06.02.2023 – Kategorie: Fertigung & Prototyping
Generatives Design: Wie KI Ingenieure entlasten kann
Künstliche Intelligenz (KI) im Engineering hat noch mit Vorbehalten der Ingenieure zu kämpfen. Dabei können sie mit KI gerade im Zusammenhang mit den Methoden des generativen Designs in kürzerer Zeit optimale Ergebnisse erzielen.
KI kann Konstrukteuren helfen, Zykluszeiten, Betriebskosten, Gewicht und Umweltauswirkungen zu reduzieren. Ingenieure können in kürzerer Zeit qualitativ hochwertige Arbeit abliefern und gleichzeitig potenzielle Frustrationen und Stressfaktoren verringern. Mit KI-Tools und -Methoden können Konstrukteure also nicht nur den Entwicklungsprozess optimieren, sondern auch ihren eigenen Wert für das Unternehmen steigern. Denn KI stellt keine Konkurrenz für ihre Arbeit dar, vielmehr ist sie ein neues Werkzeug, das sich in bestehende Produktentwicklungs- und Designprozesse integrieren lässt.
Generatives Design und künstliche Intelligenz
Hauptanliegen eines Ingenieurs ist es, Entwürfe kontinuierlich zu verbessern. Ob dies gelingt, hängt zum einen von den verfügbaren Entwurfswerkzeugen und zum anderen von dem vorhandenen Zeit ab. Auch aber von einer menschlichen Eigenschaft: der Voreingenommenheit. KI kann die Arbeit von Ingenieuren erheblich beschleunigen, insbesondere wenn sie in die Methoden des sogenannten generativen Designs eingebettet ist. Darunter versteht man schon länger den Algorithmen- und Regel-basierten Entwurf von Designvarianten durch ein Computersystem. Heute, um die Fähigkeiten aktueller KI-Systeme angereichert könnten solche Systeme auch für viele Industrie-Betriebe brauchbare Ergebnisse liefern und die menschliche Voreingenommenheit auf Designentscheidungen reduzieren.
Das generative Design erstellt nach vorgegebenen Spezifikationen automatisch Modelle und optimiert sie entsprechend der gesetzten Ziele. Durch Nutzung von Ressourcen aus der Cloud erstellt das Computersystem mehrere Lösungen, die die Anforderungen erfüllen. So können Ingenieure Entwürfe vergleichen und damit Produkte schaffen, die ohne die Hilfe von KI nicht möglich gewesen wären, da diese beispielsweise implizite Annahmen aus früheren Erfahrungen, persönlichen Vorlieben und vielem mehr ausblendet, die im vorliegendem Fall nicht relevant sein könnten.
Wie ein generatives KI-Design-Tool arbeitet
Dabei arbeitet ein KI-System nach Grundsätzen, die dem menschlichen Designer vertraut sind. Das System…
- …identifiziert das zu lösende Problem
- …definiert, was eine Lösung besser macht als eine andere
- …modelliert die allgemeine Form des Problems
- …sammelt oder kombiniert spezifische Lösungen für ein Modell
- …beurteilt, wie gut die einzelnen Lösungen funktionieren
- …passt das Modell an und generiert neue Lösungen
- …durchläuft diesen Zyklus bis es zu einer oder mehreren zufriedenstellenden Lösungen gelangt
Der Nutzen von KI und generativem Design
Im Wesentlichen erhöht KI Umfang, Tiefe und Präzision der einzelnen Schritte. Im Falle des Produktdesigns ermöglicht ein ideales KI-gestütztes generatives Design den Nutzern, ihre Aufgabe in Geometrie, Einschränkungen und Lasten zu definieren – genau wie bei Simulations-Systemen, die auf Finiter-Elemente-Analyse (FEA) basieren. Das Ergebnis wird durch explizite Ziele und funktionale Beschränkungen definiert. Der größte Teil der Arbeit findet innerhalb des generativen Designraums statt. Dabei sind Grenzenfestgelegt, über die das optimierte Teil nicht hinausgeht. Die KI bewertet alle Simulationsbedingungen an jedem Punkt innerhalb des Design-raums und wägt Nutzen und Kosten der Platzierung von Material an der betreffenden Stelle ab. Durch diese gleichzeitige Berücksichtigung aller Punkte ergibt sich eine organische Form. Während diese Form entsteht, optimiert das System den Entwurf so lange, bis keine der anderen möglichen Formen mehr die Funktion übertreffen kann.
Auf diese Weise hilft KI-gestütztes, generatives Design Ingenieuren, in immer kürzerer Zeit bessere Ergebnisse zu liefern und die steigenden Erwartungen zu erfüllen. Die gewonnene Zeit gibt ihnen die Möglichkeit, besser zu verstehen, wie sich Entwürfe optimieren und Anwendungsfälle lösen lassen. So können Sie sich auf das gesamte System konzentrieren und die Anforderungen an die einzelnen Teile genauer definieren, um ein noch besseres Gesamtergebnis zu erzielen.
Freiräume – die wandelnde Rolle des Ingenieurs
Ein Gedankenspiel: Jemand, der sich den Großteil des Tages mit der Lösung von Problemen und der Beantwortung von Fragen beschäftigt – wie das bei Ingenieuren üblich ist – bekommt eine Maschine an die Hand, die auf jede Frage die richtige Antwort parat hat. Er würde wohl, statt die Fragen selbst zu beantworten, folgendes überlegen. „Welche Frage stelle ich als nächstes?“ Das heißt: In dem Maße, wie KI die Fragen beantwortet, die bis jetzt Ingenieure bearbeiten müssen, werden Ingenieure ihren Wert eher darin sehen, die richtigen Fragen an die KI zu erarbeiten.
Im Falle des generativen Designs erfordert dies ein klares Verständnis für den Zweck, den jede einzelne Designkomponente erfüllt, denn nur so kann der Ingenieur die Fragen stellen, die zur optimalen Lösung führen. In Fällen, in denen es nicht die eine ideale Lösung gibt, müssen Ingenieure lernen, zwischen mehreren scheinbar gleich gut realisierbaren Optionen zu wählen. Dieses Abwägen wirkt sich oft nicht nur auf die einzelne Komponente aus, sondern aufs Gesamtsystem. Deshalb ist ein umfassendes Systemverständnis künftig entscheidend.
Generatives Design bei Volvo
Bei Volvo ging es darum, den Antriebsstrang des Supertruck II weiterzuentwickeln. In der nächsten Generation sollte die Transportkapazität maximiert und die Kraftstoffemissionen minimiert werden. Jedes Gramm mehr, das auf der Vorderachse lastet, bedeutet bei diesen Optimierungszielen Mehrkosten. Komponenten wie die vordere Motoraufhängung sind daher primäre Ansatzpunkte für eine generative Neugestaltung. Der Austausch der ursprünglichen Geometrie durch eine im generativen Design geschaffene Struktur brachte es mit sich, dass die Ingenieure das Gewicht der Halterung reduzieren konnten, ohne die strukturelle Integrität der Motoraufhängung zu beeinträchtigen.
Um das Design weiter zu optimieren, haben die Ingenieure das ursprüngliche Problem komplett neu überdacht. Sie erkannten, dass das am Motorblock verwendete Schraubenmuster unerwünschte Spannungen in die Motorhalterung einbrachte. Sie entschieden sich dafür, eine neue Konfiguration zu entwerfen, um die Spannungsbelastung in diesem Bereich zu verringern. Dafür änderten sie das Schraubenmuster komplett und erzielten via generativem Design im Ergebnis einen strukturell solideren Belastungspfad. Der endgültige Entwurf zeigt eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit des generativen Designs, wenn es von erfahrenen Ingenieuren eingesetzt wird. Dabei hat die KI nicht die Arbeit des Ingenieurs erledigt. Vielmehr hat sie ihm die nötige Zeit gegeben, um die Aufgabenstellung klarer und kreativer zu beantworten.
Lesen Sie auch: Expertentalk: Additive Fertigung und 3D-Druck Trends
Der Autor Brian Thompson ist Division Vice President und General Manager CAD bei PTC.
Teilen Sie die Meldung „Generatives Design: Wie KI Ingenieure entlasten kann“ mit Ihren Kontakten: