10.01.2022 – Kategorie: Fertigung
Digitale Werkzeugkarte: Wie der Werkzeugbau von der Digitalisierung profitiert
Wie gelingt es dem internen Werkzeugbau von Harting, sich wiederholt einen der vorderen Plätze bei der Auszeichnung „Werkzeugbau der Jahres“ zu sichern? Hier ein Einblick.
Werkzeugkarte goes digital: Als die Harting Applied Technologies GmbH – also der interne Werkzeugbau der Technologiegruppe – im Herbst aus dem Wettbewerb „Werkzeugbau des Jahres 2020“ als Gesamtsieger hervorging, war die Freude im ostwestfälischen Espelkamp groß. Neben dem Gesamtsieg gewann die Tochtergesellschaft auch die Auszeichnung in der Kategorie „Interner Werkzeugbau unter 50 Mitarbeitende“, in der das Unternehmen bereits in den Jahren 2014, 2016 und 2018 gewonnen hatte.
Hohe Datendurchgängigkeit als Schlüssel zum Erfolg?
Die Auszeichnung wird vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT und dem Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen vergeben. Ausschlaggebend war laut Jury „die klar definierte Strategie für jeden Geschäftsbereich, die Roadmaps mit definierten Handlungsfeldern und Zielen einschloss, sowie das besonders hohe Bewusstsein für Vision und Strategie innerhalb der Belegschaft“. Eine hohe Maschinenauslastung in allen Fertigungstechnologien, umfangreiche Automatisierungen und leistungsfähige Maschinen fielen ebenso positiv ins Gewicht. Das Unternehmen verfügt über eine vollständige Systemlandschaft mit hoher Datendurchgängigkeit und setzt auf eine Farbsystematik, die Informationen über Toleranzen, Technologien und Flächencharakteristiken verdeutlicht. Dabei liefert die Tochtergesellschaft intern an die Gesellschaften der Firmengruppe. Im Bereich Montagesysteme werden jedoch auch externe Kunden bedient.
49 Mitarbeiter fertigen Werkzeuge in Ein- und Mehrkomponententechnik. Zusätzlich zur Herstellung der Spritzgießwerkzeuge ist die Entwicklung zugehöriger Spritzgießprozesse für die Herstellung von Metall-Kunststoff-Verbundbauteilen ein Schwerpunkt des Unternehmens. Die Prozesskette im Werkzeugbaubetrieb umfasst eine eigene Vorentwicklung für neue Fertigungsverfahren und -konzepte sowie die umfassende Beratung der Kunden. Die Herstellung von Werkzeugen beinhaltet Engineering, Konstruktion, Fertigung und Montage in einem umfangreich ausgestatteten Technikum.
Digitale Werkzeugkarte für technische Daten
Eine „Digitale Werkzeugkarte“ bündelt alle benötigten technischen Daten und Informationen, wobei alle Abteilungen auf dem Shopfloor alle Daten und Informationen in diesem Dokument speichern, die für den Gesamtprozess notwendig sind. So können sie zu jedem Zeitpunkt der Fertigung des Werkzeugs auf die schon gesammelten Informationen zugreifen. Die Digitale Werkzeugkarte kann mittels eines QR-Codes schnell und unkompliziert geöffnet werden. Eine Übersicht zeigt die schon bearbeiteten und noch fehlende Dokumenten bereits auf dem Deckblatt.
Reiner Hußmann, Leiter Werkzeugbau bei Harting Applied Technologies, erläutert: „Wir sehen in der Digitalen Werkzeugkarte einen erheblichen Mehrwehrt zu dem Arbeitsprozess davor, in dem alle Dokumente einzeln an unterschiedlichen Stellen gepflegt wurden.“
Automatisiert zum Erodierprogramm
Seit 2002 setzt das Unternehmen zudem auf eine CAD/CAM-Software, die die Datendurchgängigkeit im Formenbau sichert. Die Softwarelösung ermöglicht, dass das Programm für das Senkerodieren schon beim Elektrodenableiten erstellt wird. Mit der Lösung lassen sich die Elektroden direkt vom Werkstück ableiten. Die Parameter für das Erodierprogramm werden voreingestellt und danach das Programm gepostet.
Durchgängigkeit und Automatisierung tragen zu einer schnellen Durchlaufzeit und zu einer sicheren Produktion bei. Das verhindert Fehler bei der Datenübernahme weitgehend. Die Zuordnung der Elektroden und der Fräsprogramme erfolgt ebenfalls automatisch und ein Verwechseln der Elektroden ist praktisch unmöglich. Ein Vorteil ist ebenfalls die Verwendung von Standardgrößen bei den Elektrodenrohlingen.
Vor dem Umstieg auf diese CAD/CAM-Software, die sich seit 2002 schrittweise vollzog, arbeitete der interne Werkzeugbau mit mehreren Softwarelösungen. Fehlende Datendurchgängigkeit führt allgemein zu Ausschüssen, da es zu Fehlern bei Datenübernahmen zwischen einzelnen Produktionsschritten kommt. Die aktuelle Gesamtlösung optimiert daher den Prozess. Dies hat sich positiv auf die Werkzeugqualität und Lieferzeiten ausgewirkt.
Projekt mit Sennheiser zeigt Stärken auf
Dr.-Ing. Volker Franke, Geschäftsführer von Harting Applied Technologies, erklärt: „Stärken sind das eigenverantwortliche Team und die Hartnäckigkeit zur kontinuierlichen Verbesserung. Hinzu kommt eine langfristige Strategie, um die sich ändernden Kundenanforderungen frühzeitig zu erkennen und zu unterstützen.“ Ein gutes Beispiel sei ein gemeinsames Projekt mit der Sennheiser-Gruppe: Für die Produktion von Komponenten für Miniaturwandler, ein zentrales Element für die Klangqualität von Kopfhörern, hatte Harting Applied Technologies gemeinsam mit Sennheiser 2019 eine Produktionsanlage entwickelt und hergestellt, die am Hauptsitz des Audiospezialisten in der Gemeinde Wedemark bei Hannover installiert wurde. Zum Einsatz kommen diese Komponenten in hochwertigen Kopfhörern wie dem Momentum True Wireless und Monitoring-Kopfhörern für professionelle Anwendungen auf der Bühne.
Eine weitere Stärke liegt im Entwurf und der Fertigung von Metall-Kunststoff-Verbünden. Hierbei ist die frühe Einbindung in den Entwicklungsprozess und Verifikation anhand von Prototypen wichtig. Die nötigen geometrischen Feinheiten und die Präzision sind besondere Herausforderungen für die Werkzeugherstellung, insbesondere bei Multi-Kavität-Werkzeugen. Ein ganzheitliches Denken mit Rücksicht auf vor- und nachgelagerte Automatisierungsschritte muss von Anfang an genutzt werden.
Stufenweise Strategie-Planung: Digitale Werkzeugkarte nur ein Teil des Puzzles
Auch die langfristige Ausrichtung spielt für den Erfolg von Harting Applied Technologies eine wichtige Rolle. Hier setzen die Verantwortlichen auf einen kaskadierten Strategieentwicklungsprozess, der vom langfristigen 10-Jahres-Plan über drei Stufen 5-, 3-, 1-Jahres-Pläne bis zum konkreten Plan für ein Geschäftsjahr führt. „Wichtig ist die kontinuierliche Einbindung der Mitarbeiter in den Strategieprozess. Der Ablauf des Strategieprozesses folgt einem Strategiejahreskalender“, erläutert Dr. Franke.
Werkzeugbau-Leiter Hußmann ergänzt: „Die Mitarbeitenden sind an Planungs- und Strategieprozessen beteiligt. Sie haben Freiraum zur Entwicklung von eigenen Lösungen in den verschiedenen Teams oder auch Team-übergreifend.“ Er betont, dass man Menschen nicht direkt motivieren kann, sondern nur eine motivierende Umgebung schaffen könne. Dies werde seit Jahren von der Führungsmannschaft gelebt. Verantwortung werde übertragen und „Fehler“ als „Schätze für Verbesserungen“ gesehen.
Dr. Franke und Reiner Hußmann sind sich beide sicher, dass künftig Umweltaspekte noch wichtiger werden. Das werde auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Prozesse und Produkte haben. „Das wird einen Innovationsschub geben. Es ist aber wichtig sich hier frühzeitig darum zu kümmern, Trends zu verfolgen und Kompetenzen zu entwickeln und somit heute die Weichen für die Situation in drei bis fünf Jahren zu stellen“, sagt Dr. Franke abschließend.
Der Autor Michael Klose ist Pressereferent bei der Harting Technologiegruppe.
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