17.09.2015 – Kategorie: Hardware & IT

Acht Best-Practice-Ansätze für modulare Produktbaukästen

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Globale Produktportfolios und die zunehmende Individualisierung von Produkten steigern die Varianz in immer ­ höherem Maße. International agierende Unternehmen stehen vor der Herausforderung, in diesem Umfeld wettbewerbsfähig und profitabel zu bleiben. Modulare Produktbaukästen bieten einen Lösungsansatz, Varianz und interne Komplexität auszutarieren. Von Dr. Gerhard Tretow und Laura Jane Hoffmann

Eine in Wissenschaft und Praxis oft diskutierte Methode, um den „Trade-off“ zwischen der von den Kunden geforderten Varianz globaler Produktportfolios und der internen Komplexität zu meistern, ist die Produktentwicklung mittels modularer Produktbaukästen oder modularer Plattformen. Durch Standardisierung und Modularisierung wird eine intelligente Wiederverwendung von Komponenten und Modulen, aber auch Dokumenten und Prozessen ermöglicht, die Skalen- und Lernkurveneffekte hervorruft und zu Einsparpotenzialen entlang der gesamten Wertschöpfungskette führt. Diese Vorgehensweise zahlt sich sowohl für die Entwicklung neuer Produkte als auch für die Überarbeitung bestehender Produktportfolios mit einem hohen Komplexitätsgrad aus.

Studie zum Baukastenerfolg

Der tatsächliche Einfluss von modularen Produktbaukästen auf den Unternehmenserfolg in der Praxis wurde in der aktuellen Modularisierungsstudie der Innovations- und Technologieberatung ID-Consult untersucht. Mittels einer standardisierten Befragung fragte man einerseits die Baukastenkompetenz innerhalb der Unternehmen entlang der einzelnen Wertschöpfungsstufen und andererseits den Implementierungsgrad der vorhandenen Baukästen in den Organisationen ab. Beide Dimensionen spiegeln sich in der daraus ermittelten Kennzahl, dem „Modularization Readiness Index“ (MRI), wider. Gleichzeitig untersuchte man den jeweiligen Unternehmenserfolg anhand von fünf Kriterien.

Baukästen steigern Unternehmenserfolg

Die Studienergebnisse fußen auf der Auswertung von fünfundfünfzig Unternehmen und detaillierten Experten-Assessments mit den Top-5-Unternehmen der Studie. Die beteiligten Unternehmen repräsentieren ein breites Spektrum von Branchen, Unternehmensgrößen und Baukastenerfahrung. Es spricht für die Qualität der Auswertung, dass 40 Prozent der befragten Unternehmen schon mehr als zehn Jahre Baukastenerfahrung gesammelt haben. Wichtigstes Ergebnis der Studie: Ein positiver und signifikanter Einfluss zwischen MRI und Unternehmenserfolg konnte nachgewiesen werden. Für die beteiligten Unternehmen der Studie heißt das, Unternehmen mit einem hohen MRI sind im Durchschnitt einundzwanzig Prozent erfolgreicher als andere.

Einkauf als größter Kompetenzhebel

Das Kompetenzniveau für modulare Produktbaukästen beträgt im Durchschnitt 3,0 (auf einer Skala von 1 bis 5). Es zeigt sich demnach ein hohes Verbesserungspotenzial bei den Baukastenkompetenzen. Wie im Vorjahr besteht der größte Aufholbedarf und gleichzeitig der größte Hebel im Kompetenzaufbau innerhalb des Einkaufs. Denn gerade dieser hat laut Studie einen direkten Einfluss auf den Unternehmenserfolg.

Aufholbedarf bei der Implementierung

Der Implementierungsgrad der Baukästen in den Prozessen und der Organisation liegt im Durchschnitt unter fünfzig Prozent. Modulare Produktbaukästen scheinen also schon im Einsatz zu sein, werden aber bisher in der Praxis nur mäßig gelebt. Deutlich wird dies in erster Linie durch eine oft lückenhafte Dokumentation der Baukastenarchitektur, eine eher geringe Anwendungshäufigkeit des Baukastens in den Projekten sowie eine häufig fehlende Überwachung der Kosten, die für den Baukasten entstehen.
Die drei Unternehmen, die im Rahmen der Studie am besten abgeschnitten haben, bekamen auf der diesjährigen ID-Consult-Managementkonferenz Mitte Juni in München den Modularization Readiness Award überreicht. Die komplette Studie kann per E-Mail unter [email protected] angefordert werden.rt |

Dr. Gerhard Tretow ist Geschäftsführer von ID-Consult, Laura Jane Hoffmann leitet den Bereich Marketing & Kommunikation.

Best-Practice-Ansätze für modulare Produktbaukästen

Auf Basis der Studienergebnisse und der durchgeführten Experteninterviews lassen sich folgende Best-Practice-Ansätze ableiten:
1. Klare Ziele zur Standardisierung und Modularisierung definieren: Erfolgsfaktor für alle Baukastenprojekte ist die frühzeitige Formulierung von Zielen für die Standardisierung und Modularisierung durch die Geschäftsleitung, zum Beispiel Festlegung des Standardisierungsgrads für Komponenten auf 85 Prozent.
2. Zielsysteme in den einzelnen Wertschöpfungsstufen harmonisieren: Die Abstimmung der Baukastenziele mit den Zielen und Incentives in den Wertschöpfungsstufen ist essenziell. Das gilt insbesondere für den Einkauf, der häufig an anderen Erfolgskriterien gemessen wird, wie beispielsweise dem Erfolg innerhalb von Warengruppen oder in Einzelprojekten.
3. Anforderungen für Zielmärkte konsequent erfassen: Die Übersetzung der originären Marktanforderungen für die zu bedienenden Zielmärkte (Voice of the Customer) in lösungs- und varianzbestimmende Anforderungsparameter ist der Schlüssel für die erfolgreiche Gestaltung von Produktarchitekturen und Produktportfolios. Diese erfolgt idealerweise in einem zweistufigen Prozess, damit sich Anforderungs- und Lösungsseite in der Produktarchitektur optimal verzahnen lassen.  
4. Optimale Produktarchitektur gestalten: Best-Practice-Unternehmen definieren eine Produktstruktur aus generischen Komponenten, die man zu Modulen und/oder zu physischen Systemen bündelt. Wie bei der Softwareentwicklung werden die Komponenten unterhalb der generischen Struktur als parametrisierte Bausteine gestaltet, deren Parameterausprägungen die Varianz der Zielmärkte widerspiegeln. Auch wenn die reine Orientierung an der Produktstruktur heute immer noch gängige Praxis ist, treiben immer mehr Unternehmen den durchaus empfehlenswerten Weg über den Ausbau zu funktional orientierten Produktarchitekturen voran.
5. Produkt- und Serviceportfolio integrieren: Die Studie hat gezeigt, dass Unternehmen mit höherem Dienstleistungsanteil im Durchschnitt einen höheren Unternehmenserfolg aufweisen. Standardisierungs- und Modularisierungsmaßnahmen eröffnen Geschäftsmöglichkeiten im Service und mindern Risiken. Das gilt zum Beispiel für den Abschluss von Wartungsverträgen oder im Ersatzteilgeschäft. Die integrierte Gestaltung von Produkt- und Serviceportfolios zahlt sich also für die Unternehmen aus.
6. Klare Managementprozesse für den Baukasten definieren: Damit sich mit dem Baukasten nachhaltige Erfolge erzielen lassen, muss man diesen langfristig in die Organisation implementieren. Klare Prozesse zum Management der Baukästen und deren kontinuierliche Nutzung im Rahmen bestehender und neuer Kunden- und Entwicklungsprojekte sind demnach erfolgskritische Faktoren.
7. Baukasten-Monitoring mit Fokus auf Optimierung etablieren: Beim Baukasten-Monitoring können ausgewählte Komplexitätskennzahlen statt reine Messzahlen zur Komplexität einen systematischen Optimierungsprozess hinsichtlich Standardisierung und Modularisierung fördern.
8. Lean-Management-Potenziale durch den modularen Produktbaukasten erschließen: Lean Management heißt, die erforderlichen Skalen- und Lernkurveneffekte nicht nur über eine geschickte Wiederverwendung von Komponenten und Modulen zu realisieren, sondern auch über die Wiederverwendung von standardisierten  Dokumenten und Pro­zessen. Mögliche Änderungen des Standards sind dann über ein Delta-Management umzusetzen. Damit lassen sich weitere Effizienzpotenziale erschließen.


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1 Kommentar zu „Acht Best-Practice-Ansätze für modulare Produktbaukästen“

  1. Harald Brodbeck

    Ich interessiere mich genau
    Ich interessiere mich genau für das aufgezeigte Spannungsfeld und die Frage, wie man die Modulentwickler motiviert (Stichworte „Kundenkontakt“, „Akzeptanz/Ansehen der Modulentwicklung im Vergleich zur Produktentwicklung“ etc.

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