09.03.2020 – Kategorie: Konstruktion & Engineering
Hybridlager kostengünstiger und zuverlässiger machen
Mit den neuen Forschungsergebnissen von SKF könnten Hybridlager nicht nur kostengünstiger, sondern auch zuverlässiger werden – und ihnen dadurch den Weg zu einem breiteren Anwendungsspektrum ebnen. › von Dietmar Seidel
Hybridlager kombinieren gehärtete Stahlringe mit Wälzkörpern aus einer Hochleistungskeramik. Derartige Lager stellen eine interessante Alternative für besonders herausfordernde Einsatzzwecke dar: Sie übertreffen „herkömmliche“ Lagerdesigns hinsichtlich ihrer Laufeigenschaften, etwa wenn es um hohe Drehzahlen und Temperaturen oder auch schlechte Schmierungsbedingungen geht.
Aufgrund dieser Vorteile finden Hybridlager beispielsweise in Triebwerken und ähnlich anspruchsvollen Aggregaten der Luft- und Raumfahrtindustrie Verwendung. Da sie außerdem über einen hohen elektrischen Widerstand verfügen, sind sie auch für den Einsatz in Elektromotoren von drehzahlvariablen Antrieben sowie für Generatoren besonders geeignet. Dort wirken sie Streuströmen entgegen, die die Oberflächen normaler Stahl-Lager beschädigen können.
Hybridlager und keramische Stoffe
Keramische Werkstoffe weisen diverse Charakteristika auf, die sie für Lageranwendungen geradezu prädestinieren. So sind moderne Keramiken wie Siliziumnitrid nicht nur sehr hart, sondern auch sehr leicht und lassen sich zudem mit einer sehr glatten Oberfläche herstellen.
Allerdings gibt es auch einige Nachteile. Beispielsweise war bis dato nicht hinreichend bekannt, in welchem Ausmaß die Robustheit der Keramik unter kleinsten Unreinheiten innerhalb des Werkstoffs oder an dessen Oberfläche leidet. Allen bisherigen Anstrengungen zum Trotz lagen die Schadens-Toleranzen deshalb noch ein wenig im Dunkeln. Dieser Umstand konnte die Integrität der in den Hybridlagern verbauten keramischen Wälzkörper gefährden.
Um dieser Gefahr vorzubeugen, werden keramische Lagerkomponenten unter sehr strengen Qualitätskontrollen hergestellt. Auch bei ihrer Montage ist große Sorgfalt geboten, sodass sie vor ihrer Freigabe zum Einsatz noch einmal gewissenhaft geprüft werden. Dadurch entstehen Produkte, die in der Praxis sehr gut funktionieren. Andererseits treibt dieser Prozess die Kosten der Lager in die Höhe, was eine breitere Anwendung der Hybridlagertechnologie bislang einschränkte.
Blick in den Mikrokosmos
Da keine „historisch gewachsenen“ Modelle für die Vorhersage von Einsatzgrenzen beziehungsweise des Versagens von Hybridlagern existieren, ergibt sich eine besondere Herausforderung für die Hersteller. Einige Oberflächenimperfektionen mögen so winzig sein, dass sie überhaupt keinen Einfluss auf die Leistung oder Langlebigkeit eines Lagers haben. Aber ohne zu wissen, in welchem Bereich sich die akzeptablen Grenzen bewegen, sind die Hersteller gezwungen, eine „konservative“ Linie zu verfolgen. Sie müssen aus Sicherheitsgründen auch solche Komponenten auszusortieren, die ihren Job womöglich doch einwandfrei erledigt hätten.
Hybridlager: Einfachere Qualitätskontrolle von Keramikprodukten
Nun hat ein Team des niederländischen Forschungs- und Entwicklungszentrums von SKF einen Weg gefunden, der die Qualitätskontrollen von Keramikprodukten vereinfacht. Die Gruppe hat ein neues prädiktives Modell der Schadenstoleranz für keramische Wälzkörper in Hybridlagern entwickelt. Mit dessen Hilfe können die Forscher genau bestimmen, unter welchen Betriebsbedingungen und ab welchem Schwellenwert ein mikroskopisch kleiner „Defekt“ ein Problem darstellt.
Hybridlager: Systematische Stresstests
Das Team stützte seine Forschung auf eine umfangreiche Testreihe mit Hybridlagern und Keramikkomponenten. Dabei wurden vorsätzlich mikroskopisch kleine Imperfektionen in die Oberflächen von keramischen Wälzkörpern eingebracht, so etwa gelegentlich zu beobachtende Kontaktspuren oder auch Ring- beziehungsweise C-Risse sowie Poren und Materialausbrüche. Zu diesem Zweck hat man die Keramikkugel-Oberfläche systematisch mit kontrollierten Schlägen bis hin zur Rissbildung malträtiert oder auch per Laser bearbeitet, um ein Loch oder eine Pore von exakt vordefinierter Größe und Form zu erzeugen.
Die derartig angeschlagenen Lager oder keramischen Komponenten landeten dann auf einem Wälzkontakt-Ermüdungs-Teststand, der die Prüflinge unter den unterschiedlichsten Belastungs- und Schmierbedingungen an ihre Grenzen oder auch darüber hinaus führte. So wiederholte das Team seine Experimente mit verschiedenen Arten und Größen von Fehlern. Dabei wurden Lager schon vor ihrem Versagen vom Prüfstand geholt, um unter dem Mikroskop nachvollziehen zu können, wie genau sich welche Fehler unter welchen Bedingungen durch den Werkstoff ausbreiten.
Vom Test zum Modell
Auf Basis der dabei gewonnenen Erkenntnisse entwickelte das SKF-Forscherteam ein erweitertes Modell, mit dem sich die Einsatzgrenzen von keramischen Wälzkörpern vorhersagen lassen. „Die Bruchmechanik bildet sicherlich die Grundlage unserer Arbeit“, so der SKF-Chefwissenschaftler Junbiao Lai, „aber darüber hinaus haben wir einige wichtige Untersuchungsaspekte hinzugefügt. Schließlich wollten wir den einzigartigen Eigenschaften und Versagensmechanismen von keramischen Materialien unter praxisgerechten Betriebsbedingungen von Hybridlagern auf die Schliche kommen.“
Zu diesem Zweck berücksichtigt das neue Modell etwa auch die Wechselwirkungen zwischen den Lagerlaufbahnen und dem Schmiermedium. „Schmierstoff, der in einer Pore oder einem Hohlraum an der Laufbahnoberfläche des Lagers eingeschlossen wird, gerät durch die Belastung des Lagers unter Druck. Das kann zu Zugspannungen führen, die die Dauerfestigkeit des Materials beeinträchtigen. Das frisch erworbene Wissen setzt unsere Kollegen in der Produktion in die Lage, ihre Fertigungstoleranzen zu optimieren, unnötigen Ausschuss zu minimieren und ihre Herstellungs-, Montage- und Handhabungsverfahren zu verbessern. Letztlich könnten Hochleistungs-Hybridlager kostengünstiger werden, sodass künftig immer mehr Anwendungen von ihren einzigartigen und überaus nützlichen Eigenschaften profitieren“, resümiert Lai. RT ‹
Dietmar Seidel ist Leiter Fachpresse & Corporate Publishing bei SKF in Schweinfurt.
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