22.10.2013 – Kategorie: Hardware & IT
Luft- und Raumfahrt: Prozesssicherheit durch PDM
Beim Zusammenbau eines Flugzeugs gilt es, große Bauteile wie Rumpfschalen, Leitwerke oder Flügel exakt zueinander zu positionieren und präzise zu bearbeiten. Dies ist die Domäne der in Wiefelstede bei Oldenburg ansässigen Firma Broetje-Automation. Das Leistungsportfolio umfasst das gesamte in der Luftfahrtindustrie erforderliche Prozess-, Fertigungs-, Verbindungs-, und Automatisierungs-Know-how: Dazu zählen die klassischen Nietmaschinen wie auch die Beherrschung neuester alternativer Verbindungstechnik und der Einsatz von Faserverbundwerkstoffen.
„Unsere Maschinen sehen zwar ähnlich aus, sind aber Unikate, weil wir Werkzeugköpfe und andere entscheidende Komponenten an die zu bearbeitenden Bauteile anpassen müssen“, sagt Stephan Kropf, Manager Mechanical Design CAD/PDM-Systembetreuung bei Broetje-Automation. „Natürlich versuchen wir, das Engineering bei Kundenprojekten durch eine stärkere Standardisierung zu minimieren, um unsere Anlagen kostengünstiger anbieten und schneller liefern zu können.“
200 Anwender im System
Hier setzt das Unternehmen auf die PDM/PLM-Lösung CIM Database. Sie wird heute nicht nur von den Entwicklern und Konstrukteuren, sondern auch in den Bereichen Einkauf, Arbeitsvorbereitung und Vertrieb als zentrale Informationsplattform genutzt. Insgesamt greifen mittlerweile mehr als 200 Anwender auf das System zu. Der Anstoß zur PDM-Einführung kam aus der Konstruktion. Wie viele ihrer Auftraggeber arbeitet Broetje-Automation mit dem CAD-System CATIA V5, das an den Standorten Wiefelstede und Jaderberg auf über 50 Arbeitsplätzen installiert ist. Vorrangig war die geltungssichere CATIA-Datenverwaltung, weil bei größeren Kundenprojekten die Gefahr bestand, dass sich die Konstrukteure ihre CAD-Daten gegenseitig überschreiben. Die lagen bisher auf einem Fileserver und konnten deshalb beim Auschecken nicht schreibgeschützt und beim Einchecken nicht automatisch versioniert werden.
Die Konstrukteure favorisierten zunächst ein CAD-nahes Datenmanagementsystem. Die Anforderungen an die einzusetzende Lösung erweiterten sich allerdings im Laufe der Systemauswahl. „Wir wollten nicht nur CAD-Daten, sondern auch andere Dokumente mit Status und Rechten verwalten und den gesamten Informationsfluss steuern können“, erläutert Marcus Hartmann, der als externer Berater an der Systemauswahl beteiligt war.
Systemauswahl
Das Projektteam nahm dann drei Systeme in die engere Wahl: „CIM Database überzeugte uns durch sein Multi-CAD-Datenmanagement nicht nur im Bereich Mechanik, sondern auch E-Technik. Zudem sprach dessen Bedienung für den Einsatz auch als unternehmensweites Dokumentenmanagementsystem“, erklärt Hartmann. „Ein zusätzlicher und entscheidender Nutzen war für uns das integrierte Projektmanagement mit der Möglichkeit, Checkpunkte für das Konstruktions-Controlling zu definieren.“ Im PDM-System wird jetzt grundsätzlich ein Projekt angelegt, bevor Konstrukteure Baugruppen zu einem neuen Auftrag einchecken können. Und um den Arbeitsfortschritt kontrollieren zu können, wird in der Projektstruktur mit Issues (Offene Punkte) und Checklisten für die Erstfreigabe gearbeitet.
Broetje-Automation rollte das PDM-System nicht gleich unternehmensweit aus, sondern startete mit zwei anspruchsvollen Pilotprojekten – eines davon war die Entwicklung einer Fertigungslinie für den Airbus 350, die an drei verschiedenen Standorten installiert werden soll. Die ersten Erfahrungen waren so positiv, dass man sich entschloss, den Funktionsumfang der Lösung um Workflows zu erweitern, beispielsweise für die Freigabe, und sie grundsätzlich für alle neuen Projekte zu nutzen. Voraussetzung dafür ist die Übernahme aller Bestandsdaten, die anfangs nur on Demand migriert wurden, um sie bei neuen Projekten weiterverwenden zu können. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, so Hartmann: „Es gibt noch etwa 8.900 Baugruppen im Filesystem, von denen wir knapp 5.000 übernommen haben. Von den 33.800 Einzelteilen sind inzwischen 20.500 im PDM-System.“
Kollaboration via Workspaces
Die CATIA-Arbeitsplätze sind über die Workspaces-Technologie von CONTACT Software an den PDM-Backbone angebunden, so dass die Konstrukteure ihre Konzepte und Zwischenstände gemeinsam nutzen können, ohne die einzelnen Modelle sofort in CIM Database einchecken zu müssen. „Das losgelöste Arbeiten kommt gut an, weil es die schnelle File-basierte Welt nachbildet, ohne auf die Schutzmechanismen eines PDM-Systems zu verzichten“, erklärt Kropf. Außerdem hat der Workspace-Manager den Vorteil, dass CAD-Daten bei der Fremdvergabe von Konstruktionsaufträgen gesammelt und als ein Workspace den Ingenieurbüros zur Verfügung gestellt werden können. Schicken die Partner Daten zurück, stellt der Workspace Manager das Delta zwischen versendeten und empfangenen Daten in der Modellstruktur übersichtlich dar und unterstützt die kontrollierte und selektive Übernahme der Änderungen in den Bestand.
Das Einchecken der Dateien in CIM Database ist für die Anwender unkompliziert, weil ihnen in der CATIA-Umgebung eine Reihe von Werkzeugen und Makros zur Verfügung stehen, die viele Metadaten automatisch anlegen. „Wer im CAD-System alles richtig macht, braucht die Eingabemaske im PDM-System nur noch, um die Vollständigkeit der Eingaben zu kontrollieren“, sagt Hartmann. Broetje-Automation hat die Erfassung der Metadaten unter anderem deshalb in das CAD-System verlagert, damit die externen Konstruktionsbüros ihre Metadaten auch ohne PDM-Unterstützung einpflegen können. Die entsprechenden Eingabe-Tools erhalten sie zusammen mit der Broetje-spezifischen CATIA-Umgebung. CIM Database eröffnet auch hier neue Perspektiven: Das Unternehmen denkt darüber nach, größere Büros, mit denen sie regelmäßig zusammenarbeitet, über die CONTACT-EdgeServer-Technologie direkt an das PDM-System anzubinden. Die CIM-Database-Server-Infrastruktur wird in Wiefelstede gehostet. Der Standort Jaderberg ist über einen EdgeServer angebunden, der den Datenaustausch via WAN deutlich beschleunigt. Dabei werden die CAD-Daten on Demand repliziert. Die Anwender in Jaderberg, die früher für die Entwicklung der Werkzeugköpfe zuständig waren, kümmern sich heute um die Umrüstung der bei den Kunden installierten Anlagen, zum Beispiel, wenn mit ihnen andere Bauteile bearbeitet werden sollen. Dazu müssen sie gezielt auf die CAD-Daten der betreffenden Maschine oder Anlage zugreifen – die entsprechende Auftragsstückliste beziehungsweise Konfiguration finden sie im ERP-System.
PDM/ERP-Integration in Vorbereitung
PDM- und ERP-System sind allerdings noch nicht miteinander verknüpft, so dass Artikel und Stücklisten manuell im ERP eingepflegt werden müssen. Trotzdem gibt es so etwas wie einen gemeinsamen Nenner, der die Verknüpfung von Daten und Dokumenten ermöglicht: Beim Projektstart wird im ERP-System ein Nummernkreis vergeben, den die Konstrukteure im PDM-System mit Inhalten füllen. Welches Bauteil zu welcher Artikelnummer gehört, melden sie dann an das ERP-Team zurück, das sich um die Anlage von Artikeln und Stücklisten kümmert. Kropf sieht hier erhebliches Rationalisierungspotenzial, das durch eine PDM/ERP-Integration erschlossen werden soll.
Mit der Schnittstelle will Broetje-Automation die Möglichkeit schaffen, Artikel und Stücklisten in CIM Database anzulegen und automatisch an das ERP-System zu übergeben. Welche Informationen dabei an das PDM-System zurückfließen, wird derzeit noch diskutiert. „Wir haben das Integrationsprojekt in drei Phasen unterteilt“, erläutert Hartmann. „Zunächst wollen wir die Artikelverwaltung realisieren. Dann geht es um die Projektverwaltung, das heißt, wir wollen die Artikel den PDM-Projekten zuordnen, ohne die Verknüpfung immer von Hand eingeben zu müssen; das weiß ja das ERP-System. Und im dritten Schritt wollen wir das Stücklisten-Management angehen.“
3D-Daten unternehmensweit
CIM Database sorgt dafür, dass sämtliche Zeichnungen bei Freigabe automatisch als PDF im ERP-System verfügbar sind. Die dazu gehörigen Modelle werden über den Konvertierungsdienst in das 3Dvia-Format umgewandelt und ebenfalls über das ERP-System bereitgestellt, so dass prinzipiell alle Mitarbeiter im Unternehmen sie visualisieren können. Genutzt wird diese Möglichkeit vor allem von den Anwendern in der Montage, die lieber durch die 3D-Modelle der Maschinen navigieren als sich anhand der 2D-Zusammenbauzeichnungen ein Bild von ihrem Aufbau zu machen. „Dass wir Mitarbeitern anderer Abteilungen die Daten automatisch in den Formaten zur Verfügung stellen können, in denen sie sie benötigen, ist ein großer Vorteil“, sagt Kropf. „Das spart viel Zeit und entlastet vor allem unsere Konstrukteure. Früher mussten sie immer wieder ihre Arbeit unterbrechen, um für Kollegen anderer Abteilungen Daten zu konvertieren.“
Das Fazit der beiden Experten: Der PDM-Einsatz bei Broetje-Automation macht sich durch eine höhere Qualität und Konsistenz der Daten und eine bessere Unterstützung der Zusammenarbeit in der Entwicklung gerade in größeren Projekten bezahlt. Der Nutzen durch CIM Database steigt weiter, wenn die Prozesskette zwischen PDM- und ERP-System geschlossen ist. jbi
Autor:
Michael Wendenburg ist Journalist in Sevilla, Spanien.
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