12.01.2015 – Kategorie: Hardware & IT
Interview: Das Internet der Dinge
Wir Deutschen nennen die Digitalisierung gerne Industrie 4.0 in Hommage an vorangegangene industrielle Revolutionen. Was daran aber wirklich revolutionär sein soll, bringen wenige auf den Punkt. Einer davon ist Thomas Svensson, Senior Vice President und General Manager EMEA bei der von PTC übernommenen Firma ThingWorx, der im Gespräch erklärt, wie mit dem Internet der Dinge neue Geschäftsmodelle entstehen – und alte – mitunter auch ganze Konzerne – vom Markt gefegt werden.
Digital Engineering Magazin (DEM): Herr Svenssson, warum ist das Internet der Dinge revolutionär?
Thomas Svensson: Internet of Things (IoT) wird noch einmal einen ähnlich starken Einfluss auf die Gesellschaft haben, wie das klassische Internet selbst. Vergleichen Sie die Art und Weise, wie wir heute kommunizieren und uns informieren, mit der von vor 15 Jahren. Meine Kinder, heute in ihren 20ern, sind mit diesem Wandel aufgewachsen; für sie ist das Internet ein ganz natürlicher Teil ihrer Wirklichkeit. IoT ist eine Entwicklung, die das Verständnis, wie wir zusammenarbeiten, grundlegend verändern wird.
DEM: Was bedeutet das für Unternehmen?
Svensson: Das bedeutet, es wird Gewinner geben und Verlierer. Jene, die vorne bei der Entwicklung dabei sind, haben einen Vorteil. Bestes Beispiel ist das Smartphone: Erinnern Sie sich nur mal sechs oder sieben Jahre zurück. Was war, bevor Apple das iPhone herausgebracht hat? – Da gab es mal eine Firma, die hieß „Nokia“ – und jetzt schauen Sie, wo der einst größte Mobiltelefonhersteller heute steht: verkauft an Microsoft, die Belegschaft drastisch reduziert; das Geschäft machen jetzt Apple, Samsung und chinesische Firmen.
DEM: Das ist der Grund, warum PTC viel Geld für Firmen wie ThingWorx ausgibt?
Svensson: Ja, wir haben neben ThingWorx auch die Firmen Atega und Axeda gekauft. Ohne Axeda haben wir 332 Millionen US-Dollar investiert Damit nimmt PTC im Markt der IoT-Technologien eine gewichtige Rolle ein. Das Besondere ist, dass wir ein stabiler Konzern mit einem Umsatz von 1,3 Milliarden US-Dollar sind. Wir können auf Augenhöhe mit den Konzernen dieser Welt sprechen. Als wir ThingWorx gekauft haben, haben viele in der Branche aufgehorcht; jetzt wo noch die beiden anderen Firmen dazu gekommen sind, bekomme ich täglich vier bis fünf Anrufe von Firmen, die sich für unsere Technologie interessieren.
DEM: Wie wichtig ist die Diskussion mit deutschen Herstellern für Sie?
Svensson: Die Fertigungsseite von IoT ist äußerst interessant für uns und da sind die Deutschen sehr weit vorne dabei. Die drei Gründer von ThingWorx kommen alle aus der Produktion und haben Erfahrungen mit MES-Systemen. Das merkt man auch bei unseren Lösungen: Sie sind auf Ideen von Industrie 4.0 zugeschnitten, beispiesweise auf die Machine-to-Machine-Kommunikation M2M. Uns geht es auch darum zu erfahren, was in den Werkshallen wirklich passiert. Beispielsweise wie produktiv ein Roboter arbeitet. Dazu sammeln wir Daten und geben diese an die Roboterentwickler weiter, damit diese das Produkt selbst ändern oder aber den Roboter oder seine Software anpassen.
DEM: Wie integriert sich IoT ins klassische PLM- und CAD-Portfolio von PTC?
Svensson: PTC hat sich früh im CAD- und PLM-Bereich etabliert. Dann haben wir erkannt, dass das Servicegeschäft mit dem eigenen Produkt für unsere Kunden immer wichtiger wird und haben auch hier entsprechende Lösungen mit aufgenommen. Nun ergänzen wir das ganze Portfolio mit IoT. Entwickler und Serviceverantwortliche bekommen über IoT Rückmeldung, was da draußen mit ihren Produkten passiert. Brauche ich eine mechanische Anpassung oder reicht ein Software-Upgrade? Damit lässt sich künftig der Lifecycle des Produktes verlängern oder die Akzeptanz beim Anwender steigern; erst wenn man „sieht“, dass bestimmte Funktionen nicht optimal umgesetzt sind, passt man das an.
DEM: Haben Sie Beispiele aus der Industrie?
Svensson: Das Konzept übertragen wir gemeinsam mit einem Hersteller von Pumpensystemen. Dabei geht es vordergründig um vorausschauende Wartung – über IoT bekommt der Service des Herstellers Infos zu möglichen Ausfällen, bevor diese akut sind. So kann er schon mal das Ersatzteil bereithalten und den Kunden informieren. Es geht darum, die Kundenbindung zu stärken, aber auch um Informationen für die Pumpenentwickler: Fehlfunktionen, Handhabungsmängel, Akzeptanzprobleme, mechanische Mängel, Softwarefehler, fließen zurück in den Service; in die Weiterentwicklung bestehender und künftiger Produktreihen. Feedback war bisher ein mühseliger Prozess.
DEM: Manche sprechen von Industrie 4.0, andere von IoT. Was ist der Unterschied?
Svensson: Meine Sicht ist, dass Industrie 4.0 schon allein vom Namen her einen stärkeren Fokus auf der Produktion hat als IoT, das viel weiter reicht. Da es ja ein deutscher Terminus ist, frage ich mich, warum sich die deutschen Unternehmen an dieser Stelle selbst beschränken und den großen Zusammenhang unterbetonen. Wo bleibt da Smart Farming, Smart Home, Smart City und so weiter? Zur Smart Factory gehören schlussendlich auch smarte Produkte. Und die Ideen für die neuen Produkte und Geschäftsmodelle kommen erst, wenn man IoT in seiner Gänze begreift.
DEM: Wir sind lernfähig! Was bedeutet also IoT für die Arbeit der Ingenieure?
Svensson: Es geht darum, Produkte zu entwickeln, die sprechen können! Das wird die Arbeit des Ingenieurs zwangsläufig verändern. Er wird sich mehr damit beschäftigen müssen, wie sein Produkt von dieser Kommunikation profitiert. Worauf ich hinaus will ist, dass der Produktentwickler sich schon sehr früh überlegen muss, was die Integration von IoT bringt.
DEM: Stichwort IT-Sicherheit. Sollte er auch Hacker und Datenklau im Kopf haben?
Svensson: ThingWorx ist eine recht junge Firma, erst 2009 gegründet. Dadurch haben wir uns von Anfang an Gedanken um die Sicherheit gemacht und wir wissen, dass Security bei IoT eine Schlüsselrolle einnimmt. Andere haben sich für ihren Erfolg nicht so große Gedanken um die Sicherheit machen müssen wie wir. Ich habe beispielsweise ein Fitnessarmband, das verbindet sich über Bluetooth mit meinem Smartphone und sendet meine Aktivitäten und Fitness-Daten in die Cloud – wann ich aktiv bin, wann ich schlafe und so weiter. Da fragt man sich schon, wem gehören diese Daten jetzt und was, wenn solche Daten an die falschen Leute geraten? Die Firmen, die auf uns zukommen, stellen viele Fragen in Richtung IT-Sicherheit und fordern für ihre Anwendung passende Security-Lösungen. Damit stehen wir vor der Herausforderung, dass viele potenziellen Anwender erst Vertrauen schöpfen müssen.
DEM: Wie schaffen Sie Vertrauen?
Svensson: Man muss für jede Anwendung die passende Security-Lösung finden. Beispielsweise hatten wir in Polen eine Anwendung, bei der Daten aus einem Panzer übertragen werden sollten. Da wurde schließlich das Internet und Funknetzwerke ausgeschlossen. Der Panzer überträgt seine Daten nun nachts über eine Kabelverbindung. Wenn Sie beispielsweise über ein WLAN auf das Internet zugreifen, besteht die Gefahr, dass Sie ortbar werden, und auch die Kommunikation abzusichern ist alles andere als trivial. Sie können beispielsweise ein spezielles Netz aufbauen, in das kein anderer mehr reinkommt – aber das kostet natürlich. Aktuell werden auch neue Protokolle für sicherheitskritische Anwendungen entwickelt, die besser auf diese Anforderungen eingehen werden.
DEM: Bei IoT bedeutet IT-Sicherheit auch Produkt-Verlässlichkeit, oder nicht? Ein manipuliertes Produkt könnte sogar dem Nutzer schaden.
Svensson: Absolut, wenn man es zu Ende denkt, ist IT-Sicherheit beim IoT noch mal deutlich wichtiger als beim klassischen Internet. Das ist die große Frage bei IoT, nicht nur für PTC. Deshalb gibt es da auch viele Forscher, die sich mit diesem Thema beschäftigen und wir begrüßen diese wichtige Diskussion und tragen dazu bei. Die Axeda-IoT-Technologie beispielsweise stellt einen sicheren Zugriff für die Fernüberwachung und -wartung von Maschinen, Sensoren und Geräten bereit. Der sogenannte Machine Cloud Service umfasst Machine-to-Machine- und IoT-Konnektivitätsservices, Softwareagenten und Toolkits, mit denen Unternehmen ihre Produkte über nahezu jeden Kommunikationskanal – vom Telefonnetzwerk, über das Internet, WiFi bis hin zur Satellitenübertragung – mit der Cloud verbinden können. Die durchgängige Sicherheitsstrategie von Axeda deckt alle Ebenen des IoT-Technologie-Stacks ab, einschließlich Netzwerk, Anwendung, Nutzer und Datensicherheit.
DEM: Auch bei der Produktentstehung fallen viele Daten an. Wie schützt man die?
Svensson: Wenn heute Unternehmen ihre Produktentwicklung über die Cloud abwickeln wollen, ist das immer noch ein Datensicherheitsproblem. Zudem stellt sich wie beim Fitnessarmband die Frage, wem diese Daten gehören. Dem Anwender, dem Cloud-Provider? Diese Probleme sind nicht neu. Aktuell kommt eine aus unserer Sicht notwendige Diskussion um diese Dinge in Gang. Ohne eine steigende Sensibilität für IT-Sicherheit wird auch IoT nicht funktionieren.
DEM: Auch die Speicherung und Übertragung von Daten kostet Geld.
Svensson: Im Vergleich zum Sicherheitsaspekt können Sie die Kosten für die Speicherung der Daten vernachlässigen. Einen Flaschenhals sehe ich aktuell eher in der korrekten Auswertung der Daten. Die Daten zum Sprechen zu bringen, das ist es, worauf es ankommt. Stellen Sie sich vor, sie haben einen Temperatursensor im Auto am Motor an einer bestimmten Stelle sitzen. Der Schlüssel zum Nutzen wird sein, aus den Daten zu
lesen, wann das Produkt im Feld ein Problem haben wird und welches Teil genau defekt ist.
DEM: Wie hoch ist Marktpotenzial von IoT?
Svensson: McKinsey spricht in einer Studie davon, dass sich der IoT-Markt bis 2025 in einem Rahmen von 2,7 und 6,2 Billionen US-Dollar im Jahr bewegen wird. Das Ganze wird wohl in der Medizintechnik und der Produktion losgehen und sich schnell auf andere Branchen ausbreiten. Ich denke auch, dass sich mit IoT die Art, wie Unternehmen an ihren Produkten verdienen, ändern wird. Heute bezahlt man in der Regel zunächst das Produkt und dann gehört es einem. Wenn ein Hersteller jedoch ständig mit seinem Produkt „sprechen“ kann, kann er das komplette Service-Geschäft übernehmen und andere Anbieter vom Markt verdrängen. Daraus könnten sich auch Mietmodelle bilden, die den Service einschließen. Der Nutzer bezahlt nur eine monatliche Gebühr und nutzt das Produkt über einen definierten Zeitraum. Das ist es wie sich unsere Geschäftslandschaft verändern wird. Ich muss keine riesigen Summen mehr investieren, um ein Geschäft zu starten.
Vielen Dank, Herr Svensson für dieses Gespräch!
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