20.11.2015 – Kategorie: Hardware & IT
High-End-Visualisierung: Mit digitalen Modellen effizient entwickeln
Die Vorteile von realitätsgetreuen virtuellen Modellen sind für die Automobilhersteller vielfältig. So lassen sich Design-Entscheidungen unmittelbar am Monitor treffen, ohne auf Materialproben warten zu müssen. Spektrales Rendering lässt dabei die Grenzen zwischen Virtualität und Realität verschwinden. Von Moritz Schele und Dr.-Ing. Carsten Matysczok
Automobilhersteller befinden sich heute in einem Geschäftsumfeld, das durch zunehmenden Kostendruck und eine Verkürzung der Produktlebenszyklen gekennzeichnet ist. Gleichzeitig steigen die Variantenvielfalt und das Maß an Individualisierung und Länderspezifika. Dies stellt die Entwicklungsprozesse von Fahrzeugen stets von neuem vor die Herausforderung, kostengünstig eine immer größere Vielfalt von Fahrzeugen und Fahrzeugvarianten zu entwickeln. In der technischen Entwicklung sind seit langem CAD/CAE-Systeme im Einsatz, die den Entwicklungsprozess beschleunigen und Kosten senken.
Die Absicherung des Fahrzeugdesigns auf Basis komplett digitaler Modelle findet aktuell jedoch noch nicht statt. Der aus der technischen Entwicklung bekannte Trend zur Nutzung digitaler Fahrzeugmodelle ist im Bereich Design bislang an eine unüberwindbare Grenze gestoßen: Nämlich wenn Materialentscheidungen getroffen und Quality Gates für Designentscheidungen durchlaufen werden. Bei solch kritischen Entscheidungen reichte das Vertrauen in die Darstellungsqualität virtueller Modelle bisher nicht aus.
Im Laufe eines Fahrzeugentwicklungsprojekts baut man daher eine ganze Reihe von realen Modellen auf (Bild 1). Die Designer benötigen Materialproben und reale Prototypen, damit das Fahrzeug später nicht nur gut fährt, sondern auch noch gut aussieht. Das Top-Management, das über die Designvarianten entscheidet, schenkt ebenfalls nur der realen Welt Vertrauen. Daher werden echte Material-, Farb- und Lackproben benötigt, die man kurzfristig und individuell anfertigen muss und die somit die Kosten in die Höhe treiben. Aus diesem Grund werden digitale Alternativen für diese teuren Prototypen gesucht. Vielversprechend sind das spektrale Rendering und die High-End-Visualisierung.
Herausforderung Farben
Die aktuell eingesetzten Verfahren eignen sich bereits für hochwertige Renderings. Doch im Vergleich mit realen Mustern weichen diese in ihrer Farbgebung nach wie vor ab. Für viele Anwendungsfälle sind diese Unterschiede vernachlässigbar, nicht jedoch bei Entscheidungen zur Material- und Farbauswahl. Hierfür lautet die Maxime nicht hochwertig, sondern realitätsgetreu.
Eine Herausforderung bei virtuellen Modellen ist, dass die Farben bislang nur vereinfacht beschrieben sind. Am verbreitetsten ist der sRGB-Farbraum, der vor rund 20 Jahren definiert wurde. Dieser Farbraum kann jedoch nicht alle für das menschliche Auge wahrnehmbaren Farben darstellen (Bild 2). Definiert man die Materialien des digitalen Modells in diesem Farbraum, wird bereits ganz am Anfang der Rendering-Kette eine Vereinfachung getroffen. Dadurch kann ein Fehler entstehen, der sich durch den gesamten Verarbeitungsprozess zieht und ein sichtbar abweichendes Ergebnis liefert. Ein solches Szenario schließt eine Anwendung von virtuellen Modellen im Designprozess aus.
Um das Ziel einer wirklichkeitsgetreuen Visualisierung erreichen zu können, muss man die Materialmodelle detaillierter beschreiben. Statt der bislang verwendeten drei Farbkanäle (RGB steht für die Farben Rot, Grün und Blau) wird beim spektralen Rendering mit 30 und mehr Farbkanälen gearbeitet. Diese sind spektral beschrieben, also als Intensitätswerte im Spektrum des sichtbaren Lichts (Bild 3). Um also realitätsgetreue Renderings zu ermöglichen, müssen alle Teilschritte entlang des Prozesses für eine spektrale Verarbeitung der Daten vorbereitet werden. Dies schließt die Erfassung (Messung) der Materialien, die Verwaltung und Verarbeitung der Materialmodelle und das Rendern im Shader mit ein.
Dem Rendering, also der Erzeugung des Bildes aus der modellierten Szene, kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. In diesem Schritt wird die Darstellung des virtuellen Modells unter definierten Umgebungsbedingungen berechnet und das darzustellende Bild erzeugt. Eine der wichtigsten Umgebungsbedingungen ist die Beleuchtung der Szene. Die Lichtquelle und die von ihr abgestrahlte Lichtfarbe müssen ebenfalls spektral beschrieben sein, um die Vorteile von spektralem Rendering nutzen zu können. Die Berechnung der Rendering-Gleichung ist, vereinfacht gesagt, eine Multiplikation von Material und Beleuchtung. Wenn einer der Faktoren bereits im Vorfeld zu stark vereinfacht wird, schreibt sich dieser Fehler fort. So kommt es zu der Kuriosität, dass das Rendering-Ergebnis zweier unterschiedlicher Spektralfarben identisch ist, wenn man diese durchgängig in RGB verrechnet. Nutzt man eine komplett spektrale Kette für diese beiden Farben, treten deutlich sichtbare Abweichungen zum Ergebnis des RGB-Renderings auf. Diese Unterschiede sind auch dann noch sichtbar, wenn das Ergebnis wieder auf herkömmlichen Ausgabegeräten dargestellt wird, die einen geringeren Farbraum aufweisen, als der spektrale Farbraum, mit dem man gerechnet hat. Vereinfacht gesagt: Spektrales Rendering führt auch dann zu realistischeren Ergebnissen, wenn die Darstellung auf einem herkömmlichen Monitor im sRGB-Farbraum erfolgt.
Herausforderung Blickwinkel
Die korrekte Beschreibung der Farben stellt nur einen Aspekt auf dem Weg zum realistischen virtuellen Modell dar. Ein weiterer ist die Beschreibung des Reflexionsverhaltens des Materials unter einem Winkel. Die charakteristischen Eigenschaften und Eigenheiten jedes Materials, unter einem bestimmten Winkel aus Beleuchtung und Betrachtung besonders zu schimmern, zu leuchten und zu glänzen, muss auch für das digitale Modell berücksichtigt werden. Für einfarbige Materialien sind die winkelabhängigen Daten nur einmal zu erfassen. Eine solche Materialbeschreibung wird als bidirektionale Reflektanz-Verteilungsfunktion bezeichnet (BRDF). Liegt jedoch ein gemustertes oder strukturiertes Material vor, glänzt das Material an verschiedenen Stellen unterschiedlich. Besonders extrem ist dieses Verhalten bei gewebten Stoffen mit unterschiedlichen Fäden. Dort müssen die digitalen Modelle für jeden Pixel des aufgenommenen Materials ein individuelles Glanzverhalten beschreiben. Die Entsprechung der BRDF für Materialien mit Muster heißt bidirektionale Textur-Funktion (BTF). Werden BRDF und BTF nun spektral erfasst und beschrieben, kommt das dem Ideal schon ziemlich nahe. Das Problem sind die enormen Datenmengen, die es zu speichern und zu verarbeiten gilt. In seiner Extremform wurde das am Institut für Computer-Grafik der Universität Bonn betrieben, wo man spektrale BTF-Texturen erstellte und die Daten für ein Muster der Größe von 10 mal 10 Zentimeter in unkomprimiertem Zustand die Terabyte-Grenze überschritten haben. Solche Datenmengen lassen sich selbst heute nur mit Hochleistungsrechnern verarbeiten, um daraus Visualisierungen zu erstellen. Doch mehrere Hersteller gehen den Schritt in Richtung produktiver Anwendbarkeit spektraler Daten, indem die Modelle mit Hilfe mathematischer Verteilungsfunktionen beschrieben werden und man somit eine drastische Reduzierung der Dateigrößen erreicht. Dieser Mittelweg heißt räumlich variierende BRDF (kurz SVBRDF). Erste Prototypen dieser Systeme sind bereits in der Erprobung.
Enorme Rechenleistungen erforderlich
Eine der Herausforderungen bei dieser Art des Renderings liegt in der steigenden Komplexität der beschriebenen Materialmodelle und den dadurch zunehmenden Dateigrößen. Um die Systeme performant zu halten und Live-Renderings zu ermöglichen, ist eine leistungsstarke Hardware bis hin zu Rechnerverbunden (HPC-Cluster) notwendig. Bei der Erfassung und Verarbeitung der Daten muss man ein besonderes Augenmerk auf die Kompatibilität der eingesetzten Systeme legen. Noch gibt es keinen anerkannten Industriestandard und häufig sind Individuallösungen die einzige Möglichkeit, von den Vorteilen des spektralen Renderings zu profitieren. Doch die Entwicklung schreitet kontinuierlich voran und immer mehr Hard- und Softwarelösungen sind ist in der Lage, Spektral-Daten zu verarbeiten. Hersteller bieten erste Komplettsysteme an, die die Renderingkette von der Materialvermessung bis zum Rendering ermöglichen sollen. Erfahrungen im produktiven Einsatz dieser Systeme bei OEMs stehen allerdings noch aus. Dennoch ist jetzt der richtige Zeitpunkt, sich auf diese Entwicklungen einzustellen und einen zukunftsfähigen Prozess für virtuelle Materialien und spektrales Rendering zu etablieren.
Die Managementberatung Unity begleitet ihre Kunden bei der Vorbereitung zu spektralem Rendering und bringt das Wissen zur Gestaltung von Prozessen der Materialerfassung, aufbereitung und verarbeitung mit. rt |
Moritz Schele arbeitet als Berater bei Unity und Dr.-Ing. Carsten Matysczok als Senior-Experte.
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