05.09.2022 – Kategorie: Hardware & IT
Auf die richtige Stammdaten-Qualität kommt es an!
Die Aerzener Maschinenfabrik (Aerzen) fertigt Gebläse und Schraubenverdichter für den industriellen Einsatz. Um die Effizienz zu steigern und sein Qualitätsversprechen noch umfassender einzulösen, arbeitet das Unternehmen seit rund zehn Jahren an der Verbesserung der Stammdaten-Qualität. Wie das gelingt, darüber hier mehr.
Stammdaten-Qualität auf höchstem Niveau: Seit 1864 entstehen in Aerzen bei Hameln Hochleistungsmaschinen für die Industrie. Durch konsequente Ausrichtung auf zuverlässige, energieeffiziente und hochleistungsfähige Gebläse und Schraubenverdichter, frühzeitige Internationalisierung und hohe Produktqualität konnte sich das Familienunternehmen zu einem Global Player entwickeln, der weltweit 2.500 Mitarbeiter beschäftigt und über 50 Tochtergesellschaften unterhält.
Die Gebläse, Verdichter, Drehkolbenverdichter und Turbogebläse werden im Stammwerk Aerzen mit rund 1150 Mitarbeitern als Standard-Baureihen und kundenspezifische Lösungen entwickelt und zu 85 Prozent exportiert.
Stammdatenprojekt vor der Migration
Als 2012 die Entscheidung getroffen wurde, von einer AS400-Lösung auf ein ERP-System von SAP zu wechseln, sollten die Stammdaten ausgelesen, bereinigt und klassifiziert werden, um eine reibungslose Migration zu gewährleisten. Schnell wurde der Partner Simus Systems involviert. Noch im vierten Quartal 2012 begann das erste Projekt: In Workshops wurde eine Datenstruktur entwickelt und in der Datenmanagement-Software Simus Classmate aufgebaut. Vier Mitarbeiter von Aerzen erarbeiteten mit dem Software-Partner Merkmale, Regeln und Bewertungsgrundlagen. Die Beteiligten berücksichtigten dabei internationale und nationale Normen ebenso, wie die Merkmale der eigenen Erzeugnisse. Schließlich haben sie die Regeln mit den Funktionen der Datenmanagement-Software auf den vorhandenen Datenstamm angewandt, der in das neue SAP-System eingespielt wurde.
Bessere Stammdaten-Qualität: Neue Suchmaschine
„In unserem Altsystem gab es keine Suchfunktion“, erinnert sich Wilfried Rupnow, Stammdatenmanager und Administrator bei Aerzen. „Für die Technik war es einfacher und schneller, neue Bauteile anzulegen. Dies sollte nun anders werden.“ Im Projekt war die Einführung von Classmate Finder vorgesehen, einer Suchmaschine, die gewünschte Informationen über Schnittstellen aus fast allen führenden CAD-, PDM- und ERP-Systemen aufspürt. Frei kombinierbare Suchmöglichkeiten und eine einfache Benutzeroberfläche ermöglichen verschiedene, kombinierbare Suchanfragen: Von der Navigation im grafisch dargestellten Klassenbaum reichen sie über die Suche nach bestimmten Merkmalen bis zur frei definierbaren Ähnlichkeitssuche anhand von Geometrie, Vergleichsdaten oder Teilbereichen.
Die Ergebnisse werden in übersichtlichen Listen mit 2D- und 3D-Vorschaubildern angezeigt. Bereits ab Sommer 2013 profitierten wie vorgesehen rund 40 Anwender in der Technik von diesen Funktionen. Doch aufgrund der hohen Benutzerfreundlichkeit meldeten immer mehr Fachbereiche Interesse an der neuen „Suchmaschine“ an: „Heute verwenden wir am Standort Aerzen 211 Lizenzen“, freut sich Wilfried Rupnow. „Die Hauptnutzer verteilen sich auf Einkauf und Qualitätssicherung über den Vertrieb bis in den After Sales Support.“
Dabei wurde das Ziel, durch die Suchfunktion weniger Materialien neu anzulegen, erreicht: „Trotz Wachstum legen wir heute pro Jahr durchschnittlich 20 Prozent weniger neue Materialien an als vor fünf Jahren.“
Automatische Textgenerierung
Die Stammdaten-Qualität hat ebenso wie der Informationsgehalt der Daten deutlich zugenommen: „Früher haben die Anwender unterschiedliche Mengen von Daten in unterschiedlicher Form eingegeben“, berichtet Wilfried Rupnow. „Heute können sie vorbelegte Texte manuell ergänzen, der Aufbau wurde standardisiert, sodass sich bestimmte Informationen immer an den gleichen Stellen befinden.“
Sehr wichtig ist dabei die Funktion der Datenmanagementsoftware, die aus den Klassenmerkmalen und den jeweiligen Merkmalswerten automatisch Texte mit einheitlicher Struktur erzeugt. So werden viele Texte für Einkauf, Vertrieb und andere Nutzungen heute nach Merkmalen vorbelegt. Diese Funktion wurde auch für Übersetzungen in fünf Sprachen nutzbar gemacht – in beliebig erweiterbarer Form. Durch den hohen Informationsgehalt der Datensätze erhalten die Anleger bei der späteren Verwendung wesentlich weniger Rückfragen.
„Dies sorgt für hohe Akzeptanz unserer Prozesse und motiviert zur Erweiterung auf neue Materialgruppen,“ berichtet Rupnow. „Inzwischen lassen sich selbst Texte für Bauteile mit starker Individualisierung, wie die Schallhauben unserer Aggregate, automatisch erzeugen. Dies hätte vor drei Jahren niemand für möglich gehalten.“
Stammdaten-Qualität: Master Data Governance
Um die Stammdaten-Qualität bei rund 130.000 Datensätzen, davon 77.000 aktiven Materialstämmen weiter zu steigern, Fehlerquellen zu beseitigen und die Datennutzung zu verbessern, überarbeitete Aerzen ab 2017 in dem Projekt „Global Material Master“ den Materialstamm-Anlageprozess mit Blick auf einen weltweiten Einsatz. Dazu wurden gemeinsam mit Simus Systems stringente Regeln für den Umgang mit den Stammdaten (Master Data Governance) definiert, die durch automatische Prozesse umgesetzt werden sollten. Die vorhandenen Anforderungen wurden Schritt für Schritt abgearbeitet und anschließend getestet, bevor sie im März 2018 live geschaltet wurden.
Wichtigste organisatorische Neuerung war die Einrichtung einer Stammdaten-Prüfstelle. Nach einer Recherche in Classmate Finder stellen die Anleger nun einen Materialantrag, der mit gefundenen, entsprechend abgeänderten Daten befüllt werden kann. Benachrichtigungen, das Anlegen vor Arbeitsvorrat in Arbeitsmappen und Statusvergabe erfolgen durch Simus Classmate.
„Die Anwender nehmen Stammdaten nun viel wichtiger und strengen sich bereits im Vorfeld mehr an, Materialien richtig zu beschreiben“, sagt Christian Weper, der die Stammdatenstelle leitet. „Früher wurde gute Datenqualität für nachfolgende Prozessbeteiligte geschaffen. Heute profitieren die Anwender durch schnellere Prozesse, weniger Rückfragen und Fehlermöglichkeiten selbst davon.“
Anfängliche Befürchtungen von Mehraufwand haben sich hingegen nicht bestätigt: „Die Anleger werden durch vorgelegte Daten und Wertelisten, automatische Unterstützung und den Wegfall aufwändiger Nachprüfungen weitestgehend entlastet“ sagt Stammdatenmanager Wilfried Rupnow. „So können sie sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.“
Die Zukunft: Der globale Materialstamm
Die erreichte Datenqualität trägt dazu bei, dass viele Fehler der Vergangenheit ausgemerzt werden konnten. „Davon profitieren nicht nur wir, sondern auch unsere Lieferanten und vor allem unsere Kunden“, berichtet Wilfried Rupnow. „Sie können ihre wertvollen Produktionsanlagen nun noch reibungsloser in Betrieb nehmen.“ Dieser Vorteil soll in Zukunft auf die Tochterfirmen ausgeweitet werden. Derzeit wird daran gearbeitet, dass die gute Datenqualität im Stammhaus von anderen ERP-Systemen ebenfalls genutzt werden kann.
„Wir könnten dadurch weltweit viel schneller reagieren – beispielsweise bei der Bestellung von Ersatzteilen, der Beschaffung von Komponenten oder der Verwaltung von Beständen,“ sagt Wilfried Rupnow. Christian Weper ergänzt. „Dazu müssen wir die Textgenerierung auf weitere Klassen ausdehnen. Auch unsere zahlreichen Hilfstexte bereiten wir jetzt schon für den internationalen Einsatz vor, obwohl wir den Nutzen daraus erst in der Zukunft einfahren werden.“
Der Autor Dr. Thomas Tosse ist Technik-Journalist in München.
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