26.02.2018 – Kategorie: Fertigung & Prototyping, Hardware & IT

Die nächste Stufe der digitalen Transformation

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Eine neue Studie von IDC beschreibt den aktuellen Fortschritt in den produzierenden Unternehmen, verweist auf vorhandene Baustellen und gibt Anregungen, wie das Innovationspotenzial der Digitalisierung weiter entfaltet werden kann.  von Udo Mathee

Eine neue Studie von IDC beschreibt den aktuellen Fortschritt in den produzierenden Unternehmen, verweist auf vorhandene Baustellen und gibt Anregungen, wie das Innovationspotenzial der Digitalisierung weiter entfaltet werden kann.  von Udo Mathee

Im November 2017 hat das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IDC die Studie „Die nächste Stufe der digitalen Transformation in Deutschland: Mit Cloud-PLM zu mehr Produktinnovation und Effizienz” vorgestellt. Das von Dassault Systèmes in Auftrag gegebene White Paper basiert auf einer Umfrage unter 100 deutschen IT-und Fachbereichsverantwortlichen und beschreibt die Ergebnisse in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße, den Tätigkeitsschwerpunkten, den Industrie- und Fachbereichen.

Berichteten im Jahr zuvor die Industrieunternehmen noch von großen Anlaufschwierigkeiten bei ihren Digitalisierungsinitiativen, so erscheint 2017 bereits als das Jahr des Industrie-4.0-Durchbruchs. Heute hat jedes zweite befragte Unternehmen schon Industrie-4.0-Initiativen für den operativen Betrieb aktiv geschaltet, um zum Beispiel Prozesse zu optimieren oder Effizienzverbesserungen zu erzielen.

„Dabei bestätigen die Mitarbeiter in den unterschiedlichen Abteilungen, dass dieser gestiegene Reifegrad vielerorts mit Hilfe einer einheitlichen Datenplattform erreicht wurde, wodurch sich auch der Informationsaustausch verbesserte“, berichtet Mark Alexander Schulte von IDC, dies gelte sowohl firmenintern wie auch in der Beziehung zu den Partnern und Kunden.

Wenn zum Beispiel wegen einer ungünstigen Kante an einem Werkstück die Fertigungsmaschine behindert wird und dies wiederholt zu Fehlern führt, dann könne diese Information an die Kollegen in der Produktentwicklung viel einfacher „zurückgespielt“ werden. Auf diese Weise ließen sich Reaktionszeiten verkürzen und Änderungen schneller durchführen.

Jedoch besteht in fast allen Unternehmen entlang des gesamten Wertschöpfungsprozesses weiterhin ein großes Verbesserungspotenzial. So berichten 90 Prozent der Befragten, dass auch heute noch zu viel Zeit für die Abstimmung zwischen Abteilungen und Prozessschritten benötigt wird.

Ein Grund dafür sind die sogenannten Datensilos, die bei der Anwendung ganz unterschiedlicher Softwaresysteme etwa bei einer Werkstoffsimulation entstehen. Datensilos sind aber auch kleine Dateien, in denen die Mitarbeiter ihre langjährigen Erfahrungen beispielsweise in Excel-Tabellen abteilungsbezogen abgelegen. All diese Daten müssen Schritt für Schritt integriert und verlinkt werden.

Verteilte Daten integrieren

Neben dieser technologischen Aufgabe sieht Schulte jedoch auch eine organisatorische Herausforderung. „Besonders wichtig ist dabei, die Mitarbeiter bei diesen Prozessen wirklich mitzunehmen. Nur so werden sie auch ermutigt, ihre gesammelten Erfahrungen mit ihren Kollegen zu teilen und sich abzustimmen“. Auch hier seien noch große Potentiale zu heben. Dabei sollte eine Firmenkultur geschaffen werden, die Innovationen stimuliert, in der aber auch Scheitern erlaubt ist. In interdisziplinären Teams an Zukunftsthemen zusammenzuarbeiten und zu experimentieren sei dabei sehr wichtig.

Die Rolle der PLM-Systeme

PLM-Technologien helfen dann, diese vielen verteilten Daten zu vereinen und als produktbezogene Informationen allen relevanten Abteilungen transparent zu machen. Der Einsatz dieser PLM-Plattformen hat sich auch im Vergleich zum Vorjahr deutlich ausgeweitet. Die Studie nennt hierzu aktuelle Anwendungszahlen von 51 Prozent in den Entwicklungsabteilungen, 40 Prozent in der Fertigungsvorbereitung, 35 Prozent in der Fertigung und 34 Prozent im Bereich der Wartung sowie des Service.

Durch eine Verfügbarkeit von Informationen quasi in Echtzeit könnten viel schneller Lösungen gefunden werden, so Schulte, wodurch ganz neue Dynamiken erzeugt würden. Diese könnten noch gesteigert werden, wenn auch Partner und Kunden mit eingebunden werden, um als Know-how-Lieferanten ein Feedback zu geben oder um eigene Ideen schneller einzubringen.

Die meisten der befragten Firmen sehen daher einen einfachen Informationsaustausch auch mit ihrem Ökosystem an Lieferanten, Partnern und Kunden als nächstwichtige PLM-Funktion an, was eine permanente Weiterentwicklung auch der Software erforderlich macht.

„Eine erfolgreiche digitale Transformation kann jedoch nur gelingen, wenn der Mensch in den Mittelpunkt gestellt wird“, meint auch Andreas Barth, Managing Director EuroCentral von Dassault Systèmes. Unternehmen müssten daher eine Umgebung schaffen, in der sich verteiltes Wissen effektiv zusammenführen und nutzen lässt, wobei eine integrative Plattform die Innovationskultur im Unternehmen und dem gesamten Ecosystem erst ermögliche. „Es entsteht eine neue Unternehmenskultur, in der dezentrale Entscheidungsfindung und die Fähigkeit der Mitarbeiter zur Selbstorganisation und Entwicklungsbereitschaft den Ton angeben. Eine Riesenchance für Unternehmen und Mitarbeiter!“

IDC ist der Überzeugung, dass sich PLM zu einer wahren Product-Innovation-Plattform entwickeln wird, sodass Innovationen künftig von allen internen und externen Beteiligten angestoßen werden können und nicht nur klassischer Weise von den Entwicklungsabteilungen. Außerdem werden integrierte Qualitäts- und Service-Informationen über Produktfehler oder Kundenfeedback einfließen können.

State-of-the-Art via Cloud

Mit dieser Aufgabenerweiterung steigen jedoch auch die Herausforderungen an das eingesetzte PLM-System, wodurch permanent Aktualisierungen und Anpassungsarbeiten nötig werden. Darum kann es sinnvoll werden, die PLM-Software statt vom eigenen Rechenzentrum (on-premise) nun aus der Cloud zu beziehen.

Diese Cloud-Services haben gegenüber dem klassischen Modell den Vorteil, dass der Aufwand für die Einrichtung und die Wartung signifikant reduziert werden kann, denn sie ermöglichen eine schnellere Bereitstellung. Außerdem werden neue Funktionalitäten durch regelmäßige Updates automatisch hinzugefügt, sodass der State-of-the-Art jederzeit gewährleistet ist. Zusätzlich reduzieren sich die Kosten durch geringere Vorabinvestitionen oder durch die Vereinbarung eines subskriptionsbasierten Abrechnungsmodells. All dies kann sich besonders für den Mittelständler als ein großer Vorteil erweisen.

Laut IDC entsprechen diese Vorzüge den Vorstellungen der befragten Entscheider bei der Auswahl einer PLM-Software: Niedrigere Kosten (42 Prozent), eine schnelle Bereitstellung (38 Prozent) und eine geringe Komplexität (34 Prozent) werden hier als die wichtigsten Indikatoren genannt. Schulte fügt hinzu: „Besonders die schnelleren Vorreiter in Richtung Industrie 4.0 verwenden PLM schon aus der Cloud, hier besteht offenkundig ein Zusammenhang.“

Es ist daher wenig überraschend, dass heute 56 Prozent der befragten Unternehmen zumindest einen Teil ihrer PLM-Dienste aus der Cloud beziehen. Insgesamt werde dieser Softwareeinsatz immer häufiger auch als ein Innovationsbeschleuniger angesehen. IDC geht deshalb davon aus, dass sich das Cloud-Bezugsmodell mittelfristig zum Defacto-IT-Architekturmodell der digitalen Transformation entwickeln werde.

Neben dem Bezug der Software bietet sich die Cloud natürlich auch für eine ortsunabhängige Datenspeicherung an, vorstellbar etwa für OEMs mit ihren verteilten Produktionsstätten. Jedoch sollte hier beachtet werden, dass etwa bei CAD-Modellen meist sehr große Datenvolumen transferiert werden müssen, was den Bezug aus der Cloud eher verlangsamt.

Das Beste aus beiden Welten

Andererseits sind Sicherheitsfragen auch weiterhin ein Argument gegen die Cloud. „Man sollte bedenken, dass sich für den Cloud-Abieter das Thema Security quasi als ein Brot- und Buttergeschäft darstellt“, hält Schulte dagegen. „Ein Datenabfluss hätte gravierende Auswirkungen auf ihr Kerngeschäft“. Die Anbieter investieren folglich stark in diesem Bereich. „Ich wage darum zu behaupten, dass die Daten bei einem Anbieter sicherer sind als in vielen Unternehmen vor Ort; denn hier werden Sicherheitsstandards realisiert, die von vielen Unternehmen selbst nur sehr schwer erreicht werden können.“, fährt er fort.

So erachtet die Mehrheit der IT- und Fachbereichsverantwortlichen mittlerweile auch die EU-Datenschutz-Grundverordnung als effektives Regelwerk für eine sichere Nutzung von Cloud Services. Trotzdem sehen 83 Prozent der Befragten eine Datenspeicherung in Deutschland als wichtig an.

„Außerdem ist es für die meisten Unternehmen kurzfristig sowieso nicht möglich, bei ihrer bestehenden internen PLM-Anwendung den Stecker vollständig zu ziehen und den Schalter auf einen Cloud-Betrieb umzulegen. Denn dahinter stecken erfahrungsgemäß viele über die Jahre gewachsene Systeme und Strukturen“, erläutert Mark Schulte. Ein abruptes Ende aller bestehenden PLM-Installationen im eigenen Rechenzentrum sei also nicht zu erwarten.

Aus Sicht von IDC wird sich deshalb in den kommenden Jahren in vielen Unternehmen ein gemischter, hybrider Ansatz aus Cloud- und On-Premise-Diensten durchsetzen, der die Vorteile beider Modelle kombiniert. Deshalb wird den Verantwortlichen geraten, immer wieder nach dem optimalen Verhältnis zu suchen, welche Dienste aus der Cloud bezogen und welche lokal genutzt werden sollten.

„Wir erleben, dass das Interesse unserer deutschen Kunden an der Nutzung der 3DExperience Plattform in der Cloud gerade im Mittelstand immer mehr wächst“, ergänzt Andreas Barth. „Vor allem die direkte Einbindung von Lieferanten ist mit einer Cloud-Lösung schnell möglich, so etwa bei der neu vereinbarten Partnerschaft zwischen Dassault Systèmes und Deutsche Telekom. Und falls Kunden einen hybriden Ansatz von Cloud- und On-Premise-Diensten präferieren, bieten wir ihnen individuelle Lösungen, um die jeweiligen Anforderungen und Wünsche zu erfüllen.“

Zu guter Letzt erinnert die Studie daran, dass die nächsten Monate und Jahre für die Industrieunternehmen maßgeblich sind, ob sie zu den Gewinnern oder Verlierern der digitalen Transformation zählen werden. Darum sollten sie ihre Dynamik in den Digitalisierungsinitiativen auch weiterhin verstärken. jbi |

Autor: Dipl.-Ing. Udo Mathee ist Fach- und Wissenschaftsjournalist in Coesfeld.


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