11.05.2016 – Kategorie: Technik
Energieketten: Flexible Leitungen für die Industrie
In der Industrie ist vieles in Bewegung und stellt für Leitungen eine große Herausforderung dar. Um diese an bewegten Maschinenteilen vor übermäßigen Zug- und Torsionskräften, aber auch vor äußeren Einwirkungen wie Schlägen oder Schweißfunken zu schützen, kommen oftmals Energieketten zum Einsatz. Dennoch sind die Anforderungen an die Leitungen hoch. Von Rainer Rössel
Eine Energiekette lässt sich als Nabelschnur einer Maschine bezeichnen. Sie versorgt ein Maschinenteil mit Energie, Daten und Medien und macht zugleich jede seiner Bewegungen mit. Der Grad der Bewegung reicht von simplen Hüben bis hin zu sechsachsigen Roboter-Anwendungen. Damit die innenliegenden Leitungen den Belastungen viele Millionen Mal standhalten und es nicht etwa nach wenigen tausend Zyklen zu Aderbrüchen oder dem berüchtigten Korkenzieher-Effekt kommt, müssen Material und Aufbau der Leitungen optimal aufeinander abgestimmt sein.
Die Praxis zeigt, dass selbst hochflexible Leitungen im bewegten Einsatz in Energieketten oft rasch an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Lässt sich ihre Lebensdauer vorhersagen? Standard-Normtests, wie sie von VDE, IEC oder UL durchgeführt werden, lassen hier kaum eine klare Aussage zu. Denn um verlässliche Prognosen treffen zu können, bleibt nur der Langzeitversuch in der Energiekette selbst. Einschlägige Normen simulieren lediglich auf anderem Wege den Verschleiß und nicht direkt mit der Kette beziehungsweise den Kettenwerkstoffen, wodurch sich dieser nicht eins zu eins auf den Einsatz in Ketten übertragen lässt. Um die Lebensdauer verlässlich voraussagen zu können, betreibt der Hersteller igus als Spezialist für Kunststoffe und bewegte Leitungen ein 1.750 Quadratmeter großes Testlabor für bewegte Leitungszerstörung in Energieketten, in dem das Unternehmen auf 58 verschiedenen Testständen die Produkte im Dauerbetrieb auf ihre Belastbarkeit überprüft. Da es auf die genaue Abbildung der realen Arbeitsbedingungen ankommt, sind Testachsen mit unterschiedlichsten Verfahrwegen, Beschleunigungen oder Witterungsbedingungen vorhanden. Für die Erprobung von großen Energiekettensystemen, wie sie beispielsweise bei Krananlagen zum Einsatz kommen, ist ein Außentestgelände mit einem Verfahrweg von bis zu 240 Metern vorhanden. Hier wurden bereits Komponenten mit 4 m/s und einer Zusatzlast von 8 kg/m auf eine Gesamtleistung von 25.000 Kilometern erfolgreich getestet.
Einsatz realistisch simulieren
Ebenso untersucht igus Temperaturverläufe von -40 bis +60 Grad Celsius. Dem eigens hierfür umgebauten Seecontainer, in dem sich diese Verläufe realisieren lassen, kommt eine zentrale Bedeutung zu. Anders als bei der sonst üblichen Kältewickelprüfung, bei der Testleitungen auf einen Dorn aufgewickelt und einmalig auf Prüftemperatur heruntergekühlt werden, stehen hier Leitungen und Ketten bei entsprechenden Testtemperaturen unter realistischen Bewegungsbedingungen auf dem Prüfstand. Diese müssen Millionen von Hüben und der im echten Einsatz zu erwartenden Biegebeanspruchung standhalten. Eine Prüfung gilt als bestanden und somit die notwendige Kälteflexibilität als erwiesen, wenn sich keine Mantelbrüche feststellen lassen.
Nicht immer stehen bei den Tests Extremtemperaturen im Mittelpunkt. Bei Kundenanfragen geht es zumeist um Leitungen, die noch bei einer Temperatur von -5 Grad Celsius sicher funktionieren sollen. igus bietet deshalb seit über vier Jahren eine ölbeständige PVC-Mischung an, die über eine hohe Abriebfestigkeit bei einer großen Temperaturbandbreite verfügt. Dies ist ein absolutes Novum auf dem Markt, denn übliche PVC-Mischungen für kettentaugliche Leitungen erfüllen diese Anforderungen bis heute nicht. Ein weiterer Vorteil: Bei eher gemäßigten Temperaturen ist es nicht zwangsläufig notwendig, auf teurere Mantelwerkstoffe wie PUR oder TPR zurückzugreifen.
Bündel statt Lage
Die Erkenntnisse, die man bei der laufenden Analyse der Tests gewinnt, fließen seit über 25 Jahren in die Entwicklung des eigenen, stetig wachsenden Leitungssortiments ein. Dies führte neben neuartigen Materialien zur Einführung der Bündelverseilung, wie sie bei Stahlseilen üblich ist. In einem aufwändigen Verfahren verseilt man bei der Bündelverseilung Adern in Einzelbündel mit drei, vier oder fünf Adern, die dann wiederum zu einer Gesamtverseilung der Bündel miteinander verseilt werden. Bei großen Verseilaufbauten geschieht dies um ein Zugentlastungselement. Das Ergebnis ist eine Leitung, die bewegungsrobust und absolut kettentauglich ist, da – im Unterschied zu einer lagenverseilten Leitung – jede der Adern bei der Bewegung in der Energiekette gleichermaßen im Innen- und im Außenradius bewegt wird und sich dadurch einseitige Streckungen und Stauchungen vermeiden lassen.
Bei noch extremeren Bewegungen kommen Leitungen zum Einsatz, deren Leitungsaufbau komplexer ist. Diese sogenannten „Roboterleitungen“ werden vor allem bei Industrierobotern genutzt und müssen extreme Bewegungen, Biegungen und Torsionen mitmachen. Spezielle Dämpfungselemente geben den Adern hierbei die notwendige Bewegungsfreiheit im Leitungsinnern. Denn, je mehr die Leitung „zugedreht“ wird – also an die Grenze der Belastung gerät – desto schwieriger wird es, die Leitung zu tordieren. Besondere Schirme und Außenmaterialien sorgen zusätzlich für eine lange Haltbarkeit der Leitungen.
1.040 verschiedene Leitungen
Die Lebensdauer einer Leitung in der Energiekette hängt von vielzähligen Variablen ab, die bei Aufbau und Materialwahl zu berücksichtigen sind. Die chainflex-Produktfamilie von igus bietet aktuell 1.040 verschiedene Leitungen. Wie lange Leitungen bei entsprechender Anwendung halten, können Anwender selbst berechnen, da die Testergebnisse von jährlich über zwei Milliarden Testzyklen aus dem Labor in eine Datenbank einfließen. Auf dieser basiert das freizugängliche Online-Tool zur Lebensdauerberechnung auf der igus-Website. rt |
Rainer Rössel leitet bei igus in Köln den Geschäftsbereich Chainflex-Leitungen.
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