25.09.2015 – Kategorie: Fertigung & Prototyping
Lean Management in der digitalen Fabrik
Lean Management (LM) erweitert den gern verwendeten Begriff Lean Manufacturing um die Betrachtung der indirekten Wertschöpfungstätigkeiten in der Produktentwicklung und in der Produktionsvorbereitung. Einfach ausgedrückt ist LM ein Konzept, das Prozesse von der Produktentwicklung über die Produktionsvorbereitung bis hin zum eigentlichen Produktionsprozess optimiert. Von Klaus Thiel
Beim Lean Management findet die Optimierung in mehreren Bereichen statt. Dies führt zu reduzierten Durchlaufzeiten, zu mehr Qualität, zu einer verbesserten Input-/Output-Effizienz, zu einer geringeren Umweltbelastung sowie zu minimierten Kosten. Als Basis für diese Prozessbereiche kann man die Inhalte des Toyota-Produktionssystems heranziehen. Dabei geht es stets um das Vermeiden von Verlusten, die mit jedem Produktionsprozess verbunden sind. Dabei gilt es, die Verlustquellen zu finden und diese soweit wie möglich zu eliminieren. Zuerst sollte man allerdings die beiden anderen Verlustbereiche im Lebenszyklus eines Produkts betrachten, die bislang sehr stiefmütterlich behandelt wurden beziehungsweise werden: die Produktentwicklung und die Produktionsvorbereitung. Erst dadurch wird Lean Manufacturing zu Lean Management (LM) (siehe Abbildung 1). Dabei geht es immer um optimal gesteuerte Prozesse. Das Ganze wird getragen durch verschiedenste vernetzte Technologien, unter anderem durch den Einsatz von MES-Technologie. Der entscheidende Ansatzpunkt für die Optimierung der Prozessabläufe ist aber das eingesetzte Personal. Im Toyota-Produktionssystem (TPS) wurde dies zuerst nicht explizit genannt, obwohl nach Toyoda Sakichi, dem Begründer vom TPS, das Personal zum zentralen Element für die Realisierung von LM gehört. Später fügte man dies als achte Verlustquelle hinzu.
Höhere Personalleistungsfähigkeit
Es gibt vier Ansätze, die Leistungsfähigkeit des Personals zu erhöhen:
1. Management bis hin zum Werker an den Maschinen arbeiten im Team zusammen
2. klare Zuständigkeiten
3. Personalmotivation
4. Informationsmanagement am Arbeitsplatz
Die Ansätze gelten nicht nur für das Produktionspersonal, sondern ebenso für die Entwickler und für die Mitarbeiter, die in der Produktionsvorbereitung tätig sind.
Qualifiziertes Personal, das das Unternehmensleitbild mit messbaren Zielvorgaben verinnerlicht hat, ist der Schlüssel für Lean Management. Dazu muss man aber die vier genannten Ansätze zur Leistungssteigerung des Personals umsetzen. Das Ganze wird getragen von einem Leitungsmanagement, das die neuen Formen der Informations- und Kommunikationstechnik verstanden hat und danach handelt und entsprechend steuert. Ist dies nicht gegeben, lässt sich LM nicht realisieren, es wird bei Worthülsen bleiben.
Verluste in der Produktentwicklung
Die Produkte sind immer kurzlebiger, eine schnelle Produktentwicklung ist heute ein wichtiger Aspekt im globalen Wettbewerb. Verluste vermeiden bedeutet auch in der Produktentwicklung Reduzierung der Durchlaufzeiten in den einzelnen Phasen des Entwicklungsprozesses (siehe Abbildung 2). Hierzu ist es erforderlich, die Mitarbeiter in F&E als „intellektuelle Wertschöpfer“ von einer eher „chaotischen“ Arbeitsweise zu einem strukturierten Arbeitsablauf hinzuführen. Das heißt, die Produktentwicklung wird in Prozessschritte aufgegliedert, jede Entwicklungsprozess-Phase wird wie ein Arbeitsgang im eigentlichen Produktionsprozess behandelt. Dabei gibt es Vorgabezeiten, Inputs – hier „intellektuellen“ Input in Form von Spezifikationsdaten – sowie Betriebsmittel, beispielsweise ein CAD-Programm. Darüber hinaus gibt es Output, hier „intellektuellen“ Output in Form von SOPs. Daraus lässt sich direkt ein Entwicklungs-MES ableiten mit der Produktentwicklungsplanung und der Workflow-gesteuerten Produktentwicklungsausführung. Mit dem Einsatz eines Entwicklungs-MES erhält man ein Instrument für die Realisierung von Lean Management in der Produktentwicklung. Damit lassen sich die Entwicklungskosten reduzieren und einer laufenden Kontrolle unterziehen.
Verluste in der Produktionsvorbereitung (Lean Office)
In den 1960er- und 1970er-Jahren, als die IT in der Auftragsabwicklung keine oder kaum eine Rolle spielte, wurden konventionelle Verfahren zur Rationalisierung der Verwaltungsabläufe eingesetzt. Diese Verfahren haben auch heute noch Gültigkeit und es empfiehlt sich deren Einsatz im Umfeld einer schlanken Produktionsvorbereitung, damit man die Auftragsdurchlaufzeiten durch die Eliminierung von nicht wertschöpfenden Tätigkeiten beschleunigen kann.
Die konventionellen Methoden zur Rationalisierung der indirekten Wertschöpfung müssen letztlich mit einem MES gekoppelt werden. Heute eingesetzte Arbeitspläne kennen als Arbeitsgänge in der Regel nur die direkten Prozessschritte für die Erstellung eines Produktes. Die auftragsvorbereitenden und auftragsnachbearbeitenden Tätigkeiten werden nicht innerhalb des Arbeitsplans eines Produkts überwacht. Bei der Auftragsvorbereitung handelt es sich um Tätigkeiten der Auftragsgenerierung mit Kundenrücksprache, um Tätigkeiten der Beschaffung und Tätigkeiten der Terminierung. Diese Tätigkeiten lassen sich in einem Auftragscenter zusammenfassen und in einem strukturierten Workflow abwickeln (siehe Abbildung 3). Der langjährige Einsatz der RIW-Methode (Rationalisierung indirekter Wertschöpfung) zeigte, dass man in der Produktionsvorbereitung als indirektem Wertschöpfungsprozess mehr als 30 Prozent der Kosten einsparen kann.
Verluste in der Produktion
Das eigentliche Lean Manufacturing beruht auf der Betrachtung des direkten Wertschöpfungsprozesses. Es geht um die acht Verlustquellen des Toyota-Produktionssystems (siehe Kasten). Um diese Verlustquellen zu vermeiden, wurden grundlegende Prinzipien, Konzepte und Methoden entwickelt (siehe Kasten). Wenn wir diese Aspekte betrachten, so ist die Realisierung von LM in großen Teilen nur mit einem qualifizierten MES möglich, auch wenn man die konventionellen Methoden nicht vergessen sollte, zum Beispiel die Arbeitsplatzgestaltung (5S), Kaizen-Meetings oder den Einsatz der DMAIC-Methodik. Mit dem LM-Konzept wird hingegen eine ganzheitliche Betrachtung des Lebenszyklus-Prozesses verfolgt. Deshalb ist es notwendig, die organisatorischen Maßnahmen und Personalausbildungsprogramme mit den Werkzeugen von MES zu kombinieren, um die entsprechenden Effekte hinsichtlich Effizienzsteigerung und Kostensenkung im Unternehmen zu verwirklichen. Darüber hinaus lässt sich MES als Simulator bei der Entwicklung schlanker Ablaufprozesse im Vorfeld einer Einführung einsetzen, weil sich die Wirkung von Maßnahmen schon frühzeitig zeigt. Eine umfassende Studie in den USA zu den Effekten von LM macht deutlich, dass es hier großes Einsparpotenzial gibt.
Diese Ergebnisse werden sicherlich im Einzelfall bescheidener ausfallen, sind aber dennoch elementar. Deshalb verwundert es, dass die Methoden von LM bei einem Großteil der Produktionsunternehmen noch nicht zum Einsatz kommen. Mehr Informationen zum Thema finden Sie unter www.mes-consult.de im Bereich „Management Briefe“.rt
Dipl.-Volkswirt Klaus Thiel ist Berater bei MES-Consult in Landshut.
Die acht Verlustquellen im Produktionsprozess
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Überproduktion: Alle Produkte, Halbfabrikate und Leistungen, die erstellt werden, ohne dass diese vom Kunden angefordert werden. Die meisten folgenden Verschwendungen werden unter anderem durch Überproduktion verursacht.
- Bestände: Bestände als Produktionspuffer verdecken Schwachstellen, als Überproduktion binden sie Kapital, Flächen und erzeugen nutzlosen Handhabungsaufwand. Am Ende müssen Bestände nicht selten abgeschrieben werden und täuschen zudem im Rechnungswesen eine erbrachte Leistung vor, die ertragswirksam nicht vorliegt.
- Transport: Materialtransporte bringen dem Produkt keinen unmittelbaren Kundennutzen. Einlagerungsprozesse sind zumeist als Blindprozesse anzusehen.
- Wartezeit: Stillstehende Prozesse, fehlendes Material, gestörte oder ungeeignete Betriebsmittel etc. binden Ressourcen, welche für diese Zeiten nicht mehr wertschöpfend genutzt werden können.
- Aufwändige Prozesse: Durch unzureichende Einbeziehung der Produktion in den Entwicklungsprozess, ungeeignete Betriebsmittel und ungeeignete Systeme etc. werden Abläufe in der Regel schwer kontrollierbar. Dies verursacht Fehler, verringert allgemein die Flexibilität, führt zu Fehlprozessen und zu unproduktiven Wartezeiten.
- Lange Wege: Durch zu lange Wege kann ein flüssiger Produktionsablauf gestört werden.
- Fehler: Fehlerhafte Produkte bedeuten Aufwand zum Korrigieren (Blindprozesse) oder Leistung, die in Ausschuss verlorengeht (Fehlprozess). Des Weiteren muss der gestörte Prozess wieder neu anlaufen (Blindprozess).
- Ungenutztes Mitarbeiter-Potenzial: Alles Wissen und Können der Mitarbeiter im Prozess, das nicht genutzt wird, um den Gesamtprozess zu verbessern gilt als Verschwendung (mancherorts auch als „Luxus besonderer Art“ bezeichnet).
Effekte von Lean Manufacturing mit MES und konventionellen Methoden
• Standardisierung von Arbeitsschritten und
Abläufen (Arbeitsplan in MES)
Grundlagen für die Überwachung der
eingesetzten Maschinen/Anlagen (Total
Productive Maintenance als Teil von MES)
• Einfache, zuverlässige Automation als Alternative zu teurer und komplizierter Technologie
(Konventionelle Methode)
• Rüstzeitreduzierung (APS als Teil von MES)
• Synchronisierung von Prozessketten durch
„Pull”/„Push“-Algorithmen
(APS als Teil von MES)
• Just-in-Time-Logistik
(ausgelöst durch APS)
• Produktionsglättung (Heijunka als Teil von APS)
• Fehlervermeidung durch einfache Mechanismen („Poka Yoke“, konventionelle Methode)
• Automatisches Stoppen des Ablaufs bei Fehlern/Abweichungen („Jidoka“/„Intelligente Automation“ durch Sperralgorithmen in MES)
• Konsequente Einhaltung von Qualitätsspezifikationen (DMAIC-Methode, Teil eines qualifizierten MES)
• Visualisierung der Prozessergebnisse (Teil eines Realtime MES)
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