25.02.2022 – Kategorie: Allgemein, Konstruktion & Engineering

Medizinprodukte entwickeln: Was gibt es zu beachten?

Quelle: Greenbutterfly/Adobestock

Medizinprodukte zu entwickeln, ist zunehmend attraktiv – welche Normen und Regeln gelten in EU und Deutschland?

Da die Gesundheitsbranche stark reguliert ist, müssen auch Hersteller von Medizinprodukten eine Reihe von Regularien bei der Entwicklung und Marktzulassung beachten und durch das auf Medizinprodukten angebrachte CE-Kennzeichen die Konformität mit allen relevanten Anforderungen bestätigen.

Welche Schritte ein Konformitätsbewertungsverfahren umfasst und welche Anforderungen ein Medizinprodukt erfüllen muss, steht im engen Zusammenhang mit der Risikoklasse, die jedem Medizinprodukt zugeordnet wird. Dabei sollte man berücksichtigen, dass nicht nur medizinische Geräte, Gegenstände oder Stoffe, sondern auch medizinische Apps und Software als Medizinprodukte definiert werden können. Falls Software als Teil eines Medizinproduktes eingesetzt wird oder als eigenständiges Medizinprodukt fungiert, sollten Hersteller auch Richtlinien und Normen beachten, die für die Softwareentwicklung im medizinischen Bereich relevant sind.

Autorin: Halina Batsishcha ist Healthcare IT Consultant bei ScienceSoft.

Eine neue Richtlinie für Medizinprodukte seit 2017: Medical Device Regulation (MDR)

Die im Jahr 2017 in Kraft getretene europäische Verordnung über Medizinprodukte (Medical Device Regulation, kurz MDR) hat die bisher gültigen Richtlinien 93/42/EWG sowie 90/385/EWG abgelöst und eine Reihe von produkt- und prozessbezogenen Änderungen mit sich gebracht. Das Hauptziel der MDR ist, durch umfassendere Anforderungen die erhöhte Qualität von Medizinprodukten zu erlangen.

  • Die neue EU-Verordnung besteht aus 123 Artikeln und 17 Anhängen und beschreibt in Details:
  • Welche Produkte als Medizinprodukte bezeichnet werden können.
  • Welche grundlegenden Anforderungen an Sicherheit und Leistung Medizinprodukte erfüllen müssen.
  • Wie die klinische Bewertung und Nachbeobachtung durchgeführt und dokumentiert werden müssen.
  • Welche Informationen Hersteller bei der Registrierung von Produkten bereitstellen müssen.
  • Welche Dokumente und Inhalte die technische Dokumentation enthalten muss.
  • Nach welchen Regeln Medizinprodukte in verschiedene Risikoklassen eingestuft werden können.
  • Welche Schritte Hersteller von Medizinprodukten im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens durchlaufen müssen.
  • Wie Medizinprodukte nach dem Inverkehrbringen überwacht werden müssen und vieles mehr.

Diese Normen gelten für Medical Devices

Detaillierte Anforderungen an unterschiedliche Prozesse sind in entsprechenden Normen definiert. Zu den wichtigsten Normen, die für Hersteller von Medizinprodukten relevant sind, gehören die Folgenden:

•             ISO 13485

Die auf ISO 9001 basierte Norm befasst sich mit Anforderungen an das Qualitätsmanagement-System, die Hersteller in allen Phasen des Lebenszyklus eines Medizinprodukts erfüllen müssen. Diese Norm bezieht sich in erster Linie auf die Sicherheit von Medizinprodukten. Die Etablierung eines nach ISO 13485 zertifizierten Qualitätsmanagement-Systems ist eine Voraussetzung, um die Konformitätsbewertung erfolgreich durchlaufen zu können. Hierbei sollte man darauf achten, dass die Zertifizierung nach ISO 9001 kein Ersatz für die Zertifizierung nach ISO 13485 sein kann, weil nur ISO 13485 für Produzenten von Medizinprodukten spezifische Anforderungen enthält

•             ISO 14971

Die MDR fordert, dass Hersteller von Medizinprodukten ein Risikomanagementsystem einrichten und einsetzen müssen. Die Norm ISO 14971:2019 (das ist die 3. Ausgabe) ermöglicht es, die Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte zu regulieren. Diese Norm beschreibt in Details die Terminologie und die Prinzipien des Risikomanagements und stellt ganz klare Anforderungen an den Prozess des Risikomanagements von Medizinprodukten (einschließlich Software als Medizinprodukt und In-vitro-Diagnostika).

•             ISO 14155

In dieser Norm werden Anforderungen an die Durchführung und die Dokumentation von klinischen Prüfungen für Medizinprodukte definiert. 2020 wurde die aktualisierte Fassung der Norm ISO 14155:2020 (Klinische Prüfung von Medizinprodukten an Menschen – Gute klinische Praxis) veröffentlicht, die viel umfangreicher als die Version von 2012 ist. Die Norm beschreibt auch, welche Anforderungen an klinische Prüfungen auch im Rahmen der Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen eingehalten werden müssen.

•             IEC 62304

Diese Norm ist für alle Produzenten von Medizinprodukten relevant, bei denen Software entweder als Teil eines Medizinproduktes ist oder als Standalone-Software hardwareunabhängig eingesetzt wird. Die Norm beschreibt Mindestanforderungen an die wichtigsten Prozesse im gesamten Lebenszyklus einer medizinischen Software: Entwicklung, Wartung, Risikomanagement, Konfigurationsmanagement und Problemlösung.

•             IEC 62366-1

Die Norm beschreibt Anforderungen an die Usability von Medizinprodukten und spezifiziert, welche Schritte der Usability-Engineering-Prozess umfasst. Diese Norm zielt darauf ab, Risiken zu minimieren, die aufgrund von Nutzungsfehlern verursacht werden können.

Klassifizierung der Medizinprodukte nach MDR

In welche Klasse ein Produkt fällt, hängt von dem Risikopotenzial ab, das ein Produkt bei der Diagnose bzw. der Kontrolle von vitalen Körperfunktionen aufweisen kann. Je komplexer und risikoreicher ein Medizinprodukt ist, desto detaillierter sind die Vorgaben. Die richtige Klassifizierung bestimmt, welche Schritte für Hersteller bei der Entwicklung und dem Inverkehrbringen erforderlich sind und welche weggelassen werden können.

Die Klassifizierungsregeln sind im Anhang VIII der MDR spezifiziert. Eine entscheidende Rolle bei der Klassifizierung spielen solche Kriterien wie Nutzungsdauer und Ort der Anwendung.

Je nach Risiko unterscheidet man vier Klassen:

Klasse I: Zu dieser Klasse gehören alle nicht invasiven Produkte, die kein Risiko oder das geringste Risiko bergen. Im Rahmen dieser Klasse gibt es drei Unterklassen: Produkte mit Messfunktion (Im), sterile Medizinprodukte (Is) und wiederverwendbare chirurgische Instrumente (Ir).

Konkrete Beispiele: Pflaster, Rollstühle, Temperaturmessgeräte (Im), Verbandmittel (Is), Endoskope (Ir).

Klasse IIa: Dazu zählen sowohl invasive als auch nicht invasive Produkte mit einem mittleren Risiko, die zur kurzzeitigen Anwendung bestimmt sind.

Konkrete Beispiele: Katheter, Einmalspritzen, Elektrostimulationsgeräte.

Klasse IIb: Dieser Klasse werden alle Medizinprodukte mit einem erhöhten Risiko zugeordnet, die zur langfristigen Anwendung bestimmt sind.

Konkrete Beispiele: Blutbeutel, Beatmungsgeräte, chirurgische Laser.

Klasse III: Medizinprodukte dieser Klasse sind zur langzeitigen Anwendung bestimmt, können auch ein Medikament enthalten oder in den Körper implantiert werden. Sie bergen die höchsten Risiken für Patienten.

Konkrete Beispiele: Herzkatheter, künstliche Gelenke, Brustimplantate.

Nach MDR fallen die meisten medizinischen Software in die Klasse IIa und höher.

Hauptschritte im CE-Konformitätsbewertungsverfahren

Grundlegend umfasst ein Konformitätsbewertungsverfahren die folgenden Schritte:

  • Definition der Zweckbestimmung eines Medizinproduktes.
  • Recherche und Ermittlung von Anforderungen, die das Produkt erfüllen muss (einschließlich spezifischer Länderanforderungen).
  • Zuordnung des Medizinproduktes einer Klasse.
  • Festlegung, ob die Einbindung einer Benannten Stelle erforderlich ist, und Auswahl eines geeigneten Konformitätsbewertungsverfahrens (Anh. IX – XI, MDR).
  • Etablierung, Zertifizierung und Aufrechterhaltung eines Qualitätsmanagement-Systems nach ISO 13485.
  • Entwicklung eines Medizinproduktes gemäß den relevanten Anforderungen.

Der letzte Punkt „die Entwicklung eines Medizinproduktes gemäß den relevanten Anforderungen“ besteht aus den folgenden Unterpunkten:

  • Durchführung von klinischen Prüfungen gemäß ISO 14155 (wenn es notwendig ist).
  • Erstellung der technischen Dokumentation gemäß MDR.
  • Abgabe des Antrags auf die Durchführung der Konformitätsbewertung bei einer Benannten Stelle (für die meisten Medizinprodukte Klasse I muss keine Benannte Stelle herangezogen werden).
  • Bewertung der technischen Dokumentation und der Konformität, die je nach Risikoklasse entsprechend durchgeführt wird.
  • Erarbeitung und Erstellung der Konformitätserklärung.
  • Vergabe der CE-Kennzeichnung, die Hersteller an ihre Medizinprodukte anbringen dürfen.

Fazit

Der weltweite Markt von Medizinprodukten wächst jährlich. Wenn Hersteller planen, ihre Medizinprodukte auf den europäischen Markt in Verkehr zu bringen, ist die Konformität mit den neuen MDR-Anforderungen eine Voraussetzung dafür. Die Konformität wird durch die CE-Kennzeichnung sichtbar, die erst nach der erfolgreichen Konformitätsbewertung an ein Medizinprodukt angebracht werden darf. Um die Bewertung erfolgreich bestehen zu können, müssen sich Produktentwickler mit relevanten Anforderungen an Produkte und Prozesse intensiver auseinandersetzen.

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