04.05.2016 – Kategorie: Fertigung & Prototyping, Werkstoffe

Additive Fertigung funktionsfähiger Kunststoffteile

Das Arburg-Kunststoff-Freiformen (AKF) basiert auf flüssigen Kunststofftropfen. Ausgangsmaterial ist qualifiziertes Standardgranulat, das in einer Plastifiziereinheit aufgeschmolzen wird.

Um den Anforderungen nach schnellen Produktwechseln, Variantenvielfalt und kleinen Stückzahlen gerecht zu werden, hat Arburg aus Sicht eines Maschinenbauers den Freeformer und das Arburg-Kunststoff-Freiformen (AKF) entwickelt. Das offene System arbeitet werkzeuglos mit qualifizierten Standardgranulaten und wurde im Jahr 2015 weltweit in den Markt eingeführt. Von Bettina Keck

Ausgehend von 3D-CAD-Daten lassen sich mit einem neuen Verfahren neben Anschauungsmustern und Prototypen auch funktionsfähige Einzelteile oder Kleinserien produzieren. Gegenüber anderen Verfahren der additiven Fertigung liegt ein bedeutender Vorteil des Arburg-Kunststoff-Freiformens (AKF) darin, dass kostengünstige qualifizierte Standardgranulate zu funktionsfähigen Bauteilen verarbeitet werden können.

Qualifizierte Standardgranulate

Zu den bereits qualifizierten Materialien zählen ABS, PC, PA und TPU. Zusätzliche Kunststoffe sind Teil der Weiterentwicklung. Um zu prüfen, ob und wie ein neues Material verarbeitet werden kann, sind zahlreiche Tests und Prüfverfahren erforderlich. Zu den wichtigsten Parametern zählen Verarbeitungstemperatur und Temperaturbeständigkeit. Hinzu kommt die schichtweise Geometriezerlegung (Slicing-Parameter) und automatische Aufbereitung der 3D-CAD-Daten nach qualitäts- und materialabhängigen Kriterien zu einem anlagenspezifischen NC-Programm. Darin fließen Aspekte wie Kanten-, Füll-, Festigkeitsstrategie und Bauraumtemperatur ein. Ergebnis sind voroptimierte Prozessdaten für die einzelnen Materialtypen.

Bild 1: Das Arburg-Kunststoff-Freiformen (AKF) basiert auf flüssigen Kunststofftropfen. Ausgangsmaterial ist qualifiziertes Standardgranulat, das in einer Plastifiziereinheit aufgeschmolzen wird.

 

Additive Fertigung mit Standardgranulat

Beim AKF wird das Kunststoffgranulat ähnlich wie beim Spritzgießen zunächst in einem Plastifizierzylinder aufgeschmolzen (Bild 1). Eine starre Austragseinheit mit spezieller Düse trägt kleinste Tropfen mittels hochfrequenter Piezotechnik im vorgegebenen Takt (60 bis 200 Hertz) schichtweise auf einen über drei Achsen beweglichen Bauteilträger auf. Der Bauteilträger wird so positioniert, dass jeder Tropfen auf die vorher berechnete Stelle gesetzt wird. Dabei verbinden sich die 0,2 bis 0,3 Millimeter großen Tropfen beim Abkühlen von selbst. So entsteht Schicht für Schicht das gewünschte dreidimensionale Bauteil.

Hohe mechanische Eigenschaften

Die Bauteiloberfläche entspricht der eines grob strukturierten Spritzteils. Je kleiner die Düse ist, desto kleiner sind die Tropfen und desto feiner wird die Oberflächenstruktur. Messungen der Zugfestigkeit zeigen, dass die Qualität von Bauteilen für die meisten Funktionsteile und Kleinserien vollkommen ausreicht. Der Unterschied gegenüber dem Spritzgießen liegt im Bruchverhalten, bei dem praktisch keine Dehnungsphase auftritt.

Bild 2: Ein Beispiel für ein mit dem Freeformer gefertigtes Zwei-Komponenten-Bauteil in Hart-Weich-Verbindung ist ein Vakuumgreifer aus ABS mit weichen Dichtlippen aus TPU.

 

Zwei-Komponenten-Bauteile

Standardmäßig ist der Freeformer mit zwei Austragseinheiten ausgestattet. Der Bauraum bietet Platz für Teile, die bis zu 154 x 134 x 230 Millimeter groß sind. Die zweite Einheit kann für eine zusätzliche Komponente genutzt werden, um zum Beispiel ein Bauteil in verschiedenen Farben, mit spezieller Haptik oder als Hart-Weich-Verbindung zu erzeugen (Bild 2). Alternativ lassen sich damit Strukturen aus einem wasserlöslichen Stützmaterial aufbauen und auf diese Weise auch ungewöhnliche oder sehr komplexe Bauteilgeometrien realisieren.
Ein Beispiel ist das „Nautilus Gear“ aus zwei gegeneinander beweglichen, asymmetrischen Zahnrädern und einer Verbindungsbrücke (Bild 3). Das ABS-Bauteil wird in einem Schritt gefertigt. Nach Auflösen der Stützstruktur in warmem Wasser sind die Zahnräder direkt funktionsfähig, eine Montage ist nicht erforderlich. Die Produktionstechnik kombiniert also Teilefertigung und Montage – die normalerweise in zwei aufeinanderfolgenden Arbeitsschritten stattfinden.

Bild 3: Bauteilbeispiel „Nautilus Gear“: Nach Auflösen des Stützmaterials im Wasserbad entsteht montagefrei ein dreiteiliges Funktionsbauteil mit gegeneinander beweglichen, asymmetrischen Zahnrädern.

 

Funktionsfähige Bauteile

Freeformer-Bauteile können zum Beispiel als Designmuster sowie für Funktions- und Montagetests genutzt werden. Fallabhängig kann auf teure, zeitaufwendige Spritzgießwerkzeuge für Prototyen oder Kleinserien verzichtet werden. Ein weiterer großer Vorteil ist, dass weder Staub noch Emissionen anfallen und deshalb keine weitere Infrastruktur erforderlich ist. Das System ist daher auch für den Einsatz in einer Büro- oder Laborumgebung geeignet.
Die Steuerung hat Arburg ebenfalls selbst entwickelt. Das Bedienpanel besteht aus einem leistungsstarken Industrie-PC mit Multi-Touchscreen, der über Gesten intuitiv gesteuert wird. Die 3D-CAD-Daten der herzustellenden Bauteile (STL-Files) werden nach qualitäts- und materialabhängigen Kriterien an einem PC offline aufbereitet. Eine spezielle Software erzeugt dabei durch Slicing die erforderlichen Fertigungsdaten.

Bild 4: Auf der Fakuma 2015 präsentiert Arburg erstmals die automatisierte additive Fertigung. Ein Sieben-Achs-Roboter bestückt den Bauraum des Freeformers, der über eine Euromap-67-Schnittstelle verfügt.

 

Sieben-Achs-Roboter automatisiert additive Fertigung

Auf der Fakuma 2015 feierte ein mit einem Sieben-Achs-Roboter automatisierter Freeformer Premiere (Bild 4). Die Arburg-Experten haben dazu ihre Kompetenzen gebündelt und eine bislang einzigartige Lösung in der Welt der additiven Fertigung geschaffen: Der Freeformer wurde mit einer Euromap-Schnittstelle 67 ausgestattet, über die er mit dem Robot-System kommuniziert. Das Öffnen und Schließen der Haube erfolgt vollautomatisch, der Bauteilträger wurde ebenfalls angepasst.

Vielfältige Einsatzbereiche

Was Kunden sehr schätzen, wenn sie mit dem Freeformer die additive Fertigung in ihr Unternehmen holen, ist die Flexibilität. Dies zeigt sich zum Beispiel bei der Neuentwicklung von Produkten direkt aus 3D-CAD-Daten. Konstruktive Änderungen lassen sich sofort umsetzen und die nächste Generation des Prototyps, Designmusters oder eines laufenden Produktes selbst herstellen.
Was Branchen und Einsatzbereiche angeht, sind dem Freeformer kaum Grenzen gesetzt. Im Automobilbau kann er zum Beispiel für die additive Fertigung von Vorserienteilen in kleinen Stückzahlen eingesetzt werden. Interessant ist auch die Möglichkeit der Integralbauweise: Komplette Bauteilgruppen können im bereits montierten Zustand produziert werden. Ein weiterer denkbarer Einsatzbereich ist, Bau- und Ersatzteile tagesaktuell nach Bedarf zu produzieren. Arburg selbst fertigt zum Beispiel mit dem Freeformer dessen eigene Komponenten wie das Gehäuse seines Hauptschalters.

Großserienteile individualisieren

Ein weiteres Einsatzgebiet des Freeformers ist die Kombination von Spritzgießen, additiver Fertigung und „Industrie-4.0“-Technologien. Damit können Großserienprodukte in einem flexibel automatisierten, digital vernetzten cyberphysischen Produktionssystem wirtschaftlich in Losgröße 1 individualisiert werden. Wie das geht, demonstrierte Arburg auf der Fakuma am Beispiel „Büroschere“ durch Verketten von Spritzgießen und additiver Fertigung. Die Prozessschritte der Anlage umfassten die Auftragserfassung, das Spritzgießen, die industrielle additive Fertigung und die Darstellung der Prozess- und Qualitätsparameter auf einer teilespezifischen Internetseite.
Eine Spritzgießmaschine umspritzte die Metallklingen, dann wurde ein individueller DM-Code aufgelasert. Das Produkt wurde ab diesem Moment zum Daten- und Informationsträger und bekam seine eigene Website. Ein mobiler Kuka-Sieben-Achs-Roboter „iiwa“ verkettete das Spritzgießen mit der additiven Fertigung und übernahm das Be- und Entladen des Bauraums sowie die Qualitätsprüfung. Der Freeformer brachte entsprechend der über einen Scanner ausgelesenen Informationen des DM-Codes additiv den gewünschten individuellen, haptisch erhabenen Schriftzug aus PP auf die Schere auf.
Das Arburg-Leitrechnersystem archivierte die Daten, die sich über den individuellen Code aus der Cloud abrufen ließen. Das Produkt ist also eindeutig identifizierbar, das ermöglicht eine einzelteilbezogene Rückverfolgbarkeit.

Fazit

Der für die industrielle additive Fertigung ausgelegte Freeformer bietet weit mehr als einfache 3D-Drucker. Mit ihm lassen sich funktionsfähige Kunststoffteile auf Basis von 3D-CAD-Daten ohne Werkzeug additiv aus qualifizierten Standardgranulaten fertigen. Durch Individualisierung von Großserienprodukten können zudem Kunststoffteile so veredelt werden, dass Hersteller daraus einen Mehrwert generieren. (anm)


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