03.05.2013 – Kategorie: Hardware & IT
Der Schlüssel zur Offenheit
Inventor Magazin: Herr Dr. Drewinski, was sind für die Anwender aus Ihrer Erfahrung heraus derzeit die wichtigsten Anforderungen an ein PDM-System?
Dr. Roland Drewinski: Das hängt sicherlich davon ab, in welchem Umfang ein Unternehmen bereits ein systematisches Produktdatenmanagement betreibt und wie komplex die Produkte und Prozesse dieses Unternehmens sind. Verallgemeinernd lässt sich aber wohl sagen, dass zu den aktuell wichtigsten Themen und Anforderungen über die bekannten klassischen Themen hinaus mehrere Punkte gehören.
Inventor Magazin: Und das wären?
Dr. Roland Drewinski:
- Projektmanagement, wobei es dabei nicht nur um die Planung und das Controlling von Terminen und Budgets geht, sondern um die Unterstützung der Projektarbeit im Sinne der kollaborativen Produktentwicklung und die Ausführung der oft weitgehend standardisierten Entwicklungsprozesse im Projektkontext. Wir nennen dies „prozessorientiertes Projektmanagement“.
- Engineeering Change Management im Sinne eines End-to-End-Prozesses bis hinein in die Fertigung und die Rückmeldung in die Entwicklung.
- Front Loading, das heißt, die möglichst frühzeitige systematische Planung und Absicherung des (virtuellen) Produkts, um suboptimale Festlegungen und teure Korrekturen in den späteren Phasen zu vermeiden. Beispiele dafür sind das Anforderungsmanagement und das Target Costing des Produkts.
- Eine offene und agile Architektur des PDM-Systems, so dass andere Komponenten wie zum Beispiel weitere CAD-Autorensysteme im Sinne durchgängiger Prozesse einfach integriert werden können. Außerdem muss sich ein solches System einfach an sich ändernde und neue Belange anpassen lassen. Gründe dafür gibt es im Laufe der Zeit in jedem Unternehmen: etwa, wenn ein hinzugekauftes Unternehmen zu integrieren ist. Solche Anpassungen müssen einfacher und kostengünstiger werden. Hier sehen wir einen klaren Trend hin zu einer komponentenbasierten Architektur, bei der die einzelnen Bausteine die Vorteile von Apps besitzen.
Inventor Magazin: Inwiefern lassen sich diese Anforderungen bereits mit einer Standardlösung abdecken?
Dr. Roland Drewinski: Hmm, sehen Sie mir die Spitze nach: Wenn ein Unternehmen das richtige System einsetzt, sollte dies Standard sein. Aber natürlich gibt es eine Ebene darüber – wir nennen diese Orgware –, die in gewissem Umfang immer an die besonderen Belange eines Unternehmens anzupassen ist. Es handelt sich ja nicht um die Finanzbuchhaltung, sondern um die Produktentwicklung, wo man einem Unternehmen einen Anzug von der Stange nicht überstülpen kann und will. Aber unsere Kunden erwarten zu Recht, dass diese Anpassungen einfacher werden und sie die Release-Fähigkeit des Systems möglichst wenig beeinträchtigen.
Inventor Magazin: Wo ist andererseits der Anpassungsbedarf noch am größten?
Dr. Roland Drewinski: Die üblichen Verdächtigen neben Klassikern wie den Nummerierungsschemata sind das Rechtesystem und Workflows, verbunden mit spezifischen Regelwerken, die festlegen, wer was wann machen soll. Dabei darf nicht übersehen werden, dass ein PDM-System nicht auf der grünen Weise eingeführt wird, so dass ein Großteil des Aufwands eines PDM-Projekts eher Aufgaben wie der Datenmigration und der Berücksichtigung bestehender Verfahren etwa im ERP zuzuschreiben ist.
Inventor Magazin: Die meisten großen CAD-Anbieter haben ja auch PDM-Systeme im Angebot, die eine nahtlose Integration versprechen. Wie überzeugen Sie potenzielle Kunden, die Lösung eines unabhängigen Anbieters zu verwenden?
Dr. Roland Drewinski: Das kommt auf den Bedarf des Kunden an. Benötigt er zum Beispiel ein leistungsfähiges Multi-CAD-Datenmanagement, will er auch die Entwicklung von E/E- und Softwarekomponenten berücksichtigt wissen, oder sieht er in Elementen wie einem prozessorientierten Projektmanagement große Vorteile, nützt ihm die vermeintlich optimale Unterstützung eines einzelnen M-CAD-Systems wenig, wenn nicht auch alle anderen Anforderungen gut oder sehr gut erfüllt werden. Kurz gesagt: Niemand würde ein Auto nur nach der Qualität der Klimaanlage auswählen. So gibt es einen großen Automobilhersteller, der wohl auch deshalb sein CAD-System wechselt, weil – um im Bild zu bleiben – der Lieferant der Klimaanlage auch gleich noch vorschreiben wollte, wie das Auto drumherum auszusehen hat. Das ist Quatsch…
Inventor Magazin: Gerade kleinere und mittelständische Unternehmen werden ja derzeit zum Beispiel von Autodesk oder PTC mit vermeintlich preisgünstigen und einfach implementierbaren PLM-Paketen heftig umworben. Welche Chancen räumen Sie diesen Bemühungen ein?
Dr. Roland Drewinski: Wenn die im vorherigen Punkt genannten Aspekte keine Rolle spielen, kann ein solches Paket die richtige Wahl sein. Wie überall sonst auch gibt es in der Regel für unterschiedliche Ansprüche auch unterschiedliche Angebote. Das betrifft den Leistungsumfang und eben auch den Preis.
Inventor Magazin: Was setzt CONTACT Software in diesem Markt entgegen, wo ja der Einsatz eines PDM-System nicht immer selbstverständlich ist?
Dr. Roland Drewinski: Unser Angebot wendet sich vor allem an Kunden mit komplexen Produkten und Prozessen. Der Wettbewerb ist dort ein anderer. Allerdings will ich nicht ausschließen, dass CONTACT künftig auch Angebote für kleinere Entwicklungsteams machen wird. Unsere hervorragend skalierbare Technologieplattform ist auch dafür sehr gut geeignet.
Inventor Magazin: Ein derzeit hoch gehandeltes Thema ist das Cloud Computing, das den Unternehmen den flexiblen Einsatz von Software mit geringem Verwaltungsaufwand und planbaren Kosten erlauben soll. Was halten Sie davon?
Dr. Roland Drewinski: PDM/PLM mit höherem Customizing-Bedarf, vielfältigen Schnittstellen und Kunden, die sehr sensibel sind, was den Know-how-Schutz betrifft, ist zunächst einmal keine Paradedisziplin für das Cloud Computing. Allerdings hat Cloud Computing viele weitere Facetten. Neben dem Outsourcing von IT-Leistungen im weiteren Sinne sind dies einfachere, aber auch einfacher zu bedienende Lösungen, eine unglaublich große Innovationsdynamik bei Apps und neue Lizenz- und Wertschöpfungsmodelle. Hinzu kommt ein höherer Stellenwert der Kollaborationskultur – denken Sie zum Beispiel an Crowd Sourcing und Joint Ventures – über das eigene Unternehmen hinaus. Deshalb bin ich überzeugt, dass Cloud Computing auch auf unsere Branche großen Einfluss haben wird. Warum sollte ein Unternehmen zum Beispiel seine SQL-Datenbank selbst betreiben? Das ist ja heute ein vergleichsweise profaner Dienst.
Inventor Magazin: CONTACT Software engagiert sich im Codex of PLM Openness. Inwiefern können die Anwender und Entwickler in den Unternehmen davon profitieren?
Dr. Roland Drewinski: Die Unternehmen sind auf einen regen Wettbewerb auch in unserem Markt angewiesen. Den gibt es nur, wenn Wahlfreiheit herrscht und ein Kunde sich seine Komponenten entsprechend der Idee „Best in Class“ und seiner besonderen Belange zusammenstellen kann. Durch gute und nicht durch „alternativlose“ Lösungen profitieren dann auch die Anwender. CONTACT positioniert sich außerdem in besonderer Weise, weil wir nicht gleichzeitig auch noch ERP- oder CAD-Anbieter sind. Kunden entscheiden sich für unsere Lösungen wie CIM DATABASE eben ohne Präjudiz. Deshalb müssen wir zum einen gleichwertig oder besser sein und zum anderen in der Disziplin „offene Systeme“ glänzen. Im Zuge der wachsenden Bedeutung der elektrotechnischen, elektronischen und softwaretechnischen Komponenten in den Produkten ist dies am Ende ein Wettbewerbsvorteil!
Inventor Magazin: Können Sie uns hierfür ein Beispiel nennen?
Dr. Roland Drewinski: Der Zugriff auf Objekte in unser Repository über Web Services gehört zum Standard unserer Plattform. Diese beruht übrigens in wichtigen Bereichen auf Open-Source-Elementen wie zum Beispiel Python oder Eclipse. Damit können wir unseren Kunden die leistungsfähigste am Markt verfügbare Infrastruktur anbieten.
Inventor Magazin: Die wirtschaftliche Lage in vielen Teilen Europas ist deprimierend, und für Deutschland erwarten die Konjunktursachverständigen allenfalls ein sehr minimales Wachstum. Wie wird sich dies auf die Nachfrage nach PDM- und PLM-Lösungen in diesem Jahr auswirken?
Dr. Roland Drewinski: Gleichzeitig spricht Genosse Trend für unseren Markt. Denn die Innovationsproduktivität rückt zurecht immer mehr ins Bewusstsein des Managements. Womit sonst als mit innovativen Produkten sollen denn Länder ohne nennenswerte Rohstoffvorkommen einen vergleichsweise hohen Lebensstandard sichern? Ich würde deshalb sogar von einer Renaissance des Themas sprechen. CONTACT sieht gute Perspektiven in einem Markt, der auf höhere Innovationsproduktivität setzt!
Inventor Magazin: Wenn Sie zwei, drei Jahre nach vorn blicken: Was wird die Datenmanagement-Software dann können, was sie heute noch nicht kann?
Dr. Roland Drewinski: Diese Software wird den Entwicklungsprozess im Sinne des Front Loading bereits in früheren Phasen unterstützen und einfacher zu bedienen sein. Außerdem wird die Client-Plattform keine Rolle mehr spielen. Und das Management eines Unternehmens wird sich schneller und besser über die Entwicklungsprojekte und die Qualität der Entwicklungsprozesse informieren können.
Inventor Magazin: Herr Dr. Drewinski, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Andreas Müller.
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