21.03.2022 – Kategorie: Fertigung

Automatisierungsstrategie: So gelingt die Umsetzung im Werkzeugbau

AutomatisierungsstrategieQuelle: Rogue Ace Photography/Shutterstock

Oft fokussieren Werkzeugbauer auf die Optimierung einzelner Flaschenhals-Ressourcen, um mit der Konkurrenz Schritt halten zu können. Ist das wirklich noch eine zielführende Automatisierungsstrategie?

Der deutsche Werkzeug- und Formenbau steht seit Jahren unter Druck. Ansätze einer Automatisierungsstrategie und Digitalisierung gab und gibt es bereits viele. Allerdings handelt es sich hierbei fast immer um aus der Not heraus entwickelte punktuelle Einzellösungen anstelle ganzheitlicher Ansätze.

Ganzheitliche Automatisierungsstrategie: Fehlanzeige!

Ein Ergebnis dieses „Flaschenhalsdenkens“ ist, dass teils zwar hochautomatisierte Fertigungszellen zum Einsatz kommen. Dies jedoch ohne eine ganzheitliche Betrachtung der weiteren notwendigen Prozessbestandteile, etwa für die Planung der Abarbeitung, die Aufspannungsszenarien, Organisation und Bereitstellung notwendiger Zerspanungswerkzeuge, Spannmittel, NC-Programme und vieles mehr.

Das Problem der Fokussierung

Ein Werkzeugbauer hat beispielsweise 15 bis 25 Mitarbeiter und stellt 20 Werkzeuge pro Jahr her. Jedes Werkzeug hat 500 Komponenten, jede ein Unikat, das zwischen 3 und 10 individuellen Arbeitsfolgen benötigt (Rohteil-Beschaffung, NC-Programmierung, ein bis drei Fertigungsschritte, Oberflächen- Nachbehandlung). Das bedeutet die Organisation, Planung und Steuerung von 125.000 Vorgängen und Tätigkeiten durch Mitarbeiter oder externe Dienstleister. Zudem erfordern Änderungen am Werkzeug während der Anfertigung die Anpassung betroffener Komponenten oder der Fertigungssteuerung wie Maschinewechsel, Kapazitäts- und Materialengpässe ausgleichen.

Im Alltag fehlt bei der individuellen Planung und Steuerung der einzelnen Arbeitsschritte oft Transparenz – etwa bei der Aktualität der Daten, dem Änderungsmanagement, dem Lagerort und Zustand der Halbzeuge sowie beim Lieferanten- und Beschaffungsmanagement.

Dieses Szenario eines „typischen“ Werkzeugbau-Unternehmens, provoziert die Frage, wie eine Automatisierung sinnvoll realisiert werden kann?

Hinzu kommt: Um im harten Wettbewerb weiterhin bestehen zu können, setzen die Werkzeugbauer zunehmend auf die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zur Diversifikation. Die einzelnen Anbieter entwickeln ihre Kernkompetenzen weiter und erfahren auch durch die zunehmende Komplexität und Varianz eine Verschärfung ihrer bestehenden Probleme im Prozessablauf.

Komplexität und Prozessverständnis

Die gute Nachricht: Jedes Bauteil ist zwar zunächst einmal einzigartig, doch es gibt immer auch Ähnlichkeiten, etwa bei geometrischen oder technologischen Eigenschaften sowie auch bei der Planung und Organisation.

Damit bieten sich valide Ansatzpunkte für eine Automatisierung wesentlicher Arbeitsschritte.

1. Parametrische Konstruktion

Auf Basis von Klassifikation und Standardisierung lassen sich gleichbleibende und ähnliche CAD-CAM-Prozesse automatisieren. Das gilt auch für weitere sich wiederholende auch komplexere Tätigkeiten. Automatisierungen können den Anwender bei routinemäßigen Tätigkeiten unterstützen.

Beispielsweise helfen parametrische Steuerkörper bei der Werkzeugkonstruktion. Sie reduzieren Fehler und Konstruktionszeit, da entsprechende Kavitäten und Stempelkonturen in der richtigen Logik auf alle betroffenen Komponenten automatisiert übertragen werden können.

Die richtige Logik beschreibt über geometrische und weitere Eigenschaften wie Features, Farbcodierungen oder PMI (Product Manufacturing Information) alle für die nachfolgenden Prozessschritte (Planung, Beschaffung, NC-Programmierung sowie Qualitätsüberprüfung) notwendigen Inhalte.

2. NC-Schablonen

In NC-Schablonen steckt optimiertes Fertigungswissen, etwa über Bearbeitungsreihenfolgen und Fräswerkzeuge mit Schnittwerten. Dies ermöglicht ein standardisiertes, mit den CAD-Templates abgestimmtes, automatisiertes Arbeiten. Häufig wird den automatisierten Programmen jedoch nachgesagt, dass diese nicht optimiert für die gewählte Fertigungsmaschine sind und daher nicht effektiv laufen. Genau dafür bietet die NC-Schablonentechnik mit den hinterlegten Automatisierungen Abhilfe.

3. Planungstemplates

Planungstemplates auf Basis der durch die Konstruktion festgelegten Klassifikation sorgen für eine geordnete und strukturierte Arbeitsweise im gesamten Fertigungsprozess: Komplexe Prozessschritte können dadurch in digitaler Form einfach und verständlich an einem zentralen Ort gesammelt und benutzerfreundlich visualisiert und dargestellt werden.

Bei durchgängiger Abstimmung der Klassifikatoren und Standards über alle Teilprozesse hinweg werden die Vorteile vor allem bei Artikel- oder Bauteiländerungen sichtbar. Einmalig in die CAD-Konstruktion eingebracht, werden alle über die Templates und Schablonen betroffenen Bereiche erkannt und aktualisiert. Die Planungstemplates sorgen dabei für die entsprechenden Freigaben und Versionsstände.

Schrittweise Einführung der Automatisierungsstrategie

Der Weg hin zur Automatisierung führt also über die Klassifikation und Standardisierung. Zudem gilt es, Ineffizienzen zu reduzieren wie Rückfragen zum Status des Auftrags, zu Werkzeugkomponenten und Fertigungsschritten oder auch die Suche nach Ansprechpartnern bei Problemen. Zielführend ist die Umsetzung einer Wissensdatenbank. Key-User können ihre Erfahrungen in Form von Templates und Schablonen einbringen und so ihre Erfahrungen digital speichern und weitergeben.

Die Prozesse im Ganzen betrachten

Transparenz ermöglicht ein abteilungsübergreifendes Verständnis über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Tatsächlich ist ein gemeinsames Prozessverständnis ein wesentlicher Bestandteil einer Automatisierungsstrategie. Denn hochautomatisierte Insellösungen schaffen per se keine Abhilfe. Planung und Beschaffung, die Schablonentechnik bei der NC-Programmierung oder relevante Merkmale bei der Qualitätsüberprüfung und Vermessung.

Die beschriebene parametrische Konstruktion etwa bietet Möglichkeiten, um Engpässe in der Konstruktion zu entschärfen. Wird jedoch nur dieser Engpass behoben, verbessert sich ganzheitlich gesehen die Effizienz jedoch noch lange nicht. Der Flaschenhals verlagert sich zunächst in die NC-Programmierung.

Nicht abgestimmte Einzelprozesse erzeugen eher Mehraufwand, schaffen aber mit Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette keinen signifikanten Mehrwert. Eventuell wirkt sich diese Teiloptimierungen sogar durch zusätzlichen Organisationsaufwand von der Planung bis hin zur Fertigstellung/Montage negativ aus.

Automatisierungsstrategie: Mit Struktur zum Erfolg

Das Problem der „Flaschenhals-Verschiebung“ fordert die Analyse der bestehenden Prozessabläufe heraus. Diese Analyse ist zwingende Voraussetzung für eine gelungene Automatisierung. Eine solche Analyse bezieht sich individuell auf das jeweilige Unternehmen.

Der Fokus der Analyse liegt auf der Erfassung der Gesamtprozesskette über den gesamten Wertschöpfungsbereich hinweg. Die Digitalisierung der erkannten Abläufe bedeutet dabei nicht zwingend, dass sie verändert werden müssen – vielmehr geht es oft darum, bestehende Best-Practices zusammenzuführen und sie in softwarebasierten Digitalisierungsansätze zu gießen.

Das bedeutet, dass alle notwendigen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort und vor allem in der benötigten Qualität zur Verfügung stehen. Ferner bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, die Informationen zu einem aktuellen Fertigungsauftrag, auch rückwirkend als Kontrollinstrument oder perspektivisch als Kalkulationsdatenbank, zu nutzen und den Prozess damit weiter zu verbessern.

Ausblick

Was so entstehen kann, ist die Digitalisierung der kompletten Werkstatt, verbunden mit einer Online-Visualisierung (und Kontrolle) aller Prozesseschritte. Diese könnten in einigen Jahren für die Anbieter im Werkzeugbau eine Selbstverständlichkeit darstellen.

Der Autor Sebastian Stephan ist Produktmanager MES Proleis bei der Tebis AG.

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