04.07.2022 – Kategorie: Komponenten & Systeme

Drucksensoren als Lebensretter: Wie ein Ei Gutes bewirken kann

DrucksensorenQuelle: Cardiff Universität, Wales

Sensoren können heute etwa in aktiven Assistenzsystemen sehr unmittelbar Leben retten. Doch die oft unterschätzten Komponenten können noch deutlich subtiler Gutes bewirken.

Drucksensoren im Einsatz: Gletscher sind die wichtigsten Süßwasserreservoirs der Erde – rund drei Viertel der Trinkwasserreserven weltweit sind im Gletschereis gespeichert. Mit dem raschen Anstieg der globalen Temperatur, infolge der Kohlenstoffemissionen, verlieren wir bereits jetzt viele Berggletscher. Zudem besteht die reale Gefahr, dass auch in den Polarregionen sehr große Eismengen verloren gehen. Die Eisplatten der Pole, die die Antarktis und Grönland bedecken, besitzen Unmengen an gespeichertem Wasser. Wenn diese schmelzen, steigt der globale Meeresspiegel erheblich und weitverbreitete Überschwemmungen an den Küsten wären die Folgen.

Drucksensoren für die Klimaforschung

Um besser zu verstehen, wie sich der Klimawandel sowohl auf Berggletscher als auch auf polare Eisplatten auswirkt, hat die Cardiff University in Wales das „Cryoegg“ entwickelt. In der Ei-förmigen Struktur steckt ein Drucktransmitter PA-20D von Keller, der den Wasserdruck misst und sich bereit in ersten Studien bewährt hat.

Zukünftig wird das Cryoegg dabei helfen, spezifische Informationen über den genauen Verlauf der Wasserströmungen inner- und unterhalb von Gletschern und Eisplatten zu gewinnen. Aus der Forschung resultierende Ergebnisse sollen unter anderem neue Wege aufzeigen, wie wir unsere Gletscher für die nächsten Generationen erhalten können.

Die Kryosphäre und der Klimawandel

Der Begriff „Kryosphäre“ bezeichnet in der Wissenschaft alle Quellen gefrorenen Wassers auf einem Planeten. Hier auf der Erde hat die Kryosphäre einen großen Einfluss auf das Klimasystem, da Eis durch sein hohes Rückstrahlvermögen eine große Menge Sonnenlicht und Wärme zurück in den Weltraum lenkt. Dieser Effekt wird als „Albedo-Effekt“ bezeichnet und ist für die indirekte Kühlung unseres Planeten verantwortlich.

Die stetig kalten Polarregionen sind also Teil des globalen Klimasystems – der Wärmefluss in der Atmosphäre und in den Ozeanen trägt zur Förderung des Wetters und der Ozeanzirkulation bei. So transportieren die Gewässer des Golfstroms Wärmeenergie vom Golf von Mexiko über den Atlantik nach Norwegen, wodurch erst das milde Klima in Europa entsteht.

Die Treibhausgasemissionen sind jedoch seit Beginn der Industrialisierung stetig gestiegen und mit ihnen leider auch die Basis-temperatur unseres Planeten. Dies bedeutet, dass unsere Gletscher und Pole jedes Jahr mehr und mehr schmelzen. Die sozialen und ökonomischen Auswirkungen auf unser Ökosystem spüren wir bereits heute. Aber nicht nur Flora und Fauna sind bedroht. Wir erleben zunehmend Umweltkatastrophen, die sich auf unsere menschliche Existenz auswirken.

Der pessimistische Blick auf die Zukunft zeigt uns ein Abschmelzen der Gletscher, das zu noch größeren Problemen führen könnte, wie zum Beispiel zu einer globalen Trinkwasserknappheit. Die Erforschung und der Schutz unserer Gletscher und Pole sind daher für unser zukünftiges Leben auf der Erde von entscheidender Bedeutung.

So funktionieren Gletscher

Eines vorweg: Gletscher bestehen nicht nur aus festem Eis. Wenn man im Sommer über einen Gletscher spaziert, sieht man sehr oft kleine Bäche oder Flüsse über ihre eisige Oberfläche fließen. Hierbei handelt es sich um Schmelzwasser. Wenn man einem dieser Ströme folgt, ist es sehr wahrscheinlich, dass er irgendwo in einem Loch verschwindet und seine Reise unter der Erde fortsetzt. Diese Löcher werden „Moulins“, französisch für „Mühle“, genannt, da sie dem schnell fließenden Wasser einer traditionellen Wassermühle ähneln. Das Schmelzwasser verschwindet im Moulin und fließt inner- und unterhalb des Gletschereises weiter, bis es am Ende des Gletschers in ein Tal oder in das Meer mündet. Da wir nicht unter das Gletschereis sehen können, wissen wir nicht wie sich die Wasserströme verhalten und den Gletscherfluss beeinflussen.

Untersuchungen haben gezeigt, dass sich der Wasserduck von Berggletschern im Frühling aufbaut, den Gletscher schmiert und ihn schneller fließen lässt. Später im Sommer und Herbst schneidet das Wasser Kanäle unter dem Eis aus, reduziert den Druck und verlangsamt den Gletscherfluss. Doch Forscher untersuchen Moulins nicht nur, um tiefere Einblicke in die verborgenen Kanäle der Gletscher zu erhalten: Sie möchten auch verstehen, wie die großen Polarregionen und ihre unterirdischen Kanäle beispielsweise in Grönland funktionieren.

Stand der Technik beim Einsatz von Drucksensoren

Dabei sind Moulins für uns sehr gefährlich: Gefüllt mit eiskaltem, schnell fließendem Wasser, herrschen starke Strömungen. Daher ist es ausgeschlossen, dass menschliche Taucher die Gletscher untersuchen. Die Wissenschaftler nutzen daher bis dato „subglaziale Sonden“. Wobei subglazial „unter dem Eis“ bedeutet. Diese Sonden sind speziell für die Gletscherforschung entwickelt und enthalten eine Vielzahl von Sensoren.

Um die Sonden an ihren Wirkort zu bringen nutzten Wissenschaftler mechanische Methoden oder Heißwasserbohrmaschinen. Durch das so geschaffene Loch haben sie die Sonde an einem Kabel abgesenkt. Das Kabel versorgt den Sensor mit Strom und dieser sendet die aufgezeichneten Daten an einen Computer an der Oberfläche. Durch die Bewegung des Gletschers verformen sich jedoch die Bohrlöcher und dehnen das Kabel, bis es schließlich bricht. Die Lebensdauer bisheriger subglazialer Sonden war damit meist auf wenige Wochen begrenzt.

Drucksensoren
Die Sonde wurde an einem Seil befestigt, in den Moulin abgesenkt. Bild: Cardiff Universität, Wales

Neue Entwicklung: das Cryoegg

Die Glaziologin Liz Bagshaw und der Inge-nieur Mike Prior-Jones von der School of Earth and Environmental Sciences an der Cardiff Universität Wales haben eine neue Form der subglazialen Sonde entwickelt: das Cryoegg. Das ist ein drahtloses, kugelähnliches Gerät, das eine Batterie, Sensoren und einen Funksender enthält. Seine fast kugelförmige Form ermöglicht es ihm, leicht und reibungslos durch die Wasserkanäle innerhalb des Gletschers zu gleiten. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass es stecken bleibt. Da es zudem drahtlos ist, kann es einfach in ein Moulin fallen gelassen oder in ein Bohrloch abgesenkt werden.

Die drei Parameter Druck, Temperatur und die elektrische Leitfähigkeit werden mit den im Cryoegg integrierten Drucksensoren gemessen. Als Drucksensor wurde der Drucktransmitter PA-20D (250 bar) von Keller verbaut. Dieser besitzt eine vakuumversiegelte Membran und kommuniziert mit dem Mikrocontroller über die digitale I2C-Schnittstelle. Der Transmitter liefert einen 16-Bit-Druckwert an den Mikrocontroller – nutzt jedoch nur die Hälfte des verfügbaren Bereichs.

Drucksensoren
In der Sonde kommen Drucksensoren von Keller zum Einsatz. Die digitale I2C-Schnittstelle hat die Integration in das elektrische Design vereinfacht. Bild: Keller

Der Rest wird verwendet, um Drücke zu melden, die geringfügig über dem kalibrierten Bereich liegen. Dies bedeutet, dass der kleinste meldepflichtige Druckschritt 7,6 mbar beträgt. In praktischen Feldversuchen konnten Drucksensoren sogar Änderungen des Wasserdrucks mit einer Genauigkeit von bis zu 0,1 bar erfassen. Für die Temperatur- und Leitfähigkeitsmessungen wurden separate, unabhängige Sensoren installiert.

Drucksensoren: Feldversuche im 1,3 Kilometer dickem Eis

Die ersten Feldversuche mit dem Cryoegg wurden 2019 am Rhône-Gletscher in der Schweiz durchgeführt. Hier wurden künstlich geschaffene Moulins erstellt und die neue Sonde zum Test an einem Seil befestigt und in einem Bohrloch versenkt. Als sich das Cryoegg am Boden des Moulins befand, konnte man den vom Drucksensor gemessenen Wasserdruck auf dem Monitor sehen. Da der Druck über eine Stunde kontinuierlich auf Null abfiel, konnte das Team feststellen, dass gespeichertes Wasser aus dem Moulin abfloss.

Ein weiterer Feldversuch wurde im Bohrloch des East Greenland Ice Core Project durchgeführt. Dieser zeigte, dass das Cryoegg Daten aus einer Tiefe von mehr als 1,3 Kilometer dickem Eis übertragen konnte und die Sensoren dem Betrieb bei -30 Grad Celsius standhalten. Eis ist für Radiowellen sehr transparent, weshalb Glaziologen seit langem Radare verwenden, um es zu durchschauen.

Drucksensoren
Die Glaziologin Liz Bagshaw am Standort des East Greenland Ice Core Project (EastGRIP). Hier soll das Cryoegg bei der Erforschung des grönländischen Eisschildes zum Einsatz kommen. Bild: Cardiff Universität, Wales

Zukunftspläne in Grönland

Das Team um das Cryoegg beabsichtigt in den kommenden Jahren zum Standort des East Greenland Ice Core Project (EastGRIP) zurückzukehren. Sie wollen ein 2,5 Kilometer tiefes Bohrloch in den nordöstlichen grönländischen Eisstrom (NEGIS) bohren, durch das die neu entwickelte Sonde unter der Eisdecke einen Zugang zur Umgebung erhalten soll. Das soll dazu dienen, den als schnelllebig geltenden Abschnitt der grönländischen Eisdecke besser zu verstehen. Es ist wichtig, wie der NEGIS auf den Klimawandel reagiert, um vorhersagen zu können, wie schnell Eis vom grönländischen Eisschild das Meer erreichen und den globalen Meeresspiegel erhöhen wird.

Das Cryoegg wird derzeit an der Cardiff University weiter optimiert, um dem hohen Druck unter dem NEGIS standhalten zu können. Eine Anpassung des Gehäuses und die Montage eines 7LD-Sensors von Keller sollen zuverlässige Messungen des Wasserdrucks in Echtzeit ermöglichen. Dieser Drucktransmitter könnte hierfür die optimale Lösung sein. Neben seiner kompakten Größe bietet er sehr verlässliche Messungen und seine Chip-in-Oil-Technologie macht ihn extrem robust gegen Umwelteinflüsse. Auch hier unterstützt die I2C-Schnittstelle eine einfache Integration in das bestehende System. Der geringe Stromverbrauch des Drucktransmitters macht ihn zudem ideal für den Einsatz in batteriebetriebenen Systemen.

Die Autorin Sarah Stifter-Flumm ist Project Leader Communications bei der Keller AG für Druckmesstechnik, Winterthur, Schweiz.

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