18.11.2022 – Kategorie: Konstruktion & Engineering

Human Twins: Die Rolle von Menschmodellen im Maschinenbau

Human Twins: Die Rolle von Menschmodellen im MaschinenbauQuelle: Machineering

Menschmodelle, sogenannte Human Twins, integriert in eine bestehende Simulationsumgebung versprechen hohen Nutzen im Maschinenbau. Was bringen sie im Detail?

Simulationen, virtuelle Inbetriebnahmen und digitale Zwillinge sind heute bei den meisten Maschinenbauern und auch bei den Betreibern im Alltag angekommen. Warum ist das so? Simulation bildet reale Systeme in der virtuellen Welt ab, um Neues schneller, kostengünstiger und vor allem gefahrloser vorab zu testen. Doch in der realen Welt sind nicht nur Maschinen am Produktionsprozess beteiligt, sondern auch Menschen. Kann man diese einfach aus der Anlagenplanung, der Arbeitsplatzgestaltung und der Planung der Prozesse außen vor lassen? Ganz klar nein. Menschsimulationen – sprich Human Twins, müssen künftig Teil des Planungsprozesses sein.

Machineering entwickelt Software für die Fabrikplanung und -simulation und hat nun eine Möglichkeit entwickelt, für manuelle Arbeitsstationen etwa in der Montage Menschen in die Simulation sowie die virtuelle Inbetriebnahme zu integrieren. So können jetzt nicht mehr „nur“ Maschinen, sondern auch manuelle Arbeitsplätze digital mit Menschsimulationen abgebildet, gestaltet und optimiert werden. Das bietet alle Chancen und Vorteile, die bereits von Maschinen-Simulationen bekannt sind.

Das Metier der Human Twins

Immer wenn eine Montage neu aufgebaut, oder, viel häufiger, wenn bestehende Montagearbeitsplätze umgebaut oder verändert werden wie zum Beispiel bei Produktänderungen -sowie -neuanläufen oder im Rahmen von Optimierungsprojekten, bieten sich Human Twins als Problemlöser an. Eine typische Situation in der Fertigung ist die Umgestaltung von Arbeitsstationen.

Prozesse und Arbeitsabläufe werden aufgenommen und analysiert. Dies geschieht meist in Workshops zusammen mit Montagemitarbeitern und Ingenieuren aus dem Engineering beziehungsweise der Arbeitsvorbereitung. Mit Videoanalysen und Schulungen ermitteln die Beteiligten, welche Abläufe Optimierungsbedarf haben. Sie erkennen auf diese Weise zum Beispiel unergonomische und ineffiziente Material- oder Werkzeugbereitstellungen. Gemeinsam entwickeln sie Ideen, wie eine künftige, optimal gestaltete Arbeitsstation aussehen könnte. Auf Basis der Zeiten aus den Ist-Aufnahmen ermitteln die Projektierer, welche Zeitpotenziale im Einzelnen bestehen. Am Ende der Analyse sowie Ideenfindung liegen meist viele verschiedene mögliche Gestaltungansätze vor.

Genau an diesem Punkt kommen die Human Twins ins Spiel. Bisher konnten die Effekte eines neuen Designs der Arbeitsstation wie Prozesszeiten nur geschätzt oder mithilfe von MTM-Tabellen ermittelt werden. Teilweise mussten die Stationen zeitintensiv und aufwändig nachgebaut werden. Mit der Integration der Human Twins lassen sich Informationen über Prozesse, Zeiten und kritische Aspekte der neuen Arbeitsstation schneller, einfacher sowie präziser einholen als mit traditionellen Methoden.

Human Twins
Mit der Integration von Menschmodellen lassen sich Informationen über Prozesse, Zeiten und kritische Aspekte der neuen Arbeitsstation schneller, einfacher und präziser einholen. Bild: Machineering

Schritte zur Integration der Human Twins

Im ersten Schritt erstellen die Projektierer ein Modell der jeweiligen Station. Montagereihenfolgen und Einzelteile können sie dabei direkt über die CAD-Schnittstelle in die physikbasierte 3D-Simulationssoftware für die virtuelle Inbetriebnahme, iPhysics, übertragen. Durch die grafische Benutzeroberfläche der Simulationssoftware können die Planer Behälter, Werkzeuge und Vorrichtungen hinzufügen und positionieren. Auf diese Weise bauen sie die Station unter Einbeziehung von Positionen, Entfernungen und weiteren Daten für Greif- und Fügesituationen virtuell auf und simulieren die geplanten Prozesse. Gerade wenn es verschiedene Ideen und Versionen zur Gestaltung der Arbeitsstation gibt, können sie nun alle erfolgversprechenden Optionen und Versionen mit minimalem Zeitaufwand simulieren, virtuell testen und verfeinern. So zeigt sich bereits am Digital Twin, wo es noch Probleme oder weitere Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Mit wenigen Klicks bauen sie die Modelle um, um unmittelbar die Auswirkungen ihrer Änderungen zu bewerten.

Die Chancen des Human Twins

Machineering hat bereits erste Projekte mit Human Twins erfolgreich umgesetzt. Dabei zeigte sich, wie groß die Chancen und Möglichkeiten tatsächlich sind. Betrachtet wurden fünf verkettete Montagearbeitsstationen mit insgesamt über 60 Arbeitsschritten. Die Herausforderung war, die Arbeitsinhalte so zu verteilen, dass die Stationen optimal für alle der 15 Produktvarianten getaktet sind. Dies ist eine gängige Herausforderung von Projektierern, die mit Montagesystem-Gestaltung zu tun haben. Die Planung einer korrekten funktionierenden Taktung kann immensen Aufwand erzeugen. Mit der Simulation hingegen konnten schnell verschiedene Szenarien virtuell aufgebaut und getestet werden und in wenigen Minuten Arbeitsgänge sowie zugehöriges Material beziehungsweise Werkzeug zwischen Arbeitsstationen verschoben werden. Die Simulation zeigte sofort Verluste durch Taktzeitleerlauf an und bot eine statistische Auswertung der jeweiligen Zeiten.

Diese punktgenaue Auswertung lässt sich nur durch Simulation erreichen. So sind schnelle Auswertung für verschiedene Produktmixe umsetzbar. In einer Produkttabelle wurden in Sekunden der Produktmix von Varianten und Mengen vorgegeben, die Simulation gestartet und so dynamisch getestet, wie sich die verketteten Arbeitsstationen zueinander verhalten, wenn mehrere Maximal-Artikelvarianten hintereinander durch das System laufen. So lassen sich zahllose Varianten virtuell gestalten und testen, bevor mit dem Bau der realen Anlage begonnen wird. Dieses Vorwissen über Gestaltungsvarianten, Optimierungsmöglichkeiten, mögliche kritische Punkte, wird um ein Vielfaches größer und detaillierter sein. Bei der tatsächlichen Umsetzung können Projektierer Flächenbedarf, Mitarbeitereinsatz und Materialkosten besser optimieren, als ohne dieses zusätzliche Wissen.

Montagestationen, die ergonomischer, effizienter und effektiver sind, bedeuten für die Maschinenbetreiber, dass sie schnellere, produktivere, ergonomischere Arbeitsstationen haben und so teure Mitarbeiterkapazitäten gezielter und produktiver einsetzen können. Durch die Human Twins werden zudem Hochlaufzeiten deutlich verkürzt, weil viele Optimierungen schon vor dem Aufbau durchgeführt wurden. Auch erste Serien können zuverlässig und qualitätsgesichert hergestellt werden, Liefertermine lassen sich einhalten und Gewinne schneller realisiert werden als ohne die Human Twins.

Mitarbeitersicherheit verbessern

Gerade in Zeiten, in denen Cobots zunehmend in Montagehallen mitarbeiten, muss das Thema Mitarbeitersicherheit im Vordergrund stehen. Die Mensch-Maschine-Kollaboration birgt immer noch Risiken, die sich unter auch mit Human Twins schon während der Planungsphase deutlich reduzieren lassen. Daher hat Machineering bei den Human Twins Wert darauf gelegt, dass die Menschmodelle nicht nur von A nach B laufen, also Wege der Mitarbeiter simulieren, sondern echte Arbeitsschritte durchführen, Handgriffe erledigen und Bewegungen an der Maschine durchlaufen. So kann schon bei der Maschinenplanung der Mensch unter Realbedingungen mit einbezogen werden und für die Auslegung von beweglichen Maschinenteilen berücksichtig werden.

Datenschutz groß geschrieben

Gerade bei größeren Unternehmen werden oftmals durch den Betriebsrat Datenschutzbedenken geäußert, wenn es darum geht, Mitarbeiter bei der täglichen Arbeit zu analysieren und die einzelnen Schritte zu bewerten. Durch die Simulation mit Human Twins werden solche Analyseeinsätze obsolet und können ausschließlich am PC mit unzähligen Varianten verifiziert werden.

Der Autor Dr. Georg Wünsch ist Gründer und CTO von Machineering.

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