07.12.2015 – Kategorie: Technik
Fertigung von Verbundsicherheitsglas beschleunigt
Mit voller Kraft schlägt er wieder und wieder mit der Axt gegen die Fensterscheibe. Das Glas knirscht und bildet ein Spinnennetz – aber es bricht nicht.
Michael Muschiol ist Geschäftsführer von FVG Marl und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Herstellung von Verbundglas. Mit herkömmlichen Verfahren war er unzufrieden, so dass er schließlich selbst in den Maschinenbau eingestiegen ist.
„Diese Scheibe ist deutlich dünner als normales Sicherheitsglas und wir haben sie innerhalb von 90 Minuten auf unserer LamiPressVario hergestellt“, kommentiert Muschiol. Alle übrigen Verfahren seien entweder zu langwierig und nur für die Großindustrie geeignet oder hätten bei kleineren Anlagen hohe Ausschussquoten. Außerdem erfordern sie teure Reinräume mit extrem niedriger Luftfeuchtigkeit, erklärt Muschiol.
Verbundglas besteht aus zwei oder mehr Scheiben, die üblicherweise mit einer dazwischenliegenden Folie verbunden werden. Je nach Zweck bestehen die Folien aus unterschiedlichen Kunststoffen. Erst diese Folien machen aus einfachen Scheiben Sicherheitsglas, Schallschutzglas, Brandschutzglas oder sogar Glas, das als tragendes Element dienen kann.
Bläschenfrei ohne Vorverbund
In allen klassischen Prozessen ist ein Vorverbund notwendig. Die Folien müssen dazu in einem speziellen Reinraum mit geringer Luftfeuchtigkeit gelagert und verarbeitet werden, damit sie kein Wasser aufnehmen. Für den Vorverbund werden Scheiben und Folie aufeinandergelegt und durch einen Heizkanal mit Walzenpressung gefahren. „Dabei verteilen sich immer feinperlige Luftbläschen zwischen Folie und Scheiben“, erklärt der Verfahrenstechnik-Ingenieur. „Diese kleinen Luftbläschen führen schnell zu optischen Fehlern im Glas und damit zu Ausschuss.“
Das Verfahren, das Muschiol bei seinen Maschinen anwendet, kommt ohne diese Vormontage aus und erlaubt auch die Lagerung der Folien bei einer Luftfeuchtigkeit bis zu 35 Prozent. „An Stelle der teuren Peripherie reichen damit ein sauberer Raum und eine Bautrocknerumgebung“, erläutert der Geschäftsführer.
Vakuum, Überdruck und Hitze
Die Herstellung von Verbundglas oder anderen laminierten Werkstoffen ist mit dem neuen Verfahren sehr einfach. Es kombiniert gleichzeitig Vakuum, Überdruck und Wärme. Der Bediener zieht den Arbeitstisch aus der LamiPressVario und legt dort die vorkonfektionierten Scheiben mit den Folien auf. Ein von Michael Muschiol patentiertes Reaktorringsystem ist das Herzstück dieser Anlage.
Ein Silikondiaphragma trennt die notwendigen Prozessräume in der Maschine und sorgt für eine definierte Verteilung der Energien. Unterhalb des Tisches angebrachte Balgzylinder heben den Prozesstisch anschließend in das Passepartout der Maschine.
Nach vorprogrammierten Rezepturen, abhängig von den Folien, erzeugt die LamiPressVario unter dem Silikondiaphragma ein 91-prozentiges Vakuum. Mit Hilfe der Reaktorringe wird dabei die Luft und die Restfeuchte komplett aus den Folien zwischen den Scheiben gezogen. Zusätzlich wird in der Prozesskammer ein Überdruck erzeugt, der für einen Autoklav-ähnlichen Prozess sorgt. In den Tisch integrierte Heizplatten erzeugen dann die notwendigen Prozesstemperaturen von bis zu 160 Grad.
Durch dieses Verfahren beträgt die Ausbeute an fehlerfreien Verbundglasprodukten nahezu 100 Prozent.
60 Minuten statt sieben Stunden
Insgesamt dauert der Prozess 90 Minuten, bei einem Doppeltisch sogar nur 60 Minuten, weil die Abkühlung dann außerhalb der Kammer erfolgt. Bei anderen Verfahren beträgt allein die Backzeit sieben Stunden. „Stellen Sie sich einen Juwelier vor, dessen Schaufensterscheibe aus Verbundglas beschädigt ist“, gibt Muschiol ein Beispiel. „Die großen Lieferanten benötigen leicht drei bis vier Wochen für eine Ersatzscheibe, kleinere Glasveredler mindestens fünf Tage, bis sie sehen, ob der erste Versuch einwandfrei ist. Mit LamiPressVario steht die Scheibe nach zwei Stunden auf dem LKW.“
Pneumatik trägt 180 Tonnen Gewicht
Die sieben Balgzylinder, auf denen je eine Traverse der Tischunterseite ruhen, kommen vom Pneumatik-Spezialisten Aventics. Insgesamt 49 Zylinder drücken den Tisch mitsamt Scheiben nach oben gegen den Überdruck. Bei einem vier Meter langen Tisch entspricht das einer Gewichtskraft von 180 Tonnen. Der Berstdruck der Balgzylinder wird erst bei 24 bar erreicht, das bedeutet einen Sicherheitszuschlag von 300 Prozent.
Aventics-Balgzylinder passen ideal in diese Umgebung. Sie sind temperaturbeständig bis 90 Grad Celsius, in einer speziellen Ausführung sogar bis 130 Grad. Der Zylinderdeckel ist komplett aus korrosionsbeständigem Edelstahl, ebenso wie der Luftanschluss. Der mehrlagige, innen rautenförmig mit Polyesterfäden verstärkte Balg besteht aus einem chemisch sehr beständigen Spezialkautschuk. Die Lebensdauer dieser Materialkombination liegt außerdem um ein Vielfaches höher als bei anderen im Markt eingesetzten Materialien.
Unterstützung vor Ort
Die Pneumatiksteuerung sorgt automatisch für eine gleichmäßige Kraftverteilung aller Balgzylinder auf die Traversen und verhindert ein Verkanten des Tisches. „Bei der pneumatischen Steuerung hat Aventics wertvolle Unterstützung geleistet“, erinnert sich Michael Muschiol. „Für mich ist es wichtig, einen persönlichen Ansprechpartner zu haben, der hier vor Ort die reale Maschine sieht und mich mit seinem Fachwissen unterstützt. So kann ich mich darauf konzentrieren, den Prozess zu optimieren.“
Aventics liefert die gesamte pneumatische Systemlösung mit Balgzylindern, Ventiltechnik und Wartungseinheit. Die Maschine ist modular aufgebaut und der Tisch ist auch nachträglich in Zwei-Meter-Schritten auf bis zu 20 Meter verlängerbar. „Sämtliche pneumatische Komponenten für die Traversen hat Aventics unter einer Bestellnummer zu einem Material-Kit zusammengefasst, das vereinfacht für uns die Bestellung und die Logistik.“
Erste Maschinen beim Kunden
Die ersten Maschinen hat FVG-Marl schon ausgeliefert. „Ein Kunde hat bereits eine Verlängerung seiner Anlage in Auftrag gegeben“, freut sich der Geschäftsführer.
Der Erfolg kommt nicht von ungefähr: Das auf der neuen Maschine gefertigte Verbundsicherheitsglas ist dank einer innovativen Folie nur 11 Millimeter dünn (bei einer P6B-Zertifizierung) und passt damit in Standardbeschläge. Die Schutzwirkung haben bereits verschiedene zivile und militärische Ämter zertifiziert. (jbi)
Uwe Schanzenbächer ist Vertriebsingenieur bei Aventics.
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