet vielfältige Import- und Exportmöglichkeiten für Geometrie sowie Daten und Ergebnisse, die in Diagrammen und Animationen dargestellt werden können.

„Es war eine Herausforderung, die auf dem Markt verfügbaren Produkte auf ihre Nutzbarkeit in unserem Anwendungsfeld abzuschätzen,“ erklärt Prof. Dr. Thomas Heinen. „Adams ist die State of the Art Software für solche Anwendungen. Wir haben einige Lösungen ausprobiert, Adams eignete sich jedoch am besten für unsere Forschungsarbeit, da es durch transparentes und einfaches Datenmanagement sehr intuitiv bedienbar ist.“

Einfacher zu simulieren, als zu messen

Die Messmethodik in der Sportwissenschaft, beispielsweise die 3D-Bewegungsanalyse in Verbindung mit Kraftmessplatten, ist genauso wie die sportlichen Bewegungen selbst, höchst komplex. Einige Komponenten sind schwer zu erfassen und manche Aspekte sind allein mit einer Messung an Versuchspersonen nicht ausreichend zu klären.

Um herauszufinden, welche Armbewegung bei einem Salto die effektivste ist, um eine Längsachsenrotation im freien Flug einzuleiten, müssten Probanden bestimmte Armbewegungen punktgenau und bei gleichbleibender Bewegung der restlichen Segmente ausführen. In einem Simulationsmodell eines Saltos lässt sich das viel einfacher realisieren, da einzelne Parameter systematisch verändert werden können und der Effekt dieser Veränderung auf die gesamte Bewegung analysiert werden kann.

Ein weiterer Vorteil der MKS ist die Vermittlung der Mechanik von Mehrkörpersystemen in der universitären Lehre: Um Studierenden die Schwungbewegung eines aufgehängten Mehrkörperpendels zu veranschaulichen, erstellte Prof. Dr. Heinen ein Modell eines Reck-Turners. Dabei wurden die Streck- und Beugebewegungen der Schulter und der Hüfte in ihrem Timing so gesteuert, dass ein Abgang realisiert werden konnte. Die drei Segmente des Modells stellen dabei die Arme, den Rumpf und die Beine des Sportlers dar. In weiteren Schritten kann versucht werden, das Modell höher auspendeln zu lassen, bis es sich überschlägt. Dadurch wird sichtbar, welche Koordination zwischen den Gelenken notwendig ist, damit sich das Pendel überschlägt.

Bei einem weiteren Experiment, dem sogenannten „Stiffness-Experiment“, haben die Studierenden von Prof. Dr. Heinen die Möglichkeit, selbst auszuprobieren, wie sich die Steifigkeit des Bodens und der Beine bei Sprüngen und Landungen auf das Verhalten eines Modells auswirken. Die Steifigkeit ist eine Größe, mittels derer beschrieben werden kann, welchen Widerstand ein Körper gegen eine Verformung durch äußere Einwirkung leisten kann. Die kleinen grünen Körper im Bild „Stiffness-Experiment“ symbolisieren die Füße, die großen grünen Körper den Körper der Versuchsperson. Je nach Starrheit der Beine und des Bodens landet das Modell auf dem Boden oder katapultiert sich wieder vom Boden ab.

Fazit

Die MKS schlägt eine Brücke zwischen Theorie und Praxis in der Bewegungs- und Trainingswissenschaft. Die Modellhafte Nachbildung liefert Aufschlüsse über Bewegungsabläufe, die aus einer Messung mit einem Probanden oft nur schwierig abzuleiten sind. Um die äußerst komplexen menschlichen Bewegungen nachzuahmen, ist eine Lösung für die Simulation mechanischer Systeme nötig, die das Verhalten mit allen physischen Interaktionen analysiert. Mit Blick auf Simulationssoftware für die Lehre sind ein übersichtliches Datenmanagement und Benutzerfreundlichkeit essentiell, um bei geringem zeitlichen Aufwand valide Simulationsergebnisse zu erzielen. Studenten können von Hexagon eine kostenlose Studentenversion erhalten.

Die Autorin Cornelia Thieme ist Manager Presales DACH bei Hexagon.

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