04.10.2022 – Kategorie: Konstruktion & Engineering
Autonomous Engineering: Produktdesign im Druckguss
Berücksichtigt die Produktentwicklung die Herstellungsbedingungen nicht hinreichend, können Teilekosten, Qualität, Funktion und Fristen aus dem Ruder laufen. Ein Ansatzpunkt für frühzeitige Optimierungen ist die simultane Entwicklung von Bauteil und Fertigungsprozess mit Hilfe von Gießprozess-Simulation.
Autonomous Engineering in der Praxis: Modellvielfalt und Wettbewerb führen zu kürzeren Produktentwicklungszyklen und wachsender Funktionsintegration. Zeit- und Kostendruck nehmen also zu. Komplexe Druckgusskomponenten werden heute standardmäßig funktionsgerecht mit virtuellen Methoden zur Lastfallbewertung ausgelegt. Machbarkeit und Fertigungsrestriktionen werden häufig jedoch erst bewertet, wenn Lieferanten angefragt werden. Designänderungen sind in diesem Stadium nur mit Zeit- und Kostenaufwand realisierbar und werden daher selten durchgeführt.
Mehr Klarheit durch Autonomous Engineering
Um früher Klarheit in die virtuelle Produktentstehung und Auslegung des Fertigungsprozesses im CAE-Entwicklungsprozess zu schaffen, lassen sich diese früher koppeln („front-loading“). Werden Gießprozess-Simulationen und virtuelle Optimierung integriert, lassen sich Fertigungsrestriktionen früher im Produktentstehungsprozess identifizieren. Wie das funktioniert, zeigt im Folgenden das Beispiel eines „Verbindungsknotens“.
Beispiel-Struktur
Der beispielhafte Verbindungsknoten ist Bestandteil des Crashlastpfades vom Längsträger zum Mitteltunnel einer PKW-Karosseriestruktur. Die Anforderungen: Vier geplante Verbindungstechniken zu den weiteren Bauteilen des Systems müssen realisiert und die US-amerikanische Vorschriften für den frontalen Crash nach den FMVSS (Federal Motor Vehicle Safety Standards) erfüllt werden.
Die Funktionsgeometrie wurde während des konventionellen Entwicklungsprozesses zu einem Druckgussbauteil gestaltet. Dabei wurden klassische Design- und Konstruktionsregeln berücksichtigt. Die spezifizierten Anforderungen werden weitestgehend virtuell durch FE-Simulationstools validiert. Das ausgestaltete Druckgussbauteil durchläuft oft parallel die virtuelle Prüfung des Betriebslastfalles beziehungsweise funktionalen Anforderungsprofils. Der Gusslieferant ist jedoch heutzutage vor Design-Freeze nicht standardmäßig in den Prozess eingebunden.
Status Quo des Beschaffungsprozesses
Die Herstellbarkeit wird teils erst dann detailliert analysiert und bewertet, sobald der Lieferant nominiert ist. Die Prozess- und Werkzeugauslegung beim Gusslieferanten findet mit Hilfe von Gießprozess-Simulationen statt. So kann er notwendige Designänderungen identifizieren. Wie erwähnt, sind diese mit Zeit- und Kostenaufwand verbunden und werden daher jedoch selten angeregt.
Die Prozessentwicklung endet meist mit der Bestätigung der Herstellbarkeit durch den Lieferanten und der Fertigungsfreigabe kostenintensiver Werkzeuge und Betriebsmittel. In Konsequenz sind mit Beginn der Serienfertigung Fertigungsprozesse oft noch nicht robust, intransparent und haben lange Anlaufzeiten sowie hohe Ausschussraten. Dadurch ist es kaum möglich, die Qualitätsanforderungen an die Strukturbauteile prozesssicher einzuhalten und gleichzeitig kosten- und ressourceneffizient zu produzieren.
Autonomous Engineering: Korrelationsmatrix erstellen
Um die Robustheit des Gießsystems zu bewerten, legen Fachleute ihre Ziele, die variierbaren Freiheitsgrade und die Qualitätskriterien zur Erfolgsbewertung fest. Auswertegebiete (Evaluation Areas) im Magmasoft-Simulationsmodell des Gussknotens erleichtern die Bewertung, indem sie Qualitätskriterien in relevanten Bereichen messen.
Zu untersuchende kritische Prozessvariablen und deren Schwankungsbreite sind beispielsweise: Veränderungen in der Dosiermenge, Schwankungen der Gießtemperatur, unvollständige Nachverdichtung (dritte Phase) oder die Wirksamkeit einer Punktkühlung im Bereich der funktionskritischen dickwandigen unteren Verbindungspunkte. Den Variablen werden unteres und oberes Limit und eine Schrittweite zugewiesen. Die Simulationssoftware untersucht vollautomatisch den daraus resultierenden virtuellen Versuchsplan.
Für den Gussknoten wurden alle Varianten des virtuellen Versuchsplans vollständig untersucht. Eine Korrelationsmatrix fasst sämtliche Einflüsse auf definierte Qualitätskriterien des Bauteils zusammen. Als Kriterien können alle in der Simulationssoftware verfügbaren Daten definiert werden.
Sämtliche Varianten werden statistisch verglichen und ausgewertet: Je größer Steigung und Farbintensität eines Diagramms, desto stärker der Einfluss des betrachteten Parameters auf das jeweilige Qualitätskriterium.
Auf den ersten Blick wird aus der Korrelationsmatrix der Einfluss von Dosierschwankungen sichtbar. Wenn Füllmengen variieren, verschiebt sich die Gießkurve. Dadurch verschieben sich auch kritische Wegpunkte, wie der Start der zweiten Füllphase oder der Abbremspunkt zum Ende der Füllung. Dies beeinflusst die Füllzeit des Bauteils. Die Folge: Risiken für Fließfehler, Kaltlauf, Überspritzen und Gratbildung.
Fertigungssimulation in die Produktentstehung integrieren
Ideal ist es also, mithilfe dieser Art der Simulation Fertigungseinflüsse auf Bauteileigenschaften bereits während der Produktentstehung zu untersuchen. Die so gesammelten Daten helfen, robuste Werkzeuge auszulegen, abgesicherte Serienanläufe zu planen und Fertigungsprozesse zu verbessern.
Eine wichtige Qualitätsvorhersage zur Funktion von Strukturbauteilen beruht auf der Berechnung lokaler Eigenspannungen und plastischer Dehnungen zu jedem Zeitpunkt des Gießprozesses und der anschließenden mechanischen Nachbearbeitung. Die Berechnungsergebnisse verfeinern die Zustandsbeschreibung des Strukturbauteils vor der virtuellen CAE-Funktionsanalyse.
Lokale plastische Dehnungen identifizieren Belastungen der Werkstoffstruktur, die während des Erstarrens entstehen. Bereiche signifikanter Vergleichsspannungen nach der Wärmebehandlung ergänzen das Lastkollektiv der FE-Crashsimulation. Überlagern sich hohe Lasten und lokal reduzierte Eigenschaften des Gussbauteils, steigt das Versagensrisiko beim Crash. Werden berechnete Eigenschaften in die Funktions- und Risikoanalyse integriert, sind genauere Vorhersagen möglich.
Fazit
Autonomous Engineering mit Simulationswerkzeugen wie Magmasoft ist zukunftsweisend: Es ermöglicht, Werkzeuge und Fertigungsabläufe im Druckguss optimal und robust zu gestalten. Das Beispielbauteil „Verbindungsknoten“ aus Aluminium-Druckguss zeigt, wie die neue Methodik die Forderungen nach schneller Produkt- und Prozessentwicklung, optimaler Prozess- und Werkzeuggestaltung, sowie robuster Prozessauslegung mit gleichbleibender Qualität speziell für Druckguss besser unterstützt als je zuvor.
Sind Entscheidungen frühzeitig gesichert, unterstützen sie Produktentwickler und Fachleute dabei, robuste, kosten- und ressourceneffiziente Produkte und Prozesse zu planen. Virtuell generiertes Wissen bereits in der Planungsphase angewendet, ist die Basis für einen CAE-Entwicklungsprozess, bei dem Bauteil und Prozess von Konstrukteur und Gießer synchron optimiert werden.
Der Autor Dr.-Ing. Horst Bramann arbeitet im Vertrieb von Magma Gießereitechnologie in Aachen.
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