02.12.2015 – Kategorie: Hardware & IT
Hochpräzise 3D-Modelle sparen Zeit und Geld
Mit traditionellen Auswucht-Systemen waren die Kurbelwellen nach der Bearbeitung im schlimmsten Fall Schrott. Ein in Frankreich entwickeltes bildbasiertes System digitalisiert die Teile in nur 37 Sekunden und bestimmt per Simulation, ob und wie die Kurbelwelle auch ausgewuchtet werden kann. von Nicole Marofsky
Kurbelwellen, wie sie in der Automobilindustrie verwendet werden, wandeln die lineare Hubbewegung der Motorkolben in eine Drehbewegung um und leiten diese an das Getriebe weiter. Schon eine geringe Unwucht, die durch Fertigungsschwankungen entstehen kann, führt bei steigender Drehzahl zu Lagerbelastungen und Vibrationen.
Deshalb ist eine Auswuchtung erforderlich. Dazu werden die Kurbelwellen auf eine hohe Rotationsgeschwindigkeit gebracht. Mithilfe der dabei entstehenden Vibrationen wird die überschüssige Masse entlang ihrer Achse bestimmt, um festzulegen, an welchen Stellen Materialüberschüsse durch Bohren oder Fräsen zu entfernen sind.
„Diese traditionellen Messsysteme können durch die Nutzung von 3D-Bildverarbeitungstools erheblich verbessert werden“, erklärt Olivier Bommart, Vertriebsmanager bei Videometric. Seit mehreren Jahren entwickelt das auf 3D-Vision-Systeme spezialisierte Unternehmen Lösungen für die Automotive-Branche. Mehrere Monate arbeiteten die französischen 3D-Spezialisten im Forschungslabor an einer neuen Auswuchtmethode für Kurbelwellen.
Im Mittelpunkt stand dabei der Digitalisierungsprozess. Dieser musste so aus-
gelegt sein, dass auch komplexe Kurbelwellen innerhalb des aktuellen Industriestandards in 45 Sekunden zu 100 Prozent digitalisiert und ausgewertet sind. Gleichzeitig sollte die neue Methode auch die Schwachpunkte der traditionellen Systeme beheben. „Bei herkömmlichen Systemen können Bearbeitungsschritte notwendig sein ohne die Sicherheit, dass die Kurbelwelle am Ende perfekt ausgewuchtet ist. Im schlimmsten Fall steht nach dem Bearbeitungsprozess eine noch immer schlecht ausgewuchtete Kurbelwelle, die nur noch verschrottet werden kann, weil Teiledefekte nicht frühzeitig genug erkannt wurden. Das ist Zeit- und Geldverschwendung“, erläutert Bommart.
In 37 Sekunden zum 3D-Modell
Die von Videometric entwickelte Methode wird derzeit auf einem bildverarbeitungsgestützten GigE-System, das 32 Industriekameras, 16 LED-Beamer und mehrere Computer beinhaltet, realisiert. Es digitalisiert eine Kurbelwelle in nur 37 Sekunden. Dazu ist ein Set aus je acht versetzt montierten Karbonfaserarmen auf die Oberfläche der Kurbelwellen ausgerichtet.
An jedem Arm sind ein LED-Beamer und zwei digitale VGA-Kameras der TX-Serie von Baumer befestigt. Durch die sequentielle Ansteuerung der Beamer wird ein alternierendes, sinusförmiges Streifenmuster aus nicht-kohärentem Licht mit variierender Intensität auf die Kurbelwellenoberfläche projiziert. Die Sequenz der verzerrten geometrischen Streifenmuster wird von den Kameras mit 60 Bildern pro Sekunde erfasst. Um ein vollständiges 3D-Modell zu erhalten, wird die Kurbelwelle dreimal um jeweils 120 Grad gedreht und gescannt.
„Wir setzen keine hochauflösenden Kameras ein, da sie eine sehr große Datenmenge erzeugen und damit das Bildaufnahmetempo verlangsamen würden. Stattdessen erhalten wir bei einer Auflösung von 640 mal 480 Pixel nur 300 Kilobyte große Graustufenbilder, die wir über GigE schnell zur Verarbeitung an den PC senden können“, erklärt Bommart.
Warum Videometric hier die Kameras der TX-Serie nutzt, erklärt Bommart so: „Die VGA-Auflösung, kombiniert mit der hohen Bildrate und dem niedrigem Rauschen, ist ideal für uns. Außerdem setzen wir schon seit vielen Jahren Kameras von Baumer ein und sind sehr zufrieden. Denn sie arbeiten auch unter anspruchsvollen Einsatzbedingungen wie bei der Produktion heißer Metallteile im 24/7-Betrieb seit Jahren äußerst zuverlässig.“
Erstellung der Punktwolken
Für die Bildverarbeitung nutzt Videometric eine interne proprietäre leistungsstarke Software, die verschiedenste Algorithmen zur Digitalisierung, 3D-Verarbeitung, Volumenkalkulation und zum CAD-Vergleich beinhaltet. Für jeden Arm werden zuerst die aufgenommenen Bilder zu einer 3D-Punktwolke verarbeitet, die aus über 1,6 Millionen Punkten bestehen kann. Abhängig von der Komplexität der Kurbelwelle werden insgesamt zwischen 11 und 20 Millionen 3D-Punkte erfasst.
Aus den 16 Punktwolken wird im anschließenden Verarbeitungsprozess ein engmaschiges, auf den hundertstel Millimeter genaues 3D-Modell der gesamten Kurbelwelle erstellt. Dieses wird mit dem in der Datenbank hinterlegten CAD/CAM-Herstellermodell verglichen, um eventuelle Formfehler zu lokalisieren. Die Abweichungen zwischen den beiden Modellen werden über die Berechnung des jeweiligen Trägheitsmomentes kenntlich gemacht und Materialüberschüsse oder -defizite farbig gekennzeichnet. Eine anschließende Simulation der notwendigen Nachbearbeitungsschritte ermittelt, ob eine Auswuchtung erfolgreich wäre.
Simulation der Erfolgsaussichten
Dazu wird das Trägheitsmoment sowie die Masseverteilung nach einem Bearbeitungsschritt bestimmt. Bei einer positiven Rückmeldung wird die ideale Bearbeitungsachse an die weiterverarbeitende Maschine ausgegeben. Fehlerhafte Teile können so noch vor der Weiterbearbeitung und damit anfallenden Bearbeitungskosten ausgeschleust werden.
Bommart kommentiert: „Unsere neue Methode führt zu einer besseren Produktqualität und höheren Profitabilität. Unser aktueller Prototyp liefert in nur 37 Sekunden einen hundertprozentigen 3D-Scan und eine Auswucht-Analyse der Kurbelwelle. Damit unterschreiten wir den aktuellen Industriestandard für den Einsatz in einer Produktionslinie – erreichen aber die gleiche Genauigkeit wie traditionelle Systeme.“
Da Kurbelwellen in ihrer Form recht komplex sein können, kann die Anzahl der Arme flexibel angepasst werden. Darüber hinaus ist der Einsatz der Methode auch für andere Arten von rotierenden Teilen denkbar. „Für neue Partnerschaften zur Weiterentwicklung des bestehenden Systems sind wir jederzeit offen“, so Bommart. (jbi)
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