20.08.2021 – Kategorie: Konstruktion & Engineering

Konzeptoptimierung: So kann KI schnell & effektiv komplexe Rahmenstrukturen optimieren

KonzeptoptimierungQuelle: Pavel Chagochkin/Shutterstock

Viele Varianten erhöhen die Wahrscheinlichkeit, die optimale Struktur herauszufinden. Doch es gilt dabei viel zu beachten. Wie KI helfen kann, zeigt dieser Bericht.

Künstliche Intelligenz (KI) steht für viele Methoden, die der Entscheidungsfindung dienen. Neben den Entwicklungen rund um das autonome Fahren oder der medizinischen Diagnostik lassen sich die Algorithmen auch sehr effektiv in der rechnerunterstützten Produktentwicklung einsetzen.

Was die Vermählung von KI und Simulation bringt

Ergänzt durch regel-, fall- beziehungsweise modellbasiertes Rückschließen, Heuristiken beziehungsweise effiziente ordnungsreduzierte Modelle lässt sich KI auch für die (teil-)automatisierte Konstruktion, Modellbildung, Analyse und Optimierung nutzen. Verfügbare Designräume lassen sich damit vollständiger und sicherer bearbeiten, Varianten effizienter entwickeln und bewerten sowie automatisierte Simulations- und Optimierungsprozesse, wie der Konzeptoptimierung, aufbauen.

Der Nutzen von Simulationen kann damit vervielfacht werden, um leistungsfähigere, preiswertere, leichtere – schlicht bessere – Strukturen zu entwickeln. Jedoch erfordert dieser Schritt die notwendige methodische Kompetenz und verfügbare IT-Lösungen. Wer sich jedoch entsprechend vorbereitet, der kann bisherige Grenzen verschieben und wesentlich mehr Nutzen aus seiner oft bereits vorhandenen simulationsbasierten Produktentwicklung herausholen.

Grundsätzliche Ziele der Konzeptoptimierung

Ein grundsätzliches Ziel in der Simulation ist es, die Prognosegüte der Modelle stetig zu verbessern. Die physikalischen Modelle sollen durch höhere Auflösungen oder Erfassung komplexer nichtlinearer Phänomene bessere Prognosen zur Strukturintegrität liefern. Dies betrifft Funktionen wie die Festigkeit, das dynamische Verhalten oder die Crashsicherheit. Die so verfeinerten Modelle bedingen jedoch häufig auch erhebliche Rechenzeiten.

Anwender nutzen solche „verbesserten“ Modelle deshalb heute meist lediglich für Einzeluntersuchungen oder virtuelle Funktions- und Sicherheitsnachweise zur Produktqualifizierung. Denn verbesserte Hardware kann dem höheren Rechenaufwand nur bedingt entgegenwirken.

Die Suche nach den besten Gestaltungen erfordert allerdings die Entwicklung und Bewertung von Varianten und deren Optimierung. Denn nur wer viele Optionen hat, kann sich daraus die beste Lösung auswählen. Dies sollte in der frühen Phase der Produktentwicklung, also in der Konzeptfindung erfolgen. Gerade in dieser Phase werden wichtige Entscheidungen für bessere Strukturentwürfe gefällt. Eine maximale Prognosegüte hingegen ist in dieser Phase noch weniger entscheidend.

Dieses ergänzende Herangehen in der Produktgestaltung erfordert allerdings neben dem Knowhow auch modifizierte Methoden und Werkzeuge. Denn es gilt, die verfügbaren Designräume umfassend abzusuchen und dabei Regeln, Heuristiken oder Restriktionen des Packages, der Fertigungstechnik, der Herstellkosten, der Montage oder recyclingfreundlichen Demontage oder weitere Kriterien einzuhalten.

Konzeptoptimierung: Konkrete Lösung für komplexe Bus-Struktur

Der Stahlanbieter Outokumpu, der CAD-CAE-Lösungsspezialist FCMS und die Hochschule München haben gemeinsam einen KI-Ansatz für komplexe Rahmenstrukturen einer Reisebus-Karosserie untersucht. Dabei wurden für dieses Pilotprojekt zahlreiche, bereits in Software umgesetzte Teilschritte, angewandt und damit das Potenzial der neuen Methodik dargelegt.

Kern der Lösung ist eine Rahmenstruktur, die mit wenigen Informationen, bestehend aus Knotenpunkten und Liniensegmenten in Form einer parametrisierten Drahtgitterstruktur aufgebaut wird. Diese Drahtgitter lassen sich beispielsweise aus den fachwerkartigen Ergebnissen („Wurzelwerken“) einer Topologieoptimierung oder einer gescannten oder bereits in CAD beziehungsweise FEM modellierten Vorgängerstruktur in ein Skelett überführen.

Bereits bei diesem Schritt haben die Partner KI genutzt. Sie unterscheidet zwischen massiven Kreuzungspunkten und linienförmigen Abschnitten beziehungsweise hilft bei der Überführung von Volumen in Skelette. Drahtgitterstrukturen haben den Vorteil, dass sie wegen der wenigen erforderlichen Daten einfach und vollständig parametrisierbar sind und schnell erzeugt werden können. Sie sind damit eine ideale Basis für Optimierungen der Form von topologischen Varianten der Rahmenverstrebung.

Verknüpft mit einer Profildatenbank können diese Drahtgitter in jedem Rahmensegment einen beliebigen Profilquerschnitt annehmen. Die Vorgaben dazu erfolgen beispielsweise automatisiert von einem Optimierungsprogramm, das die Ausprägungen (Varianten) für eine Strukturoptimierung (Sampling, DOE – Design of Experiments) ausbildet.

Mit diesem Schritt sind für die zu optimierenden Rahmen bereits alle Informationen vorhanden. Automatisch lassen sich entweder stark idealisierte, ordnungsreduzierte Modelle (low-fidelity) oder herkömmliche detaillierte Simulationsmodelle (high-fidelity) mit Schalen- oder Volumenidealisierung und hohem Detaillierungsgrad ableiten.

Geeignet für frühe und spätere Phasen

Die Projektpartner haben für die Beschreibung der Geometrien und als Basis zur voll automatisierten Ableitung verschiedener Simulationsmodelle den in Catia integrierten Fast Concept Modeler (FCM) verwendet. Er eignet sich sowohl für die variantenreiche frühe Phase und Optimierung als auch für die folgende detailliertere Nachweisführung zur Qualifikation der finalen Varianten. Mit ihm lassen sich auch für stark idealisierte Verfahren oder klassische Schalenidealisierung gleichermaßen Simulationsmodelle – ausgehend von nur einer Mastergeometrie – erzeugen und detaillieren.

Der FCM ist also auch die Brückentechnologie zwischen frühen und späten Entwicklungsphasen. Denn bei diesem Übergang kommt es auf die Robustheit des Prozesses an, denn auch eine nur gelegentlich unterbrochene Prozesskette ist ein K.O.-Kriterium, wenn hunderte bis tausende Varianten einer multidisziplinären Konzeptoptimierung unterzogen werden sollen.

Die Berechnung

Für die Busstruktur haben die Partner das Rahmenmodell mit den Massen eines Busses unter Betriebsbedingungen multidisziplinär bewertet. Dabei nutzten sie realistische Lastfälle aus stationären Beschleunigungen, zyklische Belastungen, die für Reisebusse nach ECE R66 verbindlichen Testbedingungen für Rollover, sowie weitere NVH-Kriterien zur statischen und dynamischen Steifigkeit der Struktur. Berechnungsziele waren minimale Strukturmasse sowie niedrige Material- und Fertigungskosten der Struktur bei Verwendung von zwei Qualitäten aus einem niedriglegiertem Baustahl und alternativ einem hochfestem TWIP-Stahl.

Die Analysen wurden mit folgenden allgemein zugänglichen Softwarewerkzeugen durchgeführt: FCM und Catia (Geometriemodellierung), MSC Nastran und LS-Dyna (Simulation), FCM und Hypermesh (Vernetzung), Optimus (Optimierung), Python (Prozesse und Ergebnisauswertung)

Geplante Verbesserungen

Im Projekt nutzten die Beteiligten noch einen hybriden Ansatz aus Balken- als auch Schalenidealisierung der Rahmenstruktur für den Rollover. In der Entwicklung sind low-fidelity-Ersatzmodellierungen, die Rollover-Simulationen eines Busrahmens aus dünnwandigen Profilen innerhalb von wenigen Minuten ermöglichen.

Zudem untersuchten sie lediglich die beiden alternativen Werkstoffe und die Profilquerschnitte aus den Bibliotheken. Für Folgeprojekte stellt es keine unüberwindliche Herausforderung dar, zusätzlich die bereits integrierten Formoptimierungen oder topologischen Varianten, sowie auch noch mehr Werkstoffe und noch umfassendere Profilbibliotheken, im gesamten Optimierungsprozess zu nutzen. Dies erfordert jedoch die Einbindung eines Busherstellers mit dem notwendigen Systemwissen zur Definition von Restriktionen, beispielsweise aus Package-Anforderungen.

Konzeptoptimierung: Einsparpotentiale ermittelt

Für die untersuchte Rahmenstruktur konnten in Mischbauweise aus hochfestem Stahl und üblichem Baustahl Einsparungspotenziale von etwa einem Drittel der Masse gegenüber einer rein monolithischen Baustahlvariante demonstriert werden.

Unter konsequenter Anwendung von low-fidelity-Ersatzmodellen für alle Funktionsnachweise auch anderer Rahmenstrukturen lassen sich künftig einzelne Varianten mit einem Zeitaufwand von wenigen Minuten automatisiert erzeugen und bewerten. Mehrere Dutzend Designvariablen können berücksichtigt werden, was zu hunderten bis tausenden Ausprägungen für die zu betrachtende Optimierung führt. Produktentwickler können so die leichtesten beziehungsweise günstigsten Strukturen eruieren.

Die Autoren: Prof. Dr.-Ing. Klemens Rother von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in München, Werner Pohl (Geschäftsführer) und Muhammad Ibrar Saleh von Fast Concept Modelling & Simulation (FCMS).


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