27.06.2022 – Kategorie: Fertigung & Prototyping
Digitale Produktentwicklung: Welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz?
Künstliche Intelligenz (KI) ist ein wunderbares Werkzeug, um Menschen zu unterstützen. Sie kann Aufgaben lösen, für die Intelligenz und Erfahrung erforderlich sind. Ob und wie KI in der digitalen Produktentwicklung einen Mehrwert bringen kann, das wollten die Experten von Invenio beantworten.
Digitale Produktentwicklung: Invenio Virtual Technologies (Invenio VT) hat eine KI für die geometrische Absicherung entwickelt. Ein Werkzeug, das bereits produktiv im Einsatz ist und die Anwender nachweislich um 50 Prozent effizienter macht. Und das nächste Highlight steht bereits in den Startlöchern – eine KI, die mitlernt und so immer intelligenter und effizienter wird.
Die digitale Produktentwicklung im Fokus
Aber der Reihe nach: Seit Jahrzehnten steht die digitale Produktentwicklung im Fokus der Invenio VT. Zahlreiche Unternehmen, zum Beispiel aus der Automobilindustrie, setzen die Invenio-Software VT-DMU ein, um ihre Produktdaten (3D) digital abzusichern. In den großen Datenmengen werden Änderungen automatisch erkannt und Qualitätsprobleme identifiziert.
Über Jahre hinweg stiegen die Datenmengen (3D-Modelle, Produktstrukturen und Metadaten) in der Produktentwicklung an. Außerdem nahm die Änderungsgeschwindigkeit stark zu, sodass die Anforderungen an die Algorithmen immer höher wurden. Letztendlich gelang es Invenio mit High-Performance-Algorithmen, beliebig große Datenmengen zu berechnen und damit jederzeit Transparenz in den Big Data zu erzeugen. Bei einem Kunden werden damit jede Nacht über 1400 virtuelle Produkte überwacht und über 50 Millionen Bauteilpaarungen auf potenzielle Problemstellen überprüft. In so großen Datenmengen stecken natürlich auch potenzielle Probleme. Aber wie geht man damit um?
Aufwand für die Bewertung steigt enorm an
Wer den Überblick über seine Daten behalten will, wird alle Ergebnisse auf ihre Relevanz hin bewerten. Weil das aber nur durch erfahrene Anwender möglich ist, steigt der Aufwand enorm an. Die steigenden Kosten führten zu Reaktionen – viele Unternehmen mussten oder müssen einen Weg finden, um mit dieser Situation umzugehen. Einige suchten den Kostenvorteil in sogenannten Best- oder Low-Cost-Countries. Invenio dagegen war und ist überzeugt, dass die Lösung langfristig nur im Einsatz künstlicher Intelligenz liegen kann, und begann bereits 2014 mit der Forschung.
Ein Automobilhersteller unterstützte den Weg und stellte seine Daten bereit, an denen die ersten KI-Prototypen erprobt wurden. Anfängliche Euphorie wich der Ernüchterung. Aber der Wille zum Erfolg war größer, und nach und nach wurde klar, wie er sich einstellen könnte: Eines der wesentlichen Erfolgskriterien für eine funktionierende KI war das Wissen über die Daten.
KI der Stufe III denkt mit
Für die Entwickler kam hinzu, dass die KI-Lösung bei unterschiedlichsten Kunden, Branchen und Datenstrukturen einsetzbar sein muss. Die Strategie der Experten: Mit KI-Stufe I sollte eine generische KI entstehen, die unabhängig von Kundendaten funktioniert. Eine Art „Plug&Play-Lösung“. Im zweiten Schritt (Stufe II) sollte die KI an kundenspezifischen Daten trainiert werden. Das Optimum sollte mit der dritten und letzten Stufe (III) erreicht werden. Und zwar durch eine mitlernende KI, die sich permanent weiterentwickelt.
Anfang 2020 ging die generische KI (Stufe I) an den Start. Ein spannender Moment, denn die Anwender reagierten erwartungsgemäß sehr skeptisch auf die neue Technologie. Die Invenio-Experten setzten auf einen sanften Einstieg, das heißt: Die KI durfte sich nicht „verselbstständigen“, sondern war von Anfang an auf eine Zusammenarbeit und Interaktion mit dem Anwender ausgelegt. Die generische KI schafft auf Anhieb eine circa 30-prozentige Entlastung der Anwender.
Nacht für Nacht 50.000 potenzielle Probleme prüfen
Kommen wir zurück zu den 1400 digitalen Produkten oder 50 Millionen Bauteilpaarungen, die Nacht für Nacht überprüft werden. Als Ergebnis werden jede Nacht rund 50.000 potenzielle Probleme identifiziert, die durch Experten bewertet werden müssen. Jetzt kommt die KI ins Spiel, die bereits parallel zur Berechnung aktiv ist. Sie reichert die Daten mit Zusatzinformationen an, erstellt vollautomatisch intelligente Bilder und bewertet die potenziellen Problemstellen vorab.
Der Anwender sieht auf den ersten Blick, wie die KI eine Problemstelle bewertet. Außerdem gibt die KI über einen „Vertrauenswert“ an, wie sicher sie sich bei der Bewertung ist. Und die intelligenten Bilder helfen dem Anwender dabei, die Problemstelle innerhalb von Sekunden zu erfassen, was vor der KI-Nutzung mehrere Minuten erforderte. Die letztendliche Entscheidung treffen die Anwender, indem sie die KI-Bewertung per Knopfdruck bestätigen oder korrigieren. Die anfänglichen Ängste schlugen in Begeisterung um. Die Anwender wollten mehr KI, und das Feedback half den Entwicklern dabei, die generische KI nochmals zu verbessern, was die Arbeit mittlerweile um bis zu 50 Prozent effizienter macht.
Der Vorteil einer generischen KI? Sie ist bereits trainiert und damit sofort einsetzbar. Genial ist auch, dass sie unabhängig von den Kundendaten funktioniert. Es gibt jedoch einen Nachteil: Sie entwickelt sich an den kundenspezifischen Daten nicht weiter. Genau diese Möglichkeit sollen die weiteren KI-Stufen bieten, deren Entwicklung mit Hochdruck vorangetrieben wurde. Mit Erfolg.
Digitale Produktentwicklung: KI-Training muss sehr genau überwacht werden
Das erste Release der KI-Stufe II war in der Lage, an kundenspezifischen Daten zu lernen. Was sich recht einfach anhört, ist in der Praxis ein komplexer und aufwendiger Vorgang, der von den Invenio-Experten begleitet wird. Dieser Prozess ist vergleichbar mit dem Lernen im menschlichen Gehirn. Falsch Gelerntes führt zu Fehlentscheidungen, die zuerst unerkannt bleiben und dann zu hohen Folgekosten führen können.
Selbst beim besten Training wird eine KI nicht absolut fehlerfrei sein, genauso wenig, wie Menschen fehlerfrei sind. Aber die Zuverlässigkeit einer KI kann durch die Qualität des Trainings beeinflusst werden. Die Ergebnisse, die mit KI-Stufe II erreicht wurden, waren beeindruckend. Trotzdem waren die Entwickler nicht zufrieden. Denn die Rahmenbedingungen waren nicht gerade ideal – hoher Aufwand für das Training, langwierige Freigabeprozesse für die Kundendaten und vieles mehr.
KI-Stufe III brachte den Durchbruch
Die KI-Stufe III ist in der Lage, den Anwendern im Produktivbetrieb über die Schulter zu schauen und dabei mitzulernen. Das aufwändige Experten-Training am Anfang entfällt. Und das eigentliche Highlight der neuesten Technologie ist, dass falsch Gelerntes im Nachhinein korrigierbar ist. Macht die KI eine fehlerhafte Bewertung, kann nachvollzogen werden, warum das so ist und welche Trainingsdaten dafür verantwortlich sind. Die Invenio-Experten können den fehlerhaften Teil des Netzes im Nachhinein korrigieren, und das neuronale Netz muss nicht weggeworfen werden. Das Gelernte bleibt erhalten, und mit der Zeit entsteht so ein immer intelligenteres Netz.
Der Durchbruch mit KI-Stufe III ist Ende 2021 gelungen. Die Tests an rund 50.000 Datensätzen verliefen sehr positiv, sodass das erste Release bereits Anfang 2022 in den Produktiveinsatz ging. Stand heute ist davon auszugehen, dass die neueste KI die Anwender in der geometrischen Absicherung um circa 80 Prozent effizienter macht, womit den riesigen Datenmengen endgültig der Schrecken genommen wird. Fazit: Die KI ist kein Zaubermittel, aber richtig eingesetzt ist sie ein Segen für alle Bereiche mit großen Datenmengen.
Der Autor Hermann Gaigl ist Geschäftsführer von Invenio Virtual Technologies GmbH.
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