08.11.2021 – Kategorie: Fertigung & Prototyping
High-Speed-Sintering: Was steckt hinter dem neuen Verfahren?
Wenn Sneaker wie Korallen wachsen… …dann handelt es sich um den „Coral Runner“ von Shun Ping Pek. Der japanische Schuhdesigner kaufte sich 2017 seinen ersten 3D-Drucker und ist seitdem fasziniert von den Möglichkeiten, die diese Technologie bietet. Wie er mit dem High-Speed-Sintering-Verfahren (HSS) von Voxeljet den „perfekten Sportschuh“ entwickelte, lesen Sie hier.
High-Speed-Sintering: Füße gehören zu den Elementen unseres Bewegungsapparates, die wir am intensivsten nutzen. Bestenfalls tragen sie uns bis an unser Lebensende – im wahrsten Sinne des Wortes. Menschen begannen daher schon früh, ihre Füße zu schützen: Die ältesten archäologischen Funde datieren Schuhe bis ins Jahr 3500 v.Chr.
Worauf es bei der Schuhherstellung ankommt
Heutzutage sind vor allem Sneaker sehr beliebt. Der weltweite Umsatz mit den Sportschuhen stieg von 30,4 Milliarden Euro im Jahr 2012 auf 61,7 Milliarden Euro im Jahr 2019. Bis 2025, so die Prognose der Statistiker, wird der Umsatz auf 91 Milliarden Euro steigen. Kein Wunder also, dass Sportartikelhersteller Millionen in die Weiterentwicklung ihrer Sneaker-Portfolios investieren. Gleichzeitig steht die Branche jedoch vor neuen Herausforderungen. Dazu gehört die Individualisierung, denn Kunden legen immer mehr Wert auf maßgeschneiderte Schuhe, die sich perfekt an den Fuß anpassen.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Nachhaltigkeit: Vor allem Plastik befindet sich heutzutage in einer Art Imagekrise. Die Verwendung verschiedener Kunststoffarten erschwert das Recycling maßgeblich. Last but least ist die Automatisierung für die Hersteller ein Thema, denn Individualisierung bedeutet kleine Stückzahlen, was wiederum teure Sonderwerkzeuge voraussetzt. Diese Herausforderungen lassen durch den 3D-Druck bewältigen.
- CAD-Daten: neueste Scan-Technologien liefern hochwertige CAD-Daten, die ein genaues, digitales Abbild des geprüften Fußes repräsentieren. Durch Simulationen wird das Laufverhalten analysiert und entsprechend in eine individualisierte digitale Schuhsohle übertragen. Diese Daten dienen dem 3D-Druck als Konstruktionsvorlage.
- Geometrische Freiheit: Die Daten und die repräsentative Schuhsole können hinsichtlich ihres Materialverbrauches optimiert werden. Material wird nur da eingesetzt, wo es sinnvoll ist und benötigt wird.
- Industrie 4.0: Über die letzten Jahrzehnte hat sich der 3D-Druck kontinuierlich zu einer hochproduktiven und automatisierbaren Produktionsmethode weiterentwickelt.
Eine gedruckte Metapher
Auch Shun Ping Pek, einem Schuhdesigner aus Tokio, sind die eingangs erwähnten Herausforderungen nicht neu. An der Nanyang Technology University in Singapur ließ er sich zum Produktdesigner ausbilden und vertiefte seine Leidenschaft mit einer Fortbildung an der Pensole Design Academy in Portland, USA. Die Inspiration für seine Kreationen zieht der Schuhdesigner aus seiner Umwelt. Egal ob Objekte, Muster oder naturalistische Elemente, die ihm in seinem täglichen Leben begegnen. So entstand auch die Idee für das Schuhkonzept „Coral-Runner“.
Wie der Name vermuten lässt, beeinflussten Korallen, genauer gesagt das Wachstum von Korallen, die Vorstellungen für diesen Schuh: Shun Ping Pek wollte den Schuh – ähnlich wie Korallen in der Natur – im Pulverbett eines 3D-Druckers wachsen lassen. Die Geometrie ist gleichermaßen einfach wie komplex: Während das Gesamtdesign des Schuhs so einfach wie möglich gehalten ist, dienen die komplexen Tubusstrukturen als Verstärkungen auf der Oberfläche und gleichzeitig als Profil auf der Schuhsole. So besteht der gesamte Schuh aus nur einem einzigen Element. Ohne Nähte, Klebstoff oder Verschlusselementen. Um einen ersten Prototyp des Schuhs herzustellen, entschied sich Shun Ping Pek mit Voxeljet zusammenzuarbeiten. Das Unternehmen bietet mit seiner High-Speed-Sintering-Technologie ein geeignetes Polymer-3D-Druckverfahren.
Schnelles Prototyping mit High-Speed-Sintering
Die VX200 HSS erwies sich als die richtige Wahl, um die erste Designiteration des Coral-Runner herzustellen. Zum einen arbeitet das Drucksystem mit konstanten Schichtzeiten sehr schnell, zum anderen ist es in der Lage, eine Vielzahl von Polymeren zu verarbeiten.
„Der große Vorteil des 3D-Drucks liegt in der On-Demand-Fertigung und in der 1-zu-1-Übertragung des digitalen Modells in ein reales Objekt,“ erklärt Shun Ping Pek „Zwar könnte der Coral-Runner theoretisch auch mit konventionellen Fertigungstechniken wie Spritzguss hergestellt werden. Doch wegen des durchgängigen Designs wäre das sehr herausfordernd. Die HSS-Technologie bietet hier die ideale Lösung.“
Gedruckt wurde der Schuh mit dem eigens für den HSS-Prozess neu qualifizierten TPU von Covestro. Das thermoplastische Material findet in der Herstellung von Schuhsolen schon seit Jahrzehnten Anwendung. Mit High-Speed-Sintering können verschiedene Arten von Polymeren verarbeitet werden. Darunter das klassische PA12, aber auch Polypropylen, EVA, PEBA oder eben TPU. Die Wahl des TPUs war in diesem Fall sinnvoll, denn es hat verschiedene interessante Eigenschaften: So kann es sehr weich und elastisch sein, aber auch sehr hart und ausdauernd. Mit Hilfe der HSS-Technologie können diese Eigenschaften gezielt beeinflusst werden.
Ermöglicht wird diese Eigenschaftsdefinition durch den sogenannten Graustufendruck: Indem das in das Pulverbett eingebrachte Volumen des Absorbers gezielt gesteuert wird, können bestimmte Baufeldbereiche stärker eingefärbt werden. Je mehr Absorber eintragen wird, desto fester werden die Bauteile. Durch den Einsatz industrieller Tintenstrahldruckköpfe können dadurch verschiedene Graustufen innerhalb einer Schicht gedruckt und somit unterschiedliche Produkteigenschaften in einer Schicht etabliert werden. Die Sohle lässt sich so perfekt an individuelle Auftrittsmuster und Dämpfungsanforderungen anpassen. Um das Schuh-Design, das sowohl optisch als auch funktional an den HSS-Prozess angepasst ist, zu finalisieren, wurde es immer wieder digital an den Prozess angepasst. Jede Designiteration konnte dabei in wenigen Tagen werkzeuglos realisiert werden.
High-Speed-Sintering: Learning by doing
Das Projekt führte den Designer und Voxeljet in eine steile Lernkurve. Die Evaluation der maximalen Wandstärke war eine der größten Herausforderungen, um eine ausreichende Flexibilität des Schuhs zu gewährleisten und gleichzeitig das Gewicht und benötigte Material zu reduzieren. Dieses Problem ließ sich jedoch durch das schnelle digitale Anpassen des Designs und den darauffolgenden 3D-Druck rasch meistern.
Auch Shun Ping Pek ist zufrieden: „Ich habe gelernt, dass die HSS-Technologie im Vergleich zum Selektiven-Laser-Sintern (SLS) deutlich schneller ist. Unter Berücksichtigung der Funktionsweise der Technologie bin ich in der Lage, verbesserte funktionale Designs zu erstellen. Mit der gesteigerten Effizienz der HSS-Technologie, beispielsweise auf größeren Plattformen wie der VX1000 HSS, sehe ich das Potenzial, dass HSS, über das Prototyping hinaus, in die Massenfertigung übernommen wird.“
Voxeljet arbeitet bereits an der Skalierung des HSS-Prozesses auf einer VX1000 HSS. Ein 3D-Drucksystem, das seine Stärken insbesondere in der Produktion größerer Stückzahlen bis hin zur vollautomatisierten Serienproduktion ausspielen kann. Und wer weiß, vielleicht tragen uns 3D-gedruckte Schuhe dann die nächsten 3500 Jahre.
Der Autor Frederik von Saldern ist PR & Content Manager bei Voxeljet.
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