06.08.2013 – Kategorie: Branchen, Hardware & IT
Anlagenplanung: Auf einer Linie
DIGITAL ENGINEERING Magazin (DEM): Im vergangenen Jahr haben Bentley und Siemens eine Zusammenarbeit vereinbart, was die Lösungen für die diskrete Fertigungsindustrie betrifft. Was wurde hier bisher erreicht?
Carsten Gerke: Wir haben auf der PLM-Seite die Integration von Teamcenter und Projectwise vorangetrieben und den Datenaustausch mit JT optimiert. Der Workflow umfasst die Produkte, die von Siemens eingebracht wurden, wie Teamcenter und Tecnomatix und die Bentley-Lösungen, die zum Beispiel in der Hallenplanung verwendet werden. Jetzt folgen in einem zweiten Schritt die Anwendungen für die Prozessindustrie. Wir sind da schon ganz gut und schnell ins Laufen gekommen.
DEM: Was gab denn den Ausschlag dafür, nun auch auf der Prozessindustrieseite enger zusammenzuarbeiten?
Andreas Geiss: Nun, ich denke, es liegt auf der Hand, dass man in der Prozessindustrie das Plant-Lifecycle-Management-System Comos ideal mit einem passenden 3D-Planungssystem ergänzen kann. Genau das haben wir jetzt getan. Mit der Integration von Comos im 2D-Umfeld und OpenPlant im 3D-Umfeld ermöglichen wir den Datenaustausch gemäß ISO 15926, also in einem offenen Format. Damit tragen wir den Anforderungen der Zukunft Rechung, Daten in jeglicher Form austauschen zu können und nicht auf einen Datentyp limitiert zu sein. Wir sind stolz, diesen Weg zu gehen und bringen damit einen Standard auf den Markt.
Carsten Gerke: Wir haben festgestellt, dass unsere Visionen und unsere Ausrichtung ziemlich kompatibel sind, dass wir auf einer Linie liegen und sich auch unsere Lösungen zum großen Teil ergänzen. Natürlich gibt es zuweilen Überlappungen; auf der anderen Seite sehen wir aber, dass wir für die Zielrichtung, in die sich der gesamte Markt bewegt, sehr viel schneller und positiver für die Kunden vorankommen.
DEM: Welche Besonderheiten zeichnen die Prozessindustrie aus, welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht, was den Datenaustausch und den Workflow betrifft?
Carsten Gerke: In der Prozessindustrie zeigt sich ein großes Spektrum von der papier- und dokumentenbezogenen Arbeitsweise bis hin zum rein digitalen Workflow. Dazu gehört die Papier- und die Abwasserindustrie genauso wie die Öl- und Gasindustrie. Der Automatisierungsgrad unterscheidet sich zwischen den einzelnen Disziplinen gewaltig. In den letzten Jahren hat sicher die Öl- und Gasindustrie Trends gesetzt. Hier hat man die Industrie-4.0-Themen schon längst propagiert, hier braucht man eine digitale Repräsentation der Anlage. Wenn Sie jetzt fragen, wo die einzelnen Kunden stehen: Irgendwo in der Mitte. Diverse Systeme befinden sich im Einsatz; Daten liegen digital vor, die meist isoliert dastehen und es besteht auch keine Mobilität zwischen einzelnen Applikationen. Genau das ändern wir jetzt. So können wir Daten durchgehend von der Planung bis zum Betrieb transportieren.
Andreas Geiss: Damit gewährleisten wir auch den aktuellen Stand eines Prozesses beziehungsweise einer Anlage, das heißt eine As-Built-Dokumentation. In der Öl- und Gasindustrie ist es auch eine gesetzliche Anforderung, immer ein aktuelles Abbild, eine aktuelle Dokumentation eines Prozesses oder einer Anlage bereitzuhalten. In der Pharma-Industrie sind Reproduzierbarkeit und FDA-Compliance per Gesetz verankert. Demzufolge sind natürlich auch die Hersteller aus diesen Branchen die Vorreiter. Die Hersteller aus der Öl- und Gasindustrie haben die ISO 15926 in den letzten Jahren ganz entscheidend geprägt, nach vorne gebracht und in dieser Form etabliert. Andererseits ist die Branche sehr konservativ, die Prozesse sind überschaubar und es gibt wenige Änderungen. In der Spezialchemie dagegen sieht das Bild ganz anders aus. Aber auch da merken wir, dass die Kunden über einen ähnlichen Weg nachdenken. Die Herausforderungen, ein digitales Abbild zu haben, in Brown-Field-Anlagen zu verändern, wachsen auch dort. Hier wollen die Hersteller ansetzen. Das verbindet auch das Detail Engineering, CAPEX mit OPEX, wo wir den Kunden die Möglichkeit geben, basierend auf dem, was während der Engineering-Phasen entsteht, einen Datenbestand aufzubauen, der dann auch weiter während des Anlagenbetriebs, während der OPEX-Phase genutzt werden kann.
DEM: Wann werden die Kunden von der Interoperabilität der Anwendungen von Bentley und Siemens profitieren?
Carsten Gerke: Derzeit gibt es einen Prototypen, der sich in der Pilotphase befindet. Wir gehen davon aus, dass wir eine kommerzielle Lösung bereits mit einem der nächsten Releases bereitstellen können.
Andreas Geiss: Zum heutigen Zeitpunkt werden Daten von Comos in Richtung OpenPlant übergeben. Wir arbeiten nun gemeinsam mit Bentley an einer Lösung für den bidirektionalen Datenaustausch zwischen beiden Systemen. Somit lassen sich künftig Daten aus Comos in OpenPlant verwenden und umgekehrt.
Carsten Gerke: Das heißt, dass man eine Verrohrungsplanung im 3D-Bereich erstellt, das Equipment platziert und gleichzeitig die Konsistenz zur Prozessplanung im 2D-Bereich gewährleistet ist. Man hat dann die Sicht auf den kompletten Datenbestand, und das nicht innerhalb eines Systems, sondern eben in zwei unterschiedlichen Systemen.
DEM: Was verbindet diese Lösungen mit dem Thema Industrie 4.0?
Andreas Geiss: Wir sehen die Zusammenarbeit als einen ersten, entscheidenden Schritt dorthin. Industrie 4.0 verspricht eine durchgängige Integration vom Produkt über die Produktion, das digitales Abbild, die Virtual-Reality-Anwendung bis hin zur realen Anlage. Hier liefern wir einen entscheidenden Beitrag, indem wir Kunden die Möglichkeit bieten, einen solchen Prozess umzusetzen. Unser Ziel ist es, weiterhin Mehrwert für unsere Kunden zu schaffen, sei es durch ein smartes Kabelmanagement, sei es auch durch Softwarelösungen, die das Arbeiten an unterschiedlichen Standorten vereinfachen.
Carsten Gerke: Ganz wichtig ist die digitale Repräsentanz der Anlage. Die bildet die Basis, um dann weiter planen zu können. Und das soll nicht über proprietäre Schnittstellen stattfinden. Wenn Sie zu einem beliebigen Hersteller gehen, der sagt, ich kann alles von A bis Z, dann wird das nicht funktionieren. Die Anwender brauchen offene Systeme. Wir demonstrieren, dass das zwischen zwei Herstellern wirklich funktioniert, weil die Möglichkeit besteht, die Daten auf einer neutralen Plattform auszutauschen und sie somit auch anderen bereitzustellen, die vielleicht nicht mit den Lösungen von Bentley oder Siemens arbeiten. Eine offene Systemlandschaft ist der entscheidende Schritt in Richtung Industrie 4.0.
DEM: Wie sieht denn das Vermarktungskonzept für diese Lösung aus und wer wird letztlich für die Implementierung zuständig sein?
Andreas Geiss: Selbstverständlich beide: Es wird eine Comos-Installation geben, und es wird genauso eine OpenPlant-Installation geben. Beide Unternehmen werden diese Interfaces proaktiv unterstützen und vorantreiben.
Carsten Gerke: Auf absehbare Zeit wird in kommerzieller Hinsicht Bentley nicht die Verantwortung für die Comos-Seite und Siemens mit Comos nicht die Verantwortung für die Bentley-Seite übernehmen. Wir werden dann gemeinsam als Partner auftreten.
DEM: Welche Trends sehen Sie im Anlagenbau, wie wird sich die Arbeit des Anlagenplaners in zwei bis drei Jahren verändert haben?
Andreas Geiss: Ich bin überzeugt, dass eine weitere globale Vernetzung der Schlüssel zum Erfolg sein wird. Die Anlagenbetreiber werden vor der Herausforderung stehen, digitale Daten richtig zu managen und aufzuarbeiten. Durch die zunehmende Regulierung werden sowohl das Engineering als auch der Betrieb von Anlagen an Komplexität gewinnen. Ein Thema, das zum Beispiel die Öl- und Gasindustrie stark beschäftigt, ist die Sicherheit.
Carsten Gerke: Durchgängige, integrierte Daten, konsistente Datenhaltung über den Lebenszyklus hinweg, das ist es, was sich in allen Prozessindustrien immer mehr durchsetzen wird – auch dank unserer Lösung. Parallel und unterstützend wirken die anderen Megatrends, die wir ja auch als Konsument kennen. Der eine ist die Datenmobilität. Die Tablet PCs oder Smartphones werden für die Anreicherung der Daten in der Betriebsphase noch wichtiger werden. Natürlich wird man auf den Tablets keine Anlagen in 3D planen, aber vielleicht für den Betrieb schon mal eine Isometrie skizzieren. Ein weiterer Megatrend ist Cloud im weitesten Sinne, beispielsweise als Software „as a Service“, wo dem Anwender die Features und Funktionen bereitgestellt werden, die er gerade braucht – statt umfangreicher Softwarepakete im herkömmlichen Sinne.
DEM: Herr Gerke, Herr Geiss, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Andreas Müller.
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