15.10.2015 – Kategorie: Fertigung & Prototyping

Additive Fertigung: Die Sicht eines AM-Konstruktions- und Fertigungsdienstleisters

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Michael Hümmeler, Geschäftsführer von LMD, spricht über die Erwartungen seiner Kunden in Sachen Additive Manufacturing und über das Verbesserungspotenzial bei den AM-Anlagen.

Digital Engineering Magazin (DEM): Welchen Teil der Wertschöpfungskette im Additive Manufacturing deckt LMD ab?
Hümmeler: Unser Angebot reicht von der Ideenfindung und Beratung über die Konstruktion und Fertigung bis hin zur Nachbearbeitung. Wenn Montagearbeiten zu leisten sind oder Kunden Unterstützung bei der Inbetriebnahme wünschen, sind wir auch zur Stelle. Wir decken die komplette „Produktzeitreise“ ab; meist geht es um Maschinenkomponenten, Greifer oder Prototypen. Schwerpunkte liegen in den Bereichen Verpackung – insbesondere von Lebensmitteln – Kunststoffe und Robotik sowie Automation. Wir fertigen additiv ausschließlich Kunststoffteile und setzen als Werkstoffe Polyamid 12 und 6, Alumide oder das Polyurethan TPU ein. Wir arbeiten aber daran, unser Werkstoff-Spektrum zu erweitern. Seit wir vor 10 Jahren anfingen, ist zwar einiges vorangegangen. Doch es gibt noch viel zu tun.

DEM: Additive Manufacturing reift. Werden auch die Erwartungen von Neukunden reifer und realistischer?
Hümmeler: Auch daran arbeiten wir! Oft beginnt die Kundenbeziehung damit, dass wir den Kunden besuchen, seine Fertigung ansehen und Problemstellungen erörtern. Dann steigen wir in den kreativen Austausch ein – darüber, ob und wie ihn additiv gefertigte Lösungen weiter bringen. Von den ersten Skizzen arbeiten wir uns dann zu einer Konstruktion vor, die das ganze Potential der additiven Fertigung nutzt. Die Lösung kann auch in einer Kombination von additiven und herkömmlichen  Metallbearbeitungsverfahren liegen. Neue Kunden für Additive Manufacturing zu begeistern, ist eine sehr beratungsintensive Angelegenheit. Die Möglichkeiten sind einfach noch nicht in den Köpfen verankert. Wir laden deshalb regelmäßig zu kostenlosen Schnupperworkshops ein, um aufzuklären.

DEM: Welche Gründe führen die Anwender zur additiven Fertigung?
Hümmeler: Die meisten Kunden starten erst einen Versuchsballon – das sind dann oft „Fummel-Aufträge“, wie wir sie nennen. Wenn wir diese Hürde überzeugend nehmen, kommen in der Regel Folgeaufträge. Dabei finden wir oft Lösungen für Probleme, mit denen sich Kunden schon lange abgefunden haben, weil sie unlösbar schienen und die der Kunde eventuell gar nicht mehr im Fokus hatte. Sowas spricht sich herum. Mancher Neukunde kommt denn auch, weil wir ihm empfohlen wurden. Und das ist auch wichtig: Es braucht mutige Kunden und Leuchtturmprojekte, um unsere junge Technologie voranzubringen. Leider ist es oft so, dass wir erst gerufen werden, wenn ein Projekt auf Grund gelaufen ist und unter hohem Zeitdruck mit knappem Budget eine Lösung her muss.

DEM: Wie steht es um die Bereitschaft von Kunden, den Konstruktionsaufwand zu vergüten?
Hümmeler: Es ist schwer, Kunden zu vermitteln, was wir leisten müssen, um ein Bauteil zu realisieren. Wir bieten keine 0815-Kataloglösung, sondern suchen eine individuelle Konstruktion für ganz konkrete Fälle. Das ist ein kreativer Prozess, der mit Brainstormings und Skizzen beginnt. Dann prüfen wir, ob und wie sich unsere Ideen additiv fertigen lassen. Die Freiheitsgrade sind in den schichtenden Verfahren enorm. Kanäle, Hohlräume, komplexe Geometrien, frei variierende Wanddicken – alles ist möglich. Wenn die Machbarkeit geklärt ist, beginnt die CAD-Konstruktion, die Übersetzung in Fertigungsdaten und erst dann kommen Fertigung und Nachbearbeitung. Der Fertigungsprozess selbst ist keineswegs trivial, da heutige Anlagen ein Eigenleben haben, obwohl sie eine halbe Millionen Euro kosten. Auf Knopfdruck Einzelteile zum Spottpreis? – Das gibt es nicht. Leider haben euphorische Medienberichte falsche Erwartungen geschürt. Anlagen von der Stange liefern erst dann brauchbare Ergebnisse, wenn wir sie optimiert haben. Zusätzlich müssen wir die Konstruktionen und Dokumentationen in gesicherten Rechenzentren verwahren und stehen rechtlich für Bauteile gerade, die wir liefern. Gerade bei Bauteilen für Serienprozesse sind die Anforderungen hoch. Wir bewegen uns in einem hochinnovativen Feld mit hohen Risiken, die wir in sicheren Prozessen beherrschen müssen. Dafür sind oft einige iterative Durchläufe nötig, in denen wir Teile optimieren. Das alles verursacht Kosten, die kein Mensch sieht. Strittig ist oft auch, wem der Datensatz der Konstruktion gehört. Gebe ich den raus, geht der Kunde zum Massenfertiger, der das dadurch natürlich billiger anbieten kann – er spart sich ja die Mühen der Konstruktion. Doch ihren Wert bekommen die Teile erst durch unsere kreative Konstruktion. Es ist schwer, Kunden zu vermitteln, wie aufwändig der Gesamtprozess ist.

DEM: Wo sehen Sie als Anwender den größten Optimierungsbedarf der heutigen Anlagentechnik?
Hümmeler: Prozesssicherheit und Produktivität lassen sehr zu wünschen übrig. Die Anlagenbauer profitieren vom Hype. So lange Kunden für ihre Anlagen Schlange stehen, haben sie wenig Optimierungsdruck. Doch die Anlagen können nicht halten, was ihre Hersteller versprechen. Damit sie unsere Anforderungen erfüllen, müssen wir sie anhand unserer Erfahrungen umbauen und optimieren. Bei gefertigten Produkten stellen wir oft fest, dass die technischen Eigenschaften auf den drei Bauteilachsen XYZ variieren. Und da es keine Formen gibt, erfordert es feinste Einstellung der Parameter, damit die Bauteile im Zuge der Fertigung nicht „wegschwimmen“. Uns hilft hier unsere Erfahrung. Wer aber eine Anlage bestellt und gleich loslegen möchte: das klappt nicht. Denn jede Maschine hat ihr Eigenleben: der Laserfokus variiert, die Laserleistung, die Einstellungen. Wir bekommen aus zwei gleichen Anlagen mit den gleichen Parametern und dem gleichen Datensatz nicht zwei exakt gleiche Teile mit den gleichen technischen Eigenschaften heraus. Um mit der heutigen Anlagen-Technik Brauchbares zustande zu bringen, müssen Sie den kompletten Prozess durchdringen. Damit ist noch nichts über Nebenprozesse wie Material-Handling und Reinigung, sowie Auswahl und Kosten der Materialien gesagt. Wir betreiben hier selbst Materialkunde, damit es irgendwie vorwärts geht.

DEM: Vielen Dank, Herr Hümmeler, für dieses interessante Gespräch!jbi |

Die Fragen stellte Peter Trechow, freier Journalist aus Berlin – im Auftrag des VDMA.

 

Additive Fertigung im VDMA

Die Arbeitsgemeinschaft Additive Manufacturing (AG AM) befasst sich innerhalb des VDMA mit industriellem 3D-Druck. Ziel ist, die Wertschöpfungskette zusammenzubringen: Anwender aus Automotive und Maschinenbau, Materiallieferanten und AM-Anlagenbauer, Dienstleister und Forscher. Die über 90 Mitglieder erarbeiten in den Feldern Automatisierung und Maschinenabnahme für Additive Manufacturing Know-how, um davon zu profitieren.

Branchentreff
Am 2. Dezember findet in Frankfurt beim VDMA der Branchentreff „Industrielle Fertigung mit Additive Manufacturing“ statt. Experten berichten im Zusammenhang mit AM zu Konstruktionssoftware, Engineering und Fertigung sowie zur Veredelung von Bauteilen.

 


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