02.11.2023 – Kategorie: Komponenten & Systeme

Industriestoßdämpfer für die Züricher Seilbahn: Mehr Präzision in der Talstation

IndustriestoßdämpferQuelle: UBS Polybahn

Die vom Volksmund „Studenten-Express“ getaufte Züricher Polybahn transportiert seit über 130 Jahren Studierende vom Hauptbahnhof zur Eidgenössischen ­Technischen Hochschule (ETH) Zürich. In der vor kurzem runderneuerten Standseilbahn tragen schwere Industriestoßdämpfer von ACE zur immer gleichen Halteposition im Tal bei.

Industriestoßdämpfer für mehr Präzision: Jedes Jahr benutzen 1,7 Millionen Fahrgäste den Studenten-Express. Den Spitznamen trägt die 1889 in Betrieb genommene Bahn zu Recht, da es zwischen dem Central, einem gegenüber dem Hauptbahnhof gelegenen Platz, und der am Fuß des Zürichbergs gelegenen Hochschule keinen Zwischenstopp gibt. Ein eigenes Transportsystem für eine gerade einmal je 176 Meter lange Fahrt den Berg hinauf und hinab? Ist das sinnvoll oder handelt es sich um eine Attraktion für lauffaule Studierende? Die dauerhaft hohen Transportzahlen sprechen für sich und für die mit einer maximalen Fahrgeschwindigkeit von neun Stundenkilometern betriebene Polybahn.

Schneller nach oben

Es liegt an der speziellen Topographie zwischen ETH und Hauptbahnhof, dass die Bahn auf der kurzen Strecke 41 Höhenmeter und in der Spitze eine Steigung von 26 Prozent überwindet. Alternative Wege zu Fuß, mit dem Auto oder dem Fahrrad sind für die Studierenden deutlich länger und zumindest bei den autofreien Varianten auch beschwerlicher. Aber auch die Autoversion taugt kaum, da in Hanglage zu wenig Parkraum vorhanden ist. So ist die UBS Polybahn AG der Betreiber dieser beliebten Strecke und zugleich eine Tochtergesellschaft der über 150 Jahre alten Bank UBS. Sie war es, die in schwierigen Zeiten das traditionelle Transportsystem übernahm, auf finanziell gesunde Füße stellte sowie konsequent auf Sanierung und technische Weiterentwicklung setzte. Ein großer Meilenstein war das Jahr 1996. Zu der Zeit erfolgte ein erster großer Umbau durch Seilbahnspezialisten Garaventa, der im Jahr 2002 mit einem weiteren internationalen Traditionsunternehmen der Branche zur Doppelmayr/Garaventa-Gruppe verschmolz.

Anforderung für Industriestoßdämpfer-Hersteller: Der immer gleiche Haltepunkt

Der Auftraggeber und die Doppelmayr/Garaventa-Gruppe waren sich einig, dass das Äußere der beiden auch liebevoll Polybähnli genannten Wagen an die Anfänge des Nahverkehrsmittels erinnern sollte. So betreffen die größten Modernisierungen seit 1996 den neuen Antrieb, das Fahren auf zwei statt auf drei Schienen und die Umstellungen auf herkömmliche Zangenbremsen sowie auf einen vollautomatisierten Betrieb. Letztgenannte Innovation ist in weiten Teilen des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs Europas noch nicht vollzogen. Bedenkt man etwa, dass Verkehrsexperten wie der Aachener Professor Günther Schuh sagen, ein führerloses Fahren führe zu einem Anstieg der Taktung von 40 Prozent, ohne einen einzigen Gleiskilometer zusätzlich zu bauen, ist dieses Potenzial nicht hoch genug einzuschätzen.

Industriestoßdämpfer
Die Industriestoßdämpfer ermöglichen ein weiches, auf den Punkt genaues Abbremsen der Seilbahnfahrzeuge beim Einfahren in die Talstation. Bild: UBS Polybahn

Es ist ebendiese Automatisierung, die in Zürich zu einer maximalen Fahrleistung von 1.200 Personen pro Stunde beim Einsatz der gerade einmal zwei vorhandenen Wagen führt, die jeweils 50 Personen fassen. Bei dieser Frequenz stehen eine Generalüberholung und Weiterentwicklung rund alle 20 Jahre an. Dafür werden die beiden 7,5 Tonnen schweren Waggons aus dem Gleis gehoben und in eine Werkstatt gebracht. Aber auch entlang der Strecke passierte im Rahmen der letzten Modernisierung anno 2021 Einiges. So sollte, um das Ende der Fahrt in der Talstation noch punktgenauer und komfortabler zu gestalten, eine neue Dämpfungslösung gefunden werden, da bei der vorherigen ein Zellstoffpuffer als Notendlage im Einsatz gewesen war. Eine Lösung, bei der kein definierter Haltepunkt angefahren werden konnte.

Wie schon bei anderen Seilbahn- und Gondel­projekten wandten sich die Konstrukteure der Doppelmayr/Garaventa-Gruppe mit dieser technischen Anforderung an Bibus. Diese Unternehmensgruppe aus der Schweiz ist unter anderem bekannt als Anbieter von hydrau­lischen wie pneumatischen Antriebs- und Steuerungssystemen sowie als Lieferant kompletter Anlagen. Die Anfrage in diesem Fall lautete, ob das Unternehmen schwere Industriestoßdämpfer liefern könne, die stets ein weiches, auf den Punkt genaues Abbremsen der Seilbahnfahrzeuge beim Einfahren in die Talstation möglich machen. Bei Standseilbahnen ist die Gegenstation immer die Talstation, die Bergstation ist Antriebsstation.

Auf den Antrieb kommt es an

„Die Fahrzeugposition am Haltepunkt in der Gegenstation ist von mehreren Faktoren abhängig“, erklärt Markus Reichmuth aus dem Konstruktions- und Projektteam von Garaventa, „dazu zählen unterschiedliche Fahrbahnlängen, die sich durch Ausweichen in einer Kurve ergeben: Dieser Längenausgleich wird bei der Polybahn mittels eines verschiebbaren Antriebs kompensiert.“ Letztgenannter gleicht sowohl die Temperaturdehnung des Seils als auch dessen bleibende Dehnung aus. „Lediglich die elastische Dehnung des Seils, wobei dieses aufgrund der unterschiedlichen Beladung des Fahrzeugs seine Länge ändert, wird nicht kompensiert.“

Daniel Hunziker, ebenfalls bei Garaventa als Konstrukteur an diesem Projekt beteiligt, fügt hinzu: „Bei der Polybahn macht die elastische Dehnung circa neun Zentimeter aus.“ Das heißt, dass die Wagen ohne einen definierten Haltepunkt in der Gegenstation nie am genau gleichen Ort stehen bleiben würden. „Diesen Zustand galt es bei der jüngsten Renovierung auf alle Fälle zu vermeiden, weil die Treppenlinie der Station nicht in jedem Fall auf die fürs Ein- und Aussteigen wesentlichen Positionen der Fahrzeugtüren passt.“ So stand denn auch für Bibus im Pflichtenheft, dass ein mechanischer Anschlag angefahren werden solle, damit die Halteposition immer gleich ist.

Industriestoßdämpfer
Zwei schwere Industriestoßdämpfer werden in der Talstation regelmäßig mit einem Tempo von 0,18 Metern pro Sekunde bei einer bewegten Masse des vollen Wagens von elf Tonnen angefahren. Bild: UBS Polybahn

Die Lösung: Schwere Industrie­stoßdämpfer nach Maß

Den Ingenieuren von Bibus in Fehraltorf im Züricher Oberland war damit klar, dass hydraulische Dämpfungslösungen die Ideallösung sein würden. Bei Industriestoßdämpfern und ähnlichen Komponenten vertraut das Unternehmen schon seit Jahrzehnten auf Lösungen von ACE Stoßdämpfer und hat diese bereits in zahlreichen Seilbahnprojekten implementiert. Obwohl der Spezialist für Dämpfungslösungen aller Art aus Langenfeld im Rheinland in 19 verschiedenen Stoßdämpferfamilien ein breites Spektrum an Standardlösungen bereithält, müssen selbst die hochwertigsten Dämpfer für Anforderungen wie in diesem Fall noch ganz genau angepasst werden. Michael Weber, der als Produktmanager für Dämpfungstechnik bei Bibus mit den Kollegen in Deutschland den Kontakt hält, erinnert sich: „Eine der wesentlichen Informationen für uns alle war, dass die den Stoßdämpfern angrenzenden Bauteile bei der Polybahn mit maximal 30.000 Newton belastet werden dürfen.“

Da Industriestoßdämpfer darauf ausgelegt werden, dass ihre Stützkraft einen definierten Wert nicht übersteigt, waren für die Polybahn zunächst folgende Werte als Auslegungsgrundlagen für die kundenspezifische Anpassung zu berücksichtigen: Im Normalfall werden die Dämpfer mit einem als Schleichgeschwindigkeit bezeichneten Tempo von 0,18 Metern pro Sekunde bei einer bewegten Masse von elf Tonnen als Gewicht des vollen Wagens angefahren. „Im Ausnahmefall erhöht sich das Tempo aber auf maximal 0,6 Metern pro Sekunde bei derselben angenommenen bewegten Masse“, betont Weber. Die Resultate der Berechnung lauteten dann, dass im Normalfall eine Stützkraft von maximal 5.000 Newton pro Dämpfer während des Auffahrens genügt. „Im Ausnahmefall steigert sich aber die Stützkraft durch das hohe Tempo auf maximal 29.000 Newton pro Dämpfer während des Auffahrens.“ Ausgehend von diesen gut sechs Mal höheren Werten im Ausnahmefall mussten die Drosselbohrungen im Druckrohr der in Frage kommenden schweren Industriestoßdämpfer so optimiert werden, dass die Stützkraft 29 Kilonewton nie übersteigt. So entstand speziell für diese Applikation eine Sonderausführung eines schweren Industriestoßdämpfers, der die Typbezeichnung CA2x4EUF-04187 erhielt.

Fazit: Kundenspezifische Lösung für Industriestoßdämpfer bewährt sich

Zum Verständnis der notwendigen Modifikationen weist Christian Junghans, Produktmanager bei ACE, darauf hin, dass es die linearen Kennlinien sind, die hydraulische Klein- und Industriestoßdämpfer im Vergleich zu anderen Dämpfungslösungen überlegen machen, wenn es darum geht, bewegte Massen schnell, sicher und punktgenau abzubremsen. Er merkt an: „Bei allen Stoßdämpfern spielen die Druckhülse und ihr Aufbau wesentliche Rollen.“ Trifft die Masse von einem bewegten Objekt auf den Dämpfer, setzt der Kolben in der zylindrischen Druckhülse das im Zylinder vorhandene Öl in Bewegung. Dieses Öl hat eine vom Konstrukteur vorher bestimmte Viskosität.

Industriestoßdämpfer
Linearer Energieabbau bei gleichbleibenden Kennlinien: Die Kolbenstange wird beim Abbremsvorgang in den Dämpferkorpus eingeschoben und das sich vor dem Kolben befindende Hydrauliköl durch alle Drosselöffnungen verdrängt. Bild: ACE Stoßdämpfer

Beim Bremsvorgang drückt der Kolben das Öl nach und nach durch eine Reihe von Drosselbohrungen, wobei die eingeleitete Energie in Wärme umgewandelt wird. Je nach Dämpfungsaufgabe sind die Drosselbohrungen über die Länge des Hubs innerhalb des Stoßdämpferkorpus ganz ausgeklügelt in einer solchen Form angeordnet, dass die vordefinierte Masse mit konstanter Dämpfkraft abgebremst wird. Das wurde auch bei den CA2x4EUF-04187 für die Polybahn erzielt, sodass der hydraulische Druck während des gesamten Bremsvorgangs nahezu konstant ist. Junghans: „Diese Eigenschaften zeichnen alle Industriestoßdämpfer aus, vom Kleinstoßdämpfer über die Magnum-Baureihen bis hin zu den schweren Jungs, die in der Talstation in Zürich arbeiten.“

Deren Verwandte aus dem Standardbaukasten sind bei Kolbenhüben von 50 bis 254 Millimetern in der Lage, 3.600 bis 18.000 Newtonmeter/Hub Energie aufzunehmen. Da in der Talstation zwei Spezialdämpfer verbaut sind und durch die Feinjustierung vor allem die Werte für die Auffahrgeschwindigkeit zusätzlich optimiert wurden, ist auch eine vollbesetzte Polybahn mit einem Gesamtgewicht von elf Tonnen kein Problem für die Dämpferkonstruktion. Sollten die Beteiligten sich bei der nächsten Generalüberholung der Polybahn für größere Waggons entscheiden, wäre eine Umstellung dämpfungstechnisch machbar. Gleiches gilt für andere Städte, die für die Mobilitätswende in Zukunft auf Seilbahnen bauen wollen. So versichern auch Markus Reichmuth und Daniel Hunziker von Doppelmayer/Garaventa: „Grundsätzlich hat sich der Einsatz dieser Dämpfer für unsere Anwendung bei Standseilbahnen bewährt.“

Der Autor Robert Timmerberg M. A. ist Fachjournalist bei plus2, Düsseldorf.


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